Götz Aly (*1947) studierte von Dezember 1968 bis Ende 1971
Politische Wissenschaft und Geschichte in Berlin. Er beteiligte sich aktiv an
der Studentenrevolte, gehörte zeitweise der Redaktion der Zeitung
Hochschulkampf und der Roten Hilfe an. Später arbeitete er im Jugendamt
Berlin-Spandau, dann bei der taz. Von 1997 bis 2001 war er Chef der
Meinungsseite bei der Berliner Zeitung. Dazwischen und danach schrieb er Bücher
zum Nationalsozialismus.
Götz Aly |
„Wer heute“, so Aly, „zu den 60. oder 65.
Geburtstagen der einstigen Protestgenossen von 1968 eingeladen wird,
trifft auf eine muntere, von sich selbst überzeugte Gesellschaft. Viele
verklären ihre Vergangenheit als heroische Kampfesphase, erheben sich über die
Jugend von heute, die angeblich nichts mehr wolle. Aufgekratzt beschreiben die
Feiernden ihre revolutionsselige Sturm- und Drangzeit als Geschichte einer
besseren Heilsarmee: Sie rechnen sich einer engagierten, stets den Schwachen,
der weltweiten Gerechtigkeit und dem Fortschritt verpflichteten »Bewegung« zu,
die das Klima der Bundesrepublik insgesamt positiv beeinflusst und die lange
beschwiegene nationalsozialistische Vergangenheit thematisiert habe.“
Revolutionäre Ikonen |
Gleichwohl begeisterten sich die Achtundsechziger – anders als
ihre Eltern - für ferne Befreiungsbewegungen aller Art, bevorzugt allerdings
für solche, die das Adjektiv „national“ im Namen führten. Spricht man, wie es
Götz Aly getan hat, einstige Mitstreiter, die es heute zu hohen
Regierungsbeamten gebracht haben, auf das 1972 so freundliche Urteil über
die – von Pol Pot geführte – kambodschanische Revolution an, faucht es zurück:
`Aly, das haben wir nie gemacht!.´ Vielleicht erinnere sich nicht jeder
Achtundsechziger an Pol Pot erinnern, aber gewiss „an die von Ernst Busch
intonierte bolschewistische Genickschuss-Ballade Wladimir Majakowskis, die
noch jahrelang auf Hunderten von Demonstrationen und Versammlungen dröhnte: `Still
da, ihr Redner! Du hast das Wort! Rede, Genosse Mauser!´ In einfacher Prosa:
Hört auf zu schwatzen, nehmt die Knarre in die Hand und drückt ab.
Die 9-Millimeter-Präzisionspistole der deutschen Mauser-Waffenwerke
gehörte zu den Kultgerätschaften der Oktoberrevolutionäre.“
Die Flagge der Roten Khmer ... Die Ähnlichkeit ist verblüffend! |
Die Revolte dauerte von 1967 bis Ende 1969.
Danach zerfiel sie rasch in dies und das. „Die einen aßen nur noch Müsli,
andere wandelten sich zu Berufsrevolutionären, wieder andere suchten in einer
Mittwochsgruppe nach dem G-Punkt, entdeckten ihre homosexuelle Bestimmung,
errichteten einen Abenteuerspielplatz oder gründeten eine Stadtteilgruppe.
Andere entdeckten das Konservative in ihren Herzen: retteten Gründerzeithäuser
vor der damals allgegenwärtigen Abrissbirne und versuchten, die Natur vor der
Zerstörung zu bewahren – sie wechselten von der Roten Garde zum Regenwald, vom
Straßenkampf zum Stuck, vom Bürgerschreck zum Bürgertum. Manche bevorzugten die
anarchistischen Ideen des obsessiven Antisemiten Michail Bakunin, andere
hängten sich eine Jutetasche um, auf der eine himmelblaue Friedenstaube
schwebte. Zwischen Tunix-Kongress, tiefer Sorge um das Waldsterben und Chaostagen
konnte jeder nach seiner linksalternativen Fasson selig werden.“
Zwischen den Farben Lila, Rot, Rosa, Schwarz und Grün
eröffneten sich mannigfaltige Möglichkeiten und Mischungen. Aber unabhängig von
den verschieden gefärbten Zukunftsentwürfen, alle ihre Anhänger „lebten in der
hoffärtigen Einbildung, sie gehörten zum besseren Teil der Menschheit. Eine
Zeit lang nannte sich die 1967 entstandene Studentenbewegung
Außerparlamentarische Opposition (APO), später fasste man die Gruppen unter den
Begriffen Neue Linke oder neue soziale Bewegungen zusammen und unterschied sie
von der alten, von der DDR repräsentierten Linken.“
Der bessere Teil der Menschheit - nach Seyfried |
Im Gegensatz zu England, Frankreich oder den USA verfingen sich die deutschen antiautoritären Blumenkinder Staaten rasch im weltanschaulichen Kampfeswahn. So bedonnerte im Jahr 1965 Ulrike Meinhof, eine der Leitfiguren der im Embryonalstadium befindlichen Neuen Linken, Joachim Fest mit ihren Ideen in einer Weise, „die diesen prompt an seinen NS-Führungsoffizier erinnerten: damals, 1944, habe er `das letzte Mal soviel energische Selbstgewissheit über den Lauf und die Bestimmung der Welt vernommen´. Meinhof schnappte kurz nach Luft, dann fiel sie lachend in `aufgeräumte Kampfeslaune´ zurück. Abermals legte sie los. Fest unterbrach sie mit dem Einwand, er könne nach den Nazijahren das Bedürfnis nicht begreifen, `das in ihrem kindlichen Himmel-und-Hölle-Spiel zum Ausdruck dränge´.“
Zwei Jahre später, nach dem 2. Juni 1967, nachdem Benno
Ohnesorg von einem Polizisten erschossen worden war, verbrannten Berliner
Studenten als Feuerzeichen ihres Aufbegehrens Springer-Zeitungen. Joachim Fest,
der damals als Fernsehjournalist beim NDR arbeitete, kommentierte: `Fatale
Erinnerungen beunruhigen die extremen Gruppen nicht – ihr politisches
Bewusstsein wähnt sich im Stande der Unschuld. Sie plädieren für die
Beseitigung dessen, was sie (wiederum ganz unschuldig) das ›System‹ nennen.´ „Es
mag die einst aktiv Beteiligten irritieren, doch knüpfte die linksradikale
Studentenbewegung von 1968 in mancher Beziehung an die Erbmasse der
rechtsradikalen Studentenbewegung der
Jahre 1926 bis 1933 an.“
So kommt Aly zu einem insgesamt vernichtenden Urteil: „Die
Achtundsechzigergeneration der untergegangenen westlichen Teilrepublik war die
erste, die es sich leisten konnte, ihre Jugendzeit – definiert als von Arbeit
und Verantwortung entlasteter Lebensabschnitt – beträchtlich auszudehnen. Sie
hatte die Pille und wusste nichts von Aids. Sie lebte im Überfluss und ahnte
noch nicht, dass Deutsche eines Tages als Gastarbeiter in Polen willkommen sein
würden. Dank des damals dichten Sozialgeflechts schafften es viele, ihre
luxurierende Jugendexistenz bis ins hohe Mannes- und Frauenalter fortzuführen.
Die Freundinnen und Freunde der erschlichenen Sozialhilfe, des gelegentlichen Versicherungsbetrugs,
die mit 40 Jahren frühpensionierte, vormals kommunistische Lehrerin, die
sich bei ehedem vollen Bezügen in eine Landkommune zurückzog – sie alle zählten
lange zu den Figuren der linksradikalen Gemeinde, die sich dank ihrer
selbstsüchtigen Schläue allgemeiner Achtung erfreuten. Heute schweigen die
meisten verschämt. Nach 1989 geriet der Parasitenstolz in Misskredit.“
Kommune - eine ewig währende luxuriöse Jugendexistenz |
Zitate
aus: Götz Aly: Unser Kampf. 1968 - ein irritierter Blick zurück, Frankfurt am
Main 2009 (S. Fischer Verlag GmbH)
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