Gordon Tullock (1922 - 2014) |
Die unter dem Namen „Public Choice“ zusammengefassten Theorien
und Forschungsgebiete der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ) versuchen die
verschiedenen politischen Verhaltenweisen der Individuen ebenso wie
Entscheidungsprozesse und Strukturen mit Hilfe der Ökonomie zu erklären. Dabei werden
die politischen Akteure sowohl individuell und/oder innerhalb kollektiv
handelnder Gruppen (Wähler, Parteien, Verwaltungen, Interessensverbände …)
betrachtet.
In Abgrenzung zur neomarxistisch dominierten Politischen Ökonomie versteht sich die NPÖ als positive Ökonomie – im Gegensatz zur normativen Ökonomie, die einen Idealzustand erläutert, der aber mit der Realität nur wenig zu tun hat.
Eine der Grundannahme der Neuen Politischen Ökonomie ist der Individualismus, der auf dem Modell des rational handelnden, von Eigeninteressen geleiteten Homo oeconomicus beruht, dessen Ziel die Maximierung des Nutzens ist und der dementsprechend Entscheidungen trifft.
Mit Blick auf den Föderalismus versucht die „Public-Choice“-Schule die These zu widerlegen, dass das Neben- und Übereinander vieler Regierungsinstanzen in föderalen oder nonzentralen Gemeinwesen nur zu Effizienzverlusten führt. Sie versucht daher Verfassungsarrangements zu entwickeln, die durch richtige Anreize effizientes Regieren begünstige. Auf diese Weise soll der Erosion wirtschaftlicher Freiheit einerseits und dem Expansionsdrang des Staates andererseits Einhalt geboten werden.
Die These, dass Nonzentralisation ein effizienzsteigender Mechanismus sein kann, wird vor allem von Gordon Tullock vertreten. Er geht davon aus, dass die Ausübung demokratischer Rechte in einem dezentralisierten Gemeinwesen für den einzelnen Bürger effektiver werden kann und dass ein föderaler und lokaler Wettbewerb von Politikern zu einer besseren Wirtschafts- und Steuerpolitik führe. Daher wird Tullocks Ansatz auch mit dem Begriff „Wirtschaftsföderalismus“ beschrieben.
Für Tullock ist Föderalismus „die Aufteilung von Regierungssystemen zwischen zentralisierten Funktionen und jenen Programmen, die auf lokaler ebene effizienter erledigt werden können.“ Der Neuen Politischen Ökonomik zufolge zeigt sich, dass bei einigen Arten von öffentlichen Gütern (Polizei, Feuerwehr, Abwassersystem, Schulen) viele Anbieter sinnvoll sind, während bei öffentlichen Gütern, die über andere Eigenschaften verfügen (nationale Verteidigung) ein einziger Versorger gerechtfertigt ist.
Föderalismus ist optimale Schichtung und Dezentralisierung von Regierungsaufgaben |
Der Begriff „Föderalismus“ beschreibt somit „die optimale Schichtung oder Dezentralisierung existierender Regierungsdienstleistungen, die auf einer Untersuchung möglicher Größenvorteile basiert.“ Die Regierung handelt also dann angemessen, wenn sie Effizienz mit geringen Kosten verbindet.
Der Public-Choice-Ansatz erkennt an, dass Menschen sehr unterschiedliche Präferenzen haben können. Für einige Wähler ist die öffentliche Einrichtung von Joggingstrecken und Freiluftfreizeitanlagen wünschenswert, andere wollen einen potenten Internetzugang oder gut ausgestattete öffentliche Bibliotheken. Wieder andere wollen eine unverfälschte Umwelt und eine risikovermeidende Gesellschaft, während andere dafür plädieren, dass jedes Individuum seine eigenen Entscheidungen treffen soll. Daraus folgt die Tatsache, dass „je höher der Grad der Differenzierung von Präferenzen unter den Wählern ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass eine Regierung es jedermann recht machen kann.“
Der Grad der Differenzierung von Präferenzen unter den Wählern führt dazu, dass keine Regierung es allen recht machen kann ... |
Das grundlegende Argument für den Föderalismus ist die schlichte Tatsache, dass es bei vielen Staatstätigkeiten keine besondere Notwendigkeit für eine nationale politische Regelung besteht.
„In den Vereinigten Staaten – und noch mehr in der Schweiz – gibt es direkte Volksabstimmungen über unzählige rein lokale Angelegenheiten. Neue Schulgebäude und größere Straßenbauprojekte werden regelmäßig den Wählern in Städten und Kreisen vorlegt. Es scheint mir offenkundig zu sein, dass dies die bessere Art ist, mit lokalen Anliegen und Projekten umzugehen als erst die Kompetenzen durch Wahl an die Zentralregierung abzugeben, um dann die Zentralregierung diese Kompetenzen wieder an ihre örtlichen Beamten … zurück delegieren zu lassen.“
Ein wichtiges Argument für eine örtlich verpflichtete und politisch rechenschaftspflichtige Entscheidungsstruktur ist für Tullock die „Abstimmung mit Füßen“. „Weil es einem Bewohner möglich ist, zu entscheiden, wo er wohnen möchte oder sein Geschäft aufmachen will, sorgt diese Entscheidung für Marktstandorte dafür, dass die verschiedenen lokalen Regierungen in einen Wettbewerb zueinander geraten. Will ihre Steuereinnahmen davon abhängen, wie viele Menschen in ihren Grenzen leben oder arbeiten, zwingt dies die staatlichen Stellen dazu, diese Marterwägungen einzubeziehen.
Ein zweites wichtiges Argument ist, dass die Entwicklung
spezialisierter öffentlicher Strukturen und Dienstleistungen es erlaubt, um
bestimmte Arten von Bürgern anzuziehen. „Die Vororte größerer amerikanischer
Großstädte konkurrieren oft miteinander durch die Zurverfügungstellung
öffentlicher Dienstleistungen, um Mensch und Unternehmen anzulocken. New Trier zum
Beispiel, ein Vorort von Chicago, hat seit Generationen ein besonders gutes
Schulsystem. Die lokalen Steuern dafür sind außerordentlich hoch, aber die
Einwohner mögen ganz offenbar, was sie dafür bekommen. Sehr viele Eltern ziehen
nach New Trier, wenn ihr ältestes Kind schulreif ist und verlassen den Ort
wieder, sobald ihr jüngstes Kind seinen Abschluss hat.“
New Trier High School - "To commit minds to inquiry, hearts to compassion, and lives to the service of humanity." |
So ist der Wettbewerb Gordon Tullock zufolge „eines der
grundlegendsten Merkmale des Föderalismus. Vom Standpunkt des Bürgers ist es
eine gute Sache, wenn Städte und Staaten in einem Wettbewerb stehen und immer
bessere Leistungen mit weniger Steuern anbieten können. Solch ein Wettbewerb,
Menschen anzulocken, mag den Sozialisten und jenen, die etwas gegen die
Marktwirtschaft haben, Kummer bereiten. Auch Beamte mögen es nicht, unter
Wettbewerb zu arbeiten. Aber für diejenigen, denen es um das Wohlergehen der
Mitbürger geht, funktioniert ein Staat gut, in dem Beamte unter diese Art von
Druck gestellt werden.“
Zitate aus: Detmar Doering: Kleines
Lesebuch über den Föderalismus, Sankt Augustin 2013 (Academia Verlag), S. 145
(aus: Gordon Tullock: The Theory of Public Choice, London 2000) - Weitere
Literatur: Gordin Tullock, zusammen mit James M. Buchanan: The
Calculus of Consent – Logical Foundations of Constitutional Democracy. Ann
Arbor, 1962.
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