Jean der La Fontaine |
Jean de La Fontaine (1621 – 1695) ist mit
Sicherheit der berühmteste Fabeldichter der Neuzeit. Wie andere französische
Autoren seiner Zeit lebte und arbeitete er im Umkreis des Hofes des
Sonnenkönigs Ludwigs XIV. Seine Beobachtungen über die Menschen und die
Gesellschaft verarbeitete er in seinem vielfältigen Werk.
La Fontaine gilt den Franzosen als einer
ihrer größten Klassiker. Er schrieb Gedichte, Erzählungen und Romane. Berühmt
wurde er jedoch durch seine Fabeln, die in insgesamt 12 Bänden von 1668 bis
1694 erschienen. Einige – wie die folgende Fabel von der Grille und der Ameise – wurden durch
den antiken Dichter Äsop inspiriert. Gemeinsam ist beiden Dichtern, dass im
Gewand der witzigen und hintergründigen Tiergeschichten die wahren Antriebe der
menschlichen Natur entlarvt werden:
Die Grille, die den
Sommer lang
zirpt' und sang,
litt, da nun der Winter droht',
harte Zeit und bittre Not:
Nicht das kleinste Würmchen nur,
und von Fliegen eine Spur!
Und vor Hunger weinend leise,
schlich sie zur Nachbarin Ameise,
und fleht' sie an in ihrer Not,
ihr zu leihn ein Stückchen Brot,
bis der Sommer wiederkehre.
»Hör'«, sagt sie, »auf Grillenehre,
vor der Ernte noch bezahl'
Zins ich dir und Kapital.«
Die Ameise, die wie manche lieben
Leut' ihr Geld nicht gern verleiht,
fragt' die Borgerin: »Zur Sommerzeit,
sag doch, was hast du da getrieben?«
»Tag und Nacht hab' ich ergötzt
durch mein Singen alle Leut'.«
»Durch dein Singen? Sehr erfreut!
Weißt du was? Dann tanze jetzt!«
zirpt' und sang,
litt, da nun der Winter droht',
harte Zeit und bittre Not:
Nicht das kleinste Würmchen nur,
und von Fliegen eine Spur!
Und vor Hunger weinend leise,
schlich sie zur Nachbarin Ameise,
und fleht' sie an in ihrer Not,
ihr zu leihn ein Stückchen Brot,
bis der Sommer wiederkehre.
»Hör'«, sagt sie, »auf Grillenehre,
vor der Ernte noch bezahl'
Zins ich dir und Kapital.«
Die Ameise, die wie manche lieben
Leut' ihr Geld nicht gern verleiht,
fragt' die Borgerin: »Zur Sommerzeit,
sag doch, was hast du da getrieben?«
»Tag und Nacht hab' ich ergötzt
durch mein Singen alle Leut'.«
»Durch dein Singen? Sehr erfreut!
Weißt du was? Dann tanze jetzt!«
Illustration von Milo Winter (1886-1956) |
In der antiken Vorlage des Äsop liest sich
die Fabel wie folgt:
„Es war kalter Winter, und Schnee fiel vom
Olymp. Die Ameise hatte zur Erntezeit viel Speise eingetragen und ihre Scheuern
damit aufgefüllt. Die Grille hingegen kauerte in ihrem Loch und litt gar sehr,
von Hunger und arger Kälte geplagt. Sie bat darum die Ameise, ihr von ihrer
Speise abzugeben, damit sie davon essen könne und nicht zu sterben brauche.
Doch die Ameise sprach zu ihr: „Wo warst du denn im Sommer? Warum hast du zur
Erntezeit nicht Speise eingetragen?“ Darauf die Grille: „Ich habe gesungen und
mit meinem Gesang die Wanderer erfreut.“ Da lacht die Ameise laut und rief: „So
magst du im Winter tanzen!“
Moral: es gibt nichts besseres, als für die
notwendige Nahrung zu sorgen und sich nicht bei Tanz und Lust ergehen soll.“
In beiden Versionen der Fabel stehen einander
zwei Lebenshaltungen gegenüber, die sich durch ihre Einstellung zur Arbeit unterscheiden:
Sicher ist, dass wir einen großen Teil
unseres Lebens mit Arbeit verbringen. Für manche ist sie ein notwendiges
Mittel, um den Lebensunterhalt zu verdienen, für andere liegt in der Arbeit
Erfüllung und Selbstverwirklichung.
In der Antike wurde die Muße, also die
Freiheit vom Zwang der Arbeit höher bewertet als die Arbeit. Vor allem die körperliche
Arbeit der „Hand-Werker“ galt als Makel und wurde nur von den niedrigeren
sozialen Schichten, den „Banausen“, verrichtet.
Während in der Antike „Muße“ immer auch mit
Kreativität verbunden wurde, wird der Begriff, insbesondere in der Variante „Müßiggang“
meist negativ verstanden und meist mit „Faulheit“ gleichgesetzt.
Nun kann man grundsätzlich fragen, in welchem
Sinne die eine Arbeit gesellschaftlich nutzlos, eine andere Tätigkeit aber nützlich
ist? Ist die gesellschaftliche Rolle eines Künstlers überhaupt mit der eines
Geschäftsmannes zu vergleichen? Kann eine geistige und künstlerische Tätigkeit
überhaupt als Arbeit aufgefasst werden?
Adam Smith unterschied in seinem Werk „Der Reichtum der
Nationen“ bekanntlich zwischen einer „Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes,
auf den sie verwandt wird, erhöht“ und einer Arbeit, „die diese Wirkung nicht
hat. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt,
diese hingegen als unproduktiv“ (272).
Gitarre spielender Harlekin (Picasso, 1918) |
Neben
dem Stand der Politiker muss man laut Smith noch viele andere Berufe in die
Gruppe der unproduktiven Arbeiter einreihen: „Zum einen Geistliche,
Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler,
Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer“ (273.).
Das
Urteil von Smith über die unproduktive Arbeit kann nicht klarer und
unmissverständlicher sein: „So ehrenwert, nützlich oder notwendig ihr Dienst
auch sein mag, er liefert nichts, wofür später wiederum ein gleicher Dienst zu
erhalten ist“ (ebd.).
Natürlich
gibt auch Smith zu, dass viele unproduktive Arbeiten direkt und indirekt zur
Sicherung und Erhöhung des Lebensniveaus beitragen. Dies gilt selbstverständlich
auch für alle „Grillen“ in Bildung, Kultur und Sport.
Dennoch:
Die produktive Arbeit ist und bleibt die Grundlage und Voraussetzung für die
Möglichkeit – oder den „Luxus“ – unproduktiver Arbeit. Nur solange es Menschen
gibt, die „herstellen, kaufen und verkaufen“, können auch Menschen bezahlt
werden, die Geige spielen, tanzen oder singen.
Quellen: Die Grille und die Ameise findet sich im Projekt Gutenberg - Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner
Natur und seiner Ursachen, hg. mit einer umfassenden Würdigung des Gesamtwerkes
von Horst Claus Recktenwald, München 2009 (dtv)
sehr informativ
AntwortenLöschenDas freut mich, Anonym.
AntwortenLöschenEndlich mal eine richtige Interpretation der Fabel
AntwortenLöschen... und dabei ist sie auch nicht schwer zu verstehen.
AntwortenLöschenHerzliche Grüße
Paideia