Das Paradies auf Erden ... |
Die Länder Skandinaviens, allen voran Schweden, haben einen
starken Wohlfahrts-staat und sind wirtschaftlich und gesellschaftlich besonders
erfolgreich. Nicht nur Linke in aller Welt fordern deshalb gern in ihren Ländern
eine skandinavische Wirtschaftspolitik, sondern es gibt auch Liberale, die vom
„skandinavischen Modell“ fasziniert sind.
Unbestritten ist, dass sich nordische Gesellschaften durch
einen hohen Lebensstandard, eine tiefe Kriminalitätsrate und eine gleichmäßige
Einkommens-verteilung auszeichnen. Daher liegt die Annahme nahe, dieser Erfolg
sei das Ergebnis ihrer Wirtschaftspolitik. Die kleine Studie des Stockholmer
Ökonomen Nima Sanandaji zeigt gleichwohl auf, dass die Ursache des Erfolgs aber
älter als der Wohlfahrtsstaat ist und in Besonderheiten der nordischen Kultur
begründet liegt.
Die bewundernswerten Merkmale der nordischen Staaten bestanden
also schon vor dem Aufbau eines großen öffentlichen Sektors. Der nordische
Erfolg habe vielmehr mit der frühzeitigen Anpassung an freie Märkte und einer
einzigartigen Erfolgskultur zu tun.
In den 1970er Jahren beschrieb das amerikanische
Nachrichtenmagazin „Time“ das Land Schweden mit folgenden Worten: „Es ist ein
Land, dessen bloßer Name zum Synonym eines materiellen Paradieses geworden ist.
[...] Keine Slums verstellen ihre Städte, Luft und Wasser sind weitgehend frei
von Verschmutzung... Weder Krankheit, Arbeitslosigkeit noch das Alter bedeuten
einen Absturz in finanzielle Not.“
Die Innenstadt von Stockholm |
Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen leiteten viele amerikanische
Intellektuelle die Behauptung ab, dass es den USA bedeutend besser ginge, wenn
man einfach die Politik Schwedens oder anderer nordischer Länder übernehmen würde.
So vertrat der amerikanische Politologe John Logue im Jahre 1979 die These:
„Ein einfacher optischer Vergleich schwedischer Städte mit vergleichbaren
Städten bei uns liefert starke Beweise, dass vernünftige wohlfahrtsstaatliche
Massnahmen Armut, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, abzuschaffen vermögen,
nur Wirtschaftswachstum aber, wie der amerikanische Fall zeigt, nicht.“ Noch im
Jahr 2006 argumentierte der Ökonom Jeffrey Sachs, die nordischen
Sozialdemokratien widerlegten die Ideen des liberalen Ökonomen Friedrich A. v.
Hayek: „In starken und lebendigen Demokratien ist ein großzügiger Sozialstaat
nicht ein Weg zur Knechtschaft, sondern einer zu Fairness, wirtschaftlicher
Gleichheit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit.“
Diese hohe Wertschätzung kommt nicht von ungefähr, denn
nordische Gesellschaften sind beachtlich erfolgreich. In den verschiedenen internationalen Rankings stehen
die nordischen Länder auf den oberen Rängen und gehören zu den lebenswertesten
Gegenden der Welt. „Die nordischen Staaten – insbesondere Schweden, das am
häufigsten als weltweites Vorbild beigezogen wird – haben ausgebaute Wohlfahrtsstaaten
und sind erfolgreich. Dies wird oft als Beweis dafür gesehen, dass eine Politik
des `dritten Weges´ zwischen Sozialismus und Kapitalismus gut funktioniert, und
dass andere Gesellschaften zu den gleichen günstigen Ergebnissen gelangen
können, indem sie einfach den Staat ausbauen. Geht man beim Studium der
skandinavischen Geschichte und Gesellschaften aber in die Tiefe, dann wird
rasch klar, dass diese grob vereinfachende Analyse tatsächlich fehlerhaft ist.“
Für Sanandaji jedoch steht fest, dass ein großer
Wohlfahrtsstaat nicht das einzige ist, was diese Länder vom Rest der Welt
abhebt. Mindestens ebenso wichtig ist die Tatsache, dass sie zudem über eine
homogene Bevölkerung und nicht-staatliche gesellschaftliche Institutionen
verfügen, die in einzigartiger Weise an die moderne Welt angepasst sind:
„Ein
hohes Maß an Vertrauen, eine hohe Arbeitsmoral, Bürgerbeteiligung, sozialer
Zusammenhalt, Eigenverantwortung und ein starker Familiensinn zeichnen die
skandinavischen Gesellschaften seit langem aus. Diese Institutionen sind älter
als der Wohlfahrtsstaat und erklären, wie Schweden, Dänemark und Norwegen sich
so rasch von verarmten zu wohlhabenden Nationen entwickeln konnten, als im späten
19. Jahrhundert die Industrialisierung und die Marktwirtschaft eingeführt wurden.
Auch bei Finnlands wachsendem Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg spielten sie
eine wichtige Rolle.“
Es sind also genau diese Institutionen und Normen, die zur
Voraussetzung für die großen Wohlfahrtssysteme wurden, die in der Mitte des 20.
Jahrhunderts verwirklicht werden konnten: „Eine gute Arbeitsmoral und ein hohes
Maß an Vertrauen ermöglichten, hohe Steuern zu erheben und großzügige
Leistungen bei begrenztem Missbrauchsrisiko und unerwünschter Anreizwirkungen
anzubieten.“
Kulturelle Merkmale ändern sich bekanntlich nur langsam. Es
dauerte einige Zeit, bis das außergewöhnlich hohe Niveau an Sozialkapital in
den nordischen Kulturen aufgebaut war. „Und es brauchte einige Zeit, bis die großzügigen
Wohlfahrtsmodelle anfingen, die hohe Arbeitsmoral in diesen Ländern zu
untergraben.“
Arbeit und Verantwortung - Das Leben schwedischer Bauern |
Woher kommt nun aber diese ungewöhnlich starke Betonung der
Eigenverantwortung und eines großen Sozialkapitals in den nordischen Gesellschaften?
Der deutsche Soziologe Max Weber glaubte vor über hundert Jahren feststellen zu
können, der Erfolg protestantischer Völker liege in deren „protestantischen
Arbeitsethik“ begründet. Ohne außergewöhnlich harte Arbeit war es in früherer
Zeit schwierig, als Landwirt in der nordischen Natur zu überleben. „Aus der Not
heraus entwickelte die Bevölkerung deshalb eine Kultur, die großen Wert auf
individuelle Verantwortung und harte Arbeit legte.“ Während es zudem in den
meisten anderen Teilen Europas feudale Systeme gab, in denen ein Großteil der
Bevölkerung Leibeigene waren, wurde die Geschichte der skandinavischen Länder (mit
Ausnahme von Dänemark) überwiegend von unabhängigen Bauern geprägt. Harte
Arbeit zahlte sich dank der weiten Verbreitung von Privatbesitz demnach aus.
Die nordisch Landbevölkerung brauchte, so Sanandaji weiter, nicht
nur eine stoische Entschlossenheit, hart zu arbeiten und vorausschauend zu
planen, sondern es war auch auch ein starkes gesellschaftliches Vertrauen und lokaler
Zusammenhalt notwendig, um zu überleben. Dies verdeutlicht die Tatsache, „dass
die unabhängigen Bauern im Gegensatz zu den landlosen Bauern in anderen
Weltgegenden einen Nutzen daraus zogen, besonders hart zu arbeiten, um in die
Produktivität ihrer Betriebe zu investieren, was ein Ergebnis der frühzeitigen
Anpassung ans Marktprinzip war, Eigentumsrechte auf die breite Bevölkerung auszudehnen.“
So war das Wirtschaftssystem in Skandinavien also lange vor
dem Aufkommen der Industrialisierung von Bedingungen gekennzeichnet, die in
einzigartiger Weise Normen der Arbeit und Verantwortung förderten.
All dies deutet somit darauf hin, dass der Ursprung der
nordischen Erfolgskultur älter ist als der moderne Wohlfahrtsstaat. Es ist also
nicht der Wohlfahrtsstaat, dem die nordischen Staaten ihren einzigartigen
Erfolg verdanken. „Der Wohlfahrtsstaat ist weniger die Ursache ihrer
gesellschaftlichen Stärke als vielmehr deren Folge, ermöglicht durch einen hart
erkämpften Bestand an sozialem Kapital. Lange vor dem Sozialstaat, als harte
Arbeit sich (noch) lohnte, entstand eine Kultur basierend auf Arbeitsmoral,
starkem Vertrauen und sozialem Zusammenhalt. Diese Normen und Institutionen
machten den Weg frei für die Einführung großer Wohlfahrtsstaaten.“
Zitate aus: Nima Sanandaji: Warum das Schwedische
Modell erfolgreich ist, LI-Papers, Liberales Institut, Zürich 2015
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