Donnerstag, 10. März 2016

Götz Aly und die studentischen Bewegungen der 1933er und 1968er

In seinem Buch „Unser Kampf – 1968“ analysiert Götz Aly - ausgehend von seiner eigenen Erfahrung - anhand verschiedenster Quellen die „Bewegung“ von 1968 als speziell deutschen Spätausläufer des totalitären 20. Jahrhunderts und kommt zu dem Schluss, dass die revoltierenden Kinder der Dreiunddreißiger-Generation ihren Eltern nicht nur auf elende Weise ähnlich waren - „revolutionsselig und selbstgewiss“ -, sondern auch „ohne im angeblich aufklärerischen Eifer eine Sekunde lang daran zu denken“ direkt an den Aktionismus ihrer Dreiunddreißiger-Väter anknüpften.

Bewegte Studenten 1968 - Die APO marschiert ...

Natürlich erfasste der studentische Aufruhr die Universitäten vieler Länder und sei deshalb kein exklusiv deutsches Phänomen. Die Proteste können daher auch als „Luxusveranstaltungen des in der Ruhe des Kalten Kriegs befriedeten, wohlhabend-steril gewordenen Westens gedeutet werden. Die für den Adrenalinhaushalt anregenden Revolutionär-und-Gendarm-Spiele tobten in den Puddingbergen des Schlaraffenlands.“ Erwin K. Scheuch bezeichnete die Rechthaber, Krawallfreunde und Verweigerer schon im Herbst 1968 als „Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft.“

Aber Scheuch lenkte seinen Blick nicht nur auf das gegenwärtige Auftreten, sondern auch auf „die böse historische Kontinuität der Vergewaltigung des Mitmenschen aus Gesinnung“, um aus der nationalen Vorgeschichte zu erklären, „warum die protestierenden deutschen Studenten im Auftreten und in ihren Zielsetzungen antidemokratischer seien als ihre ebenfalls unruhigen Kommilitonen in anderen Ländern.“

So bezeichnete Scheuch sie als „unverhältnismäßig autoritär und totalitär im Denken“. Überraschende und zugleich erschreckende Parallelen tauchen auf: „Die nationalsozialistische Studentenrebellion nannte sich ebenfalls Studentenbewegung. Das lässt sich in jeder Nummer des Akademischen Beobachters nachlesen, dem 1929 gegründeten `Kampfblatt des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes´. Im Mai 1930 wurde die Zeitung umbenannt. Fortan erschien sie unter dem Titel `Die Bewegung´. In dem Begriff verdichtet sich die untergehakt vorwärts und aufwärts strebende Masse, die gegen das Alte und Überkommene anrennt.“


Bewegte Studenten 1934 - Der Nationalsozialistische Studentenbund marschiert ...

Der Begriff „Bewegung“, der sich in allen europäischen Varianten des Faschismus großer Beliebtheit erfreute, wurde dann 1967 in unkritischer und völlig unhistorischer Weise von den rebellischen Studenten wieder aufgenommen und wird bis heute in wundersamer Übereinstimmung von allen verwendet.

Während sich die Achtundsechziger sich an dem Vers `Macht kaputt, was euch kaputt macht´ der Band `Ton, Steine, Scherben´ wärmten, erhoben sich „die braunen Garden von 1933 über die `morschen Knochen´ der Alten - `lasst sie nur toben und schrei’n´- über die Bedenkenträgerei des `Friedhofgemüses´, der alten Knacker. Ihnen sagten sie nach: `Denen rieselt der Kalk aus den Hosenbeinen´. Leider zu Recht meinten die Nazistudenten, `mit uns zieht die neue Zeit´, und schmetterten den im Jahr 1932 von Hans Baumann geschaffenen Barrikaden- und Großversammlungsschlager: `Wir werden weiter marschieren / Wenn alles in Scherben fällt´.“

Es geht Götz Aly sicherlich nicht um eine ideologische Gleichsetzung von Rot und Braun. Gleichwohl zielt seine Analyse auf „die Ähnlichkeiten der Mobilisierungstechnik, des politischen Utopismus und des antibürgerlichen Impetus“, die beiden „Bewegungen“ zugrunde liegen.

Das Ergebnis seiner Überlegungen „legt eine spezifische, über die Elterngeneration vermittelte deutsche Kontinuität nahe, derer sich die Kinder 1968 bedienten.“ So pries Baldur von Schirach, Germanistikstudent und Reichsführer des NS-Studentenbundes, bereits im Mai 1930 „im ersten Editorial der nun wöchentlich erscheinenden Studentenzeitung `Die Bewegung´ `den Gedanken des in Reih-und-Glied-Stehens mit dem deutschen Arbeiter´ und endete mit voluntaristischer Emphase: `Jeder wahrhaft Wollende wird hier den Aufbruch fühlen´.“

Der Hauptunterschied zwischen beiden Bewegungen tritt Aly zufolge gleichwohl offen zutage: „Die eine Bewegung gelangte rasch zur Macht, begründete eine mörderische Jugenddiktatur, produzierte furchterregende Karrieren und Konsequenzen; die andere führte zur Niederlage, die daran Beteiligten verzichteten auf einen Teil ihrer beruflichen Chancen und passten sich nach einer mehr oder weniger langen Pause wieder an die Mehrheitsgesellschaft an.“

Zitate aus: Götz Aly: Unser Kampf. 1968 - ein irritierter Blick zurück, Frankfurt am Main 2009 (S. Fischer Verlag GmbH)   -   Weitere Literatur: Erwin K. Scheuch (Hg.): Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft. Eine kritische Untersuchung der »Neuen Linken« und ihrer Dogmen, 2. erweiterte Ausgabe, Köln 1969.


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