In
seinem Buch „Unser Kampf – 1968“ analysiert Götz Aly - ausgehend von seiner eigenen Erfahrung - anhand
verschiedenster Quellen die „Bewegung“ von 1968 als speziell deutschen
Spätausläufer des totalitären 20. Jahrhunderts und kommt zu dem Schluss, dass
die revoltierenden Kinder der Dreiunddreißiger-Generation ihren Eltern nicht
nur auf elende Weise ähnlich waren - „revolutionsselig und selbstgewiss“
-, sondern auch „ohne im angeblich aufklärerischen Eifer eine Sekunde lang daran zu denken“
direkt an den Aktionismus ihrer Dreiunddreißiger-Väter anknüpften.
Bewegte Studenten 1968 - Die APO marschiert ... |
Aber Scheuch lenkte seinen Blick nicht nur auf das
gegenwärtige Auftreten, sondern auch auf „die böse historische Kontinuität der
Vergewaltigung des Mitmenschen aus Gesinnung“, um aus der nationalen
Vorgeschichte zu erklären, „warum die protestierenden deutschen Studenten im
Auftreten und in ihren Zielsetzungen antidemokratischer seien als ihre
ebenfalls unruhigen Kommilitonen in anderen Ländern.“
So bezeichnete Scheuch sie als „unverhältnismäßig autoritär
und totalitär im Denken“. Überraschende und zugleich erschreckende Parallelen tauchen
auf: „Die nationalsozialistische Studentenrebellion nannte sich ebenfalls
Studentenbewegung. Das lässt sich in jeder Nummer des Akademischen Beobachters
nachlesen, dem 1929 gegründeten `Kampfblatt des Nationalsozialistischen
Deutschen Studentenbundes´. Im Mai 1930 wurde die Zeitung umbenannt. Fortan
erschien sie unter dem Titel `Die Bewegung´. In dem Begriff verdichtet sich die
untergehakt vorwärts und aufwärts strebende Masse, die gegen das Alte und
Überkommene anrennt.“
Bewegte Studenten 1934 - Der Nationalsozialistische Studentenbund marschiert ... |
Der Begriff „Bewegung“, der sich in allen europäischen
Varianten des Faschismus großer Beliebtheit erfreute, wurde dann 1967 in unkritischer und völlig
unhistorischer Weise von den rebellischen Studenten wieder aufgenommen und wird
bis heute in wundersamer Übereinstimmung von allen verwendet.
Während sich die Achtundsechziger sich an dem Vers `Macht
kaputt, was euch kaputt macht´ der Band `Ton, Steine, Scherben´ wärmten,
erhoben sich „die braunen Garden von 1933 über die `morschen Knochen´ der Alten
- `lasst sie nur toben und schrei’n´- über die Bedenkenträgerei des
`Friedhofgemüses´, der alten Knacker. Ihnen sagten sie nach: `Denen rieselt der
Kalk aus den Hosenbeinen´. Leider zu Recht meinten die Nazistudenten, `mit uns
zieht die neue Zeit´, und schmetterten den im Jahr 1932 von Hans Baumann
geschaffenen Barrikaden- und Großversammlungsschlager: `Wir werden weiter
marschieren / Wenn alles in Scherben fällt´.“
Es geht Götz Aly sicherlich nicht um eine ideologische Gleichsetzung
von Rot und Braun. Gleichwohl zielt seine Analyse auf „die Ähnlichkeiten der
Mobilisierungstechnik, des politischen Utopismus und des antibürgerlichen
Impetus“, die beiden „Bewegungen“ zugrunde liegen.
Das Ergebnis seiner Überlegungen „legt eine spezifische,
über die Elterngeneration vermittelte deutsche Kontinuität nahe, derer sich die
Kinder 1968 bedienten.“ So pries Baldur von Schirach, Germanistikstudent und Reichsführer
des NS-Studentenbundes, bereits im Mai 1930 „im ersten Editorial der nun
wöchentlich erscheinenden Studentenzeitung `Die Bewegung´ `den Gedanken des in
Reih-und-Glied-Stehens mit dem deutschen Arbeiter´ und endete mit
voluntaristischer Emphase: `Jeder wahrhaft Wollende wird hier den Aufbruch
fühlen´.“
Der Hauptunterschied zwischen beiden Bewegungen tritt Aly
zufolge gleichwohl offen zutage: „Die eine Bewegung gelangte rasch zur Macht,
begründete eine mörderische Jugenddiktatur, produzierte furchterregende
Karrieren und Konsequenzen; die andere führte zur Niederlage, die daran
Beteiligten verzichteten auf einen Teil ihrer beruflichen Chancen und passten sich
nach einer mehr oder weniger langen Pause wieder an die Mehrheitsgesellschaft
an.“
Zitate aus: Götz Aly: Unser Kampf. 1968 - ein
irritierter Blick zurück, Frankfurt am Main 2009 (S. Fischer Verlag GmbH) - Weitere
Literatur: Erwin K. Scheuch (Hg.): Die Wiedertäufer der
Wohlstandsgesellschaft. Eine kritische Untersuchung der »Neuen Linken« und
ihrer Dogmen, 2. erweiterte Ausgabe, Köln 1969.
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