Donnerstag, 7. Mai 2015

Johann Sebastian Bach und die Kantate "Brich mit dem Hungrigen dein Brot" (BWV 39)

Johann Sebastian Bach
Ende Mai 1723 nahm Bach seinen Dienst in Leipzig als Thomaskantor auf. Als Kantor und Musikdirektor war er für die Musik in den vier Hauptkirchen der Stadt verantwortlich. Dazu zählte die Vorbereitung einer Kantaten-aufführung an jedem Sonntag (!) und an den Feiertagen.

Für den 1. Sonntag nach Trinitatis des Jahres 1726, den 23. Juni, komponierte Johann Sebastian Bach die Kantate „Brich dem Hungrigen dein Brot“ (BWV 39). Das Werk gehört zum dritten Leipziger Kantatenjahrgang.

Die vorgeschriebene 1. Lesung für den Sonntag war der Text „Gott ist Liebe“ (1. Joh 4,16–21)

Gott ist die Liebe;
und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott
und Gott in ihm. (…)
Und dies Gebot haben wir von ihm,
dass, wer Gott liebt,
dass der auch seinen Bruder liebe.“

Die 2. Lesung aus dem Evangelium war das „Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus“ (Lk 16,19–31), das zwei Figuren einander gegenüberstellt: Der arme Lazarus liegt vor dem Tor des Reichen und begehrt die Brotstücke, die von dessen Tisch auf den Boden fallen, die ihm der Reiche aber verweigert.

Lazarus und der Reiche
(Codex Aureus Epternacensis)
Nach seinem Tod findet sich Lazarus in Abrahams Schoß wieder. Auch der Reiche stirbt und wird begraben, findet sich aber in der Unterwelt wieder, in der er qualvolle Schmerzen leidet. Von Abraham wird der Reiche aufgeklärt: “Mein Kind, denk daran, daß du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber mußt leiden.“

Das Thema der Kantate ist - in klarer Anlehnung an die beiden Lesungen – der Aufruf zur Nächstenliebe. Der Titel des Werkes schlägt den Bogen zur alttestamentlichen Tradition der Nächstenliebe, wie sie sich vor allem bei den Propheten findet:

„Brich mit dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind,
führe ins Haus! (…)
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte,
und deine Heilung wird schnell voranschreiten,
und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen,
und die Herrlichkeit des HERRN
wird deinen Zug beschließen.“ (Jes 58, 7f )

Auch der abschließende Choral, die 6. Strophe des Liedes „Kommt, laßt euch den Herren lehren“ von David Denicke betont die Notwendigkeit der Solidarität mit den Bedürftigen:

Selig sind, die aus Erbarmen
sich annehmen fremder Noth,
sind mitleidig mit den Armen,
bitten treulich für sie Gott ;
die behilflich sind mit Rath,
auch, wo möglich, mit der That,
werden wieder Hilf empfangen,
und Barmherzigkeit erlangen.


Vier Jahre, nachdem die Kantate im Gottesdienst in Leipzig erklang, wurden etwa 20.000 protestantische Christen aus dem Fürsterzbistum Salzburg aufgrund des Ausweisungserlasses von 1731 aus ihrer Heimat vertrieben.

Berliner Briefmarke (1982)

Von ihrem Beginn an hatte die Reformation im Fürsterzbistum Salzburg stets viele Anhänger gefunden, obwohl im Erzbistum ausschließlich die katholische Konfession erlaubt war.

Die Existenz von „Geheimprotestanten“ – Protestanten, die vorgaben, katholisch zu sein - war den Behörden gleichwohl bekannt. Wer in die Hände der Machthaber geriet, wurde unter Bruch der Bestimmungen des Westfälischen Friedens sofort aus Salzburg ausgewiesen.

Schließlich bekannten sich die Protestanten in einer Bittschrift offen zum protestantischen Glauben. Ihr Ziel war es, im Land anerkannt zu werden und eigene protestantische Prediger zu erhalten. Dazu war die Salzburger Regierung nicht bereit und beschloss, die Protestanten so schnell wie möglich des Landes zu verweisen, damit sie sich nicht weiter ausbreiten könnten.

Der Ausweisungsbeschluss des Erzbischofs vom 31. Oktober 1731 widersprach ganz eindeutig dem Westfälischen Frieden. Zwar war eine Ausweisung Andersgläubiger im Fall Salzburgs nicht prinzipiell illegal, aber ihre konkrete Ausgestaltung verletzte eindeutig die Friedensbestimmungen: Statt mindestens drei Jahren wurden Besitzlosen nur acht Tage Abzugsfrist gewährt, Besitzenden je nach Vermögen ein bis drei Monate.

Im Spätherbst und Winter 1731/32 begannen die Ausweisungen. Die Verteilung der Flüchtlinge in den protestantischen Gegenden Süddeutschlands bereitete erhebliche Probleme. Einige Gruppen machten sich auf den Weg in die Niederlande, andere wanderten nach Amerika auf.
 

Symbolische Darstellung des Empfangs 

Salzburger Exulanten in Preußen 

durch König Friedrich Wilhelm I. 

(unbekannter Künstler)

Es war der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., der am 2. Februar 1732 eine offizielle Einladung für die Salzburger Lutheraner aussprach. Sie sollten bei der Wiederbesiedelung des Kronlandes in Ostpreußen helfen.

Bei ihrem Zug kamen die Salzburger auch durch Leipzig. 1600 Protestanten trafen Mitte Juni 1732 in Leipzig ein, wurden mit hingebender Gastfreundschaft aufgenommen, selbst bei den Thomanern wurden Flüchtlinge untergebracht. Auch an die geistlich Stärkung wurde gedacht und so ließ Bach in dem am Sonntag stattfindenden Festgottesdienst die Kantate „Brich mit dem Hungrigen dein Brot“, die er vier Jahre vorher komponiert hatte, wieder aufführen.  Ein Zeichen für Bachs tiefe Frömmigkeit und lutherischen Glauben. Schließlich zogen die Flüchtlinge weiter, ihrer neuen preußischen Heimat entgegen.

Für die Region Salzburg hatte der hohe Bevölkerungsverlust durch die Vertreibung anders als lange vermutet keine katastrophalen wirtschaftlichen Folgen. Erst 1966 sprach der Erzbischof Andreas Rohracher im Rahmen eines Festaktes sein tiefes Bedauern über die Vertreibung aus.

Zum Anhören: Brich´ mit dem Hungrigen dein Brot (BWV 39)



Literatur: Hermann Keller: Bachs Frömmigkeit und Glaube, in: Württembergische Blätter für Kirchenmusik, 13. Jahrgang Nr. 2, Februar 1939 - Aufbau und vollständiger Text der Kantate online unter: https://webdocs.cs.ualberta.ca/~wfb/cantatas/39.html



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