Donnerstag, 3. März 2016

Nima Sanandaji und die nordische Erfolgskultur

Das Paradies auf Erden ...
Die Länder Skandinaviens, allen voran Schweden, haben einen starken Wohlfahrts-staat und sind wirtschaftlich und gesellschaftlich besonders erfolgreich. Nicht nur Linke in aller Welt fordern deshalb gern in ihren Ländern eine skandinavische Wirtschaftspolitik, sondern es gibt auch Liberale, die vom „skandinavischen Modell“ fasziniert sind.

Unbestritten ist, dass sich nordische Gesellschaften durch einen hohen Lebensstandard, eine tiefe Kriminalitätsrate und eine gleichmäßige Einkommens-verteilung auszeichnen. Daher liegt die Annahme nahe, dieser Erfolg sei das Ergebnis ihrer Wirtschaftspolitik. Die kleine Studie des Stockholmer Ökonomen Nima Sanandaji zeigt gleichwohl auf, dass die Ursache des Erfolgs aber älter als der Wohlfahrtsstaat ist und in Besonderheiten der nordischen Kultur begründet liegt.

Die bewundernswerten Merkmale der nordischen Staaten bestanden also schon vor dem Aufbau eines großen öffentlichen Sektors. Der nordische Erfolg habe vielmehr mit der frühzeitigen Anpassung an freie Märkte und einer einzigartigen Erfolgskultur zu tun.

In den 1970er Jahren beschrieb das amerikanische Nachrichtenmagazin „Time“ das Land Schweden mit folgenden Worten: „Es ist ein Land, dessen bloßer Name zum Synonym eines materiellen Paradieses geworden ist. [...] Keine Slums verstellen ihre Städte, Luft und Wasser sind weitgehend frei von Verschmutzung... Weder Krankheit, Arbeitslosigkeit noch das Alter bedeuten einen Absturz in finanzielle Not.“

Die Innenstadt von Stockholm

Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen leiteten viele amerikanische Intellektuelle die Behauptung ab, dass es den USA bedeutend besser ginge, wenn man einfach die Politik Schwedens oder anderer nordischer Länder übernehmen würde. So vertrat der amerikanische Politologe John Logue im Jahre 1979 die These: „Ein einfacher optischer Vergleich schwedischer Städte mit vergleichbaren Städten bei uns liefert starke Beweise, dass vernünftige wohlfahrtsstaatliche Massnahmen Armut, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, abzuschaffen vermögen, nur Wirtschaftswachstum aber, wie der amerikanische Fall zeigt, nicht.“ Noch im Jahr 2006 argumentierte der Ökonom Jeffrey Sachs, die nordischen Sozialdemokratien widerlegten die Ideen des liberalen Ökonomen Friedrich A. v. Hayek: „In starken und lebendigen Demokratien ist ein großzügiger Sozialstaat nicht ein Weg zur Knechtschaft, sondern einer zu Fairness, wirtschaftlicher Gleichheit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit.“

Diese hohe Wertschätzung kommt nicht von ungefähr, denn nordische Gesellschaften sind beachtlich erfolgreich. In den verschiedenen internationalen Rankings stehen die nordischen Länder auf den oberen Rängen und gehören zu den lebenswertesten Gegenden der Welt. „Die nordischen Staaten – insbesondere Schweden, das am häufigsten als weltweites Vorbild beigezogen wird – haben ausgebaute Wohlfahrtsstaaten und sind erfolgreich. Dies wird oft als Beweis dafür gesehen, dass eine Politik des `dritten Weges´ zwischen Sozialismus und Kapitalismus gut funktioniert, und dass andere Gesellschaften zu den gleichen günstigen Ergebnissen gelangen können, indem sie einfach den Staat ausbauen. Geht man beim Studium der skandinavischen Geschichte und Gesellschaften aber in die Tiefe, dann wird rasch klar, dass diese grob vereinfachende Analyse tatsächlich fehlerhaft ist.“

Ein hohes Maß an Vertrauen, eine hohe Arbeitsmoral, Bürgerbeteiligung, sozialer Zusammenhalt, Eigenverantwortung und ein starker Familiensinn zeichnen die skandinavischen Gesellschaften seit langem aus

Für Sanandaji jedoch steht fest, dass ein großer Wohlfahrtsstaat nicht das einzige ist, was diese Länder vom Rest der Welt abhebt. Mindestens ebenso wichtig ist die Tatsache, dass sie zudem über eine homogene Bevölkerung und nicht-staatliche gesellschaftliche Institutionen verfügen, die in einzigartiger Weise an die moderne Welt angepasst sind:

„Ein hohes Maß an Vertrauen, eine hohe Arbeitsmoral, Bürgerbeteiligung, sozialer Zusammenhalt, Eigenverantwortung und ein starker Familiensinn zeichnen die skandinavischen Gesellschaften seit langem aus. Diese Institutionen sind älter als der Wohlfahrtsstaat und erklären, wie Schweden, Dänemark und Norwegen sich so rasch von verarmten zu wohlhabenden Nationen entwickeln konnten, als im späten 19. Jahrhundert die Industrialisierung und die Marktwirtschaft eingeführt wurden. Auch bei Finnlands wachsendem Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg spielten sie eine wichtige Rolle.“

Es sind also genau diese Institutionen und Normen, die zur Voraussetzung für die großen Wohlfahrtssysteme wurden, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts verwirklicht werden konnten: „Eine gute Arbeitsmoral und ein hohes Maß an Vertrauen ermöglichten, hohe Steuern zu erheben und großzügige Leistungen bei begrenztem Missbrauchsrisiko und unerwünschter Anreizwirkungen anzubieten.“

Kulturelle Merkmale ändern sich bekanntlich nur langsam. Es dauerte einige Zeit, bis das außergewöhnlich hohe Niveau an Sozialkapital in den nordischen Kulturen aufgebaut war. „Und es brauchte einige Zeit, bis die großzügigen Wohlfahrtsmodelle anfingen, die hohe Arbeitsmoral in diesen Ländern zu untergraben.“

Arbeit und Verantwortung -
Das Leben schwedischer Bauern
Woher kommt nun aber diese ungewöhnlich starke Betonung der Eigenverantwortung und eines großen Sozialkapitals in den nordischen Gesellschaften? Der deutsche Soziologe Max Weber glaubte vor über hundert Jahren feststellen zu können, der Erfolg protestantischer Völker liege in deren „protestantischen Arbeitsethik“ begründet. Ohne außergewöhnlich harte Arbeit war es in früherer Zeit schwierig, als Landwirt in der nordischen Natur zu überleben. „Aus der Not heraus entwickelte die Bevölkerung deshalb eine Kultur, die großen Wert auf individuelle Verantwortung und harte Arbeit legte.“ Während es zudem in den meisten anderen Teilen Europas feudale Systeme gab, in denen ein Großteil der Bevölkerung Leibeigene waren, wurde die Geschichte der skandinavischen Länder (mit Ausnahme von Dänemark) überwiegend von unabhängigen Bauern geprägt. Harte Arbeit zahlte sich dank der weiten Verbreitung von Privatbesitz demnach aus.

Die nordisch Landbevölkerung brauchte, so Sanandaji weiter, nicht nur eine stoische Entschlossenheit, hart zu arbeiten und vorausschauend zu planen, sondern es war auch auch ein starkes gesellschaftliches Vertrauen und lokaler Zusammenhalt notwendig, um zu überleben. Dies verdeutlicht die Tatsache, „dass die unabhängigen Bauern im Gegensatz zu den landlosen Bauern in anderen Weltgegenden einen Nutzen daraus zogen, besonders hart zu arbeiten, um in die Produktivität ihrer Betriebe zu investieren, was ein Ergebnis der frühzeitigen Anpassung ans Marktprinzip war, Eigentumsrechte auf die breite Bevölkerung auszudehnen.“

So war das Wirtschaftssystem in Skandinavien also lange vor dem Aufkommen der Industrialisierung von Bedingungen gekennzeichnet, die in einzigartiger Weise Normen der Arbeit und Verantwortung förderten.

All dies deutet somit darauf hin, dass der Ursprung der nordischen Erfolgskultur älter ist als der moderne Wohlfahrtsstaat. Es ist also nicht der Wohlfahrtsstaat, dem die nordischen Staaten ihren einzigartigen Erfolg verdanken. „Der Wohlfahrtsstaat ist weniger die Ursache ihrer gesellschaftlichen Stärke als vielmehr deren Folge, ermöglicht durch einen hart erkämpften Bestand an sozialem Kapital. Lange vor dem Sozialstaat, als harte Arbeit sich (noch) lohnte, entstand eine Kultur basierend auf Arbeitsmoral, starkem Vertrauen und sozialem Zusammenhalt. Diese Normen und Institutionen machten den Weg frei für die Einführung großer Wohlfahrtsstaaten.“


Zitate aus: Nima Sanandaji: Warum das Schwedische Modell erfolgreich ist, LI-Papers, Liberales Institut, Zürich 2015

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