Donnerstag, 24. Januar 2013

Francisco de Miranda und die Vereinigten Staaten von Amerika


Francisco de Miranda
Sebastián Francisco de Miranda Rodríguez wurde am 28. März 1750 in Caracas (Venzuela) geboren und starb am 14. Juli 1816 im Gefängnis im spanischen Cadiz.

Nach seiner Ausbildung an der königlichen Universität von Caracas verließ er im Alter von 21 Jahren Caracas Richtung Madrid, um in den Militärdienst einzutreten. Während dieser Zeit begann Miranda ein Tagebuch zu führen.

Nachdem Miranda bereits während des Krieges gegen Marokko erste militärische Erfahrungen gesammelt hatte, nahm er an der Schlussphase des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges teil, als Spanien aktiv in den Krieg eingriff. Im Jahre 1783 gelang es den spanischen Einheiten, den Engländern Pensácola in Florida und die Bahamas zu entreißen.

Schon früh entwickelte Miranda seinen Lebenstraum von der Befreiung des spanischen und portugiesischen Amerika von der europäischen Kolonialherrschaft. Miranda schwebte ein einheitlicher lateinamerikanischer Staat mit dem Namen „Kolumbien“ vor, benannt nach Christoph Kolumbus. Obwohl Miranda mit seinen Unabhängigkeitsbestrebungen letztlich scheiterte, gilt er bis heute als Wegbereiter der Unabhängigkeit Südamerikas.

Aufgrund seiner Ansichten über die Unabhängigkeit der spanischen Kolonien bekam Miranda schon bald Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten, die sein Verbleiben in der spanischen Armee unmöglich machten.

Am 1. Juni 1783 schiffte er sich heimlich Richtung La Habana (Kuba) ein – es ist ein Weg ohne Rückkehr. Acht Tage später trifft sein Schiff in den Vereinigten Staaten ein, wo sich Miranda bis Dezember 1784 aufhalten wird. Seine Reise beginnt in South Carolina und endet in New England. Miranda trifft unter anderem mit George Washington, Thomas Paine und Alexander Hamilton  zusammen.

Seine Eindrücke und Gedanken während der Reise schreibt er in sein Tagebuch, das bis heute eines der eindrucksvollsten Zeugnisse lateinamerikanischer Geschichte ist – insbesondere weil Miranda ein außerordentlich positives Bild der Vereinigten Staaten vermittelt.

Miranda beschreibt die Amerikaner als „robust und korpulent“, was er vornehmlich der guten Ernährung zuschreibt. Als er zu seinem ersten Barbecue eingeladen wird, beobachtet er, wie „Menschen aus verschiedensten gesellschaftlichen Schichten sich die Hände geben und aus dem gleichen Becher trinken.“ Miranda erinnert diese „demokratische Gemeinschaft in ihrer reinsten Form“ unmittelbar an die Berichte, die Dichter und Geschichtsschreiber über die freien Völker des antiken Griechenlands geschrieben hatten.

In Charleston (South Carolina) besucht Miranda den Gerichtshof, an dem - englischer Sitte gemäß - sämtliche Verfahren  öffentlich verhandelt werden. Miranda kann seine Freude darüber nicht verbergen: „¡Válgame Dios y qué contraste al sistema legislativo de la España!” (Bei Gott! Was für ein Unterschied zur Legislative in Spanien!).

Auch das Regierungssystem South Carolinas ruft seine Bewunderung hervor: „Das ist reine Demokratie – wie überhaupt die Vereinigten Staaten eine reine Demokratie sind. Hier ist die staatliche Gewalt souverän und zugleich in Exekutive, Legislative und Judikative getrennt.“

In Philadelphia staunt Miranda über den Einfallsreichtum sowie Erfindergeist der Nordamerikaner und erwähnt ausdrücklich Benjamin Franklin, den Erfinder des Blitzableiters. Nicht nur die Gastwirtschaften und Gasthäuser seien „hinsichtlich Sauberkeit und Ordnung die besten, die ich jemals kennengelernt habe“, das gleiche gelte auch für die öffentlichen Märkte.

Schließlich macht die religiöse Freiheit, die er in Pennsylvania vorfindet, einen tiefen Eindruck auf Miranda. Philadelphia selbst ist für ihn „eine der angenehmsten und am besten organisierten Städte dieser Welt.“

Mit kühlem und gesundem Menschenverstand erkennt Miranda, dass die Tugenden und der allgemeine Wohlstand der nordamerikanischen Gesellschaft in der schlichten Tatsache begründet liegen, „dass wir es hier mit einer freien Regierung zu tun haben, die über jede Form von Despotismus erhaben ist.“ Zugleich bedauert er, dass bis jetzt „Franzosen oder Spanier kaum in der Lage gewesen sind, die Vorteile einer auf Freiheit beruhenden Verfassung zu erkennen.“

A Montana farm, comfortable if not elegant, and the home of many well-to-do persons (W.H. Jackson)
Die Auswirkungen eines freien Staatswesens auf die Wirtschaft des Landes kann Miranda auch in New Jersey beobachten: „Es gibt kaum ein Stück Erde, das nicht genutzt wird. Das Land ist eingeteilt in kleine Einheiten, die die Amerikaner Farm nennen. Die landwirtschaftlichen Flächen werden wesentlich besser bewirtschaftet und gepflegt als in vielen anderen Ländern – und obwohl die Bodenqualität eher mäßig ist, gelingt es den Menschen durch Fleiß und Anstrengung aus einem kleinen Fleckchen Erde mehr herauszuholen, als die Besitzer der großen Bergwerke in Mexiko oder Peru.“ Dahinter steht Miranda zufolge der „Geist der Freiheit, der dieses Volk antreibt und inspiriert“

Auf dem Weg nach New York hört Miranda von einer Begebenheit aus dem Unabhängigkeitskrieg, die ihn tief beeindruckt: „Als der französische General Rochembeau sein Lager in der Nähe von King´s Ferry am Hudson River aufschlugt, forderte ihn der Besitzer des Anwesens auf, ihm die Nutzung seines Landes zu entschädigen. Als die französischen Offiziere sich dieser `gänzlich ungewöhnlichen Forderung des patán republicano (des republikanischen Grobians)´ verschlossen, ging der Mann kurzerhand zum Sheriff, der – ohne Waffen in der Hand, aber mit der Autorität des Gesetzes unter dem Arm – kurzerhand Rochembeau vor den Augen seiner verblüfften Armee festsetzte, bis der General schließlich auf Heller und Pfennig seine Schuld beglichen hatte.“

Soweit diese schlichten Wahrheiten über den Ursprung des Wohlstandes der Vereinigten Staaten, die bis in unsere heutige Zeit mit dem Mythos in Widerspruch geraten, demzufolge der nordamerikanische Aufschwung eine direkte Folge der Ausbeutung und Unterdrückung des südamerikanischen Kontinents sei.


Wie Carlos Rangel in seiner berühmten Analyse „Del buen salvaje al buen revolucionario  (1976) schreibt, wird das Tagebuch Mirandas über seine Reise durch die Vereinigten Staaten bis heute ignoriert: „Sollte jemand auf die Idee kommen, das Tagebuch Mirandas zu lesen, dann wird er es heimlich machen müssen. Es wird nirgends zitiert, von niemandem kommentiert. Wenn man in der Welt der Mythen lebt, kann es sehr unbequem werden, wenn man plötzlich der Wahrheit begegnet – vor allem, wenn sie dann auch noch von einem der wirklichen Helden und größten Männer Lateinamerikas verkündet wird.“

Alle Zitate und sonstigen Angaben aus: Carlos Rangel: Del buen salvaje al buen revolucionario, Caracas 1982 (Monte Ávila Editores) (eigene Übersetzung).


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