Donnerstag, 2. April 2015

Der Staat und das Subsidiaritätsprinzip


"The legitimate object of government
is to do for a community of
people whatever they need to have done
but cannot do at all, or cannot so well do for themselves 
in their separate and individual capacities.

In all that the people can individually do as well for themselves, 
government ought not to interfere.“

(Abraham Lincoln, 1809–1865)


Das Gemeinwohl ist dann erfolgversprechend eingerichtet, wenn die Individuen in größtmöglicher Freiheit und Mitverantwortung an den gesellschaftlichen Prozessen beteiligt sind. Was das Individuum aus eigener Kraft vollbringen können, das darf ihm nicht entzogen und übergeordneten Stellen zugewiesen werden. Vielmehr müssen sämtlichen Aufgaben dort erledigt werden, wo sie anfallen. Wenn dabei Probleme auftauchen, dann müssen sie zunächst auf jener Ebene aus dem Weg geräumt werden, auf der sie auch entstanden sind. Erst wenn dies nicht zu bewältigen ist, darf durch Hilfe "von oben“ eingegriffen werden. Letztlich geht es darum, das Individuum (oder die gesellschaftliche Teilgruppe) in ihren selbstverantwortlichen Mitwirkungsmöglichkeiten vor Bevormundung zu schützen.

Neben diesen personalen Aspekten ist das Subsidiaritätsprinzip aber auch aus staatsrechtlicher, ökonomischer, politischer und verwaltungstechnischer Sicht betrachtet mehr als sinnvoll.

Staatsrechtlich betrachtet bedeutet Subsidiarität, dass im Staat die Ebenen mit selbstverantwortlicher Entscheidungsbefugnis (Gemeinde, Kreis, Regierungsbezirk, Provinz, Land, Bund, EU) von unten nach oben eingerichtet sind, und zwar nach dem Grundsatz stufenweiser, föderativer Gliederung.

Subsidiarität
Das bedeutet, dass die die öffentlichen Aufgaben in Bezug auf die jeweilige sachliche und räumliche Reichweite der staatlichen Institutionen abgegrenzt werden. Aufgaben, die in unteren Stufen verrichtet werden können, dürfen von oberen Ebenen nicht an sich gezogen und dort erfüllt werden.

Gleichwohl müssen die oberen Stufen im Falle vorübergehender Schwierigkeiten den nachgeordneten Einheiten bei ihrer Aufgabenerfüllung im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe beistehen. Bestimmte Angelegenheit, die aus Gründen des Gesamtinteresses von einer oberen Ebene grundsätzlich geregelt werden muss, können in Einzelfällen zur Durchführung im einzelnen auf die unteren Stufen rückgelagert werden.

Im Hinblick auf die ökonomischen Aspekte der Subsidiarität ist vom Grundsatz der Privatinitiative auszugehen. Demnach schafft der Staat durch eine Markt- und Wettbewerbsordnung die Rahmenbedingungen dafür, dass die Bürger Güter produzieren und vertreiben können. Zugleich sichert der Staat den Bestand und das Gelingen privatwirtschaftlicher Produktion und Distribution.

Staatliche Betätigung in der Wirtschaft ist letztlich nur dort zulässig, wo öffentliche Güter  bereitgestellt werden müssen – etwa im Küstenschutz oder bei der äußeren Sicherheit. In jedem Fall muss der Einsatz wirtschaftspolitischer Mittel marktkonform sein und darf nicht zur Verunsicherung privater Erwartungen über zukünftige ökonomische Verhältnisse führen.

Daher sind wirtschaftspolitische Maßnahmen, die Verantwortlichkeit der Wirtschaftssubjekte fördern – beispielsweise können die Eltern selbst entscheiden, in welche öffentliche oder private Schule ihr Kind gehen soll – anderen, zwangsrechtlichen Maßnahmen – jedes Kind wird durch behördliche Entscheidung einer bestimmten Schule zugewiesen – vorzuziehen. Wie schon auf staatsrechtlicher Ebene sollten staatliche Unterstützungsmaßnahmen in der Wirtschaft ausschließlich auf die Erhaltung der Fähigkeit zur Selbsthilfe ausgerichtet sein. Sie dürfen nur zeitlich befristet bei stetig sinkender Finanzhilfe, grundsätzlich nicht auf Dauer gewährt werden.

Der Staat als "Tax Eater" (Honoré Daumier, 1831)

Politisch betrachtet führt die Aufgliederung und Dezentralisierung politischer Aufgaben zu einer angemessenen Befriedigung der Wünsche und Bedürfnisse, je verschiedenartiger die Präferenzen der Bürger sind.

Auf diese Weise kann auch Forderung nach fiskalischer Äquivalenz am besten erfüllt werden. Nach diesem Grundsatz sollen die geleisteten Steuerzahlungen der Bürger in einem angemessenen Verhältnis zu den in Anspruch genommenen Staatsleistungen stehen.

Jeder Bürger ist bekanntlich Steuerzahler und zugleich –empfänger, „taxpayer“ und „taxeater“, wie die Amerikaner sagen. Je weiter entfernter der Staat, desto eher glaubt der Bürger, dass es eine anonyme „Gesellschaft“ ist, die da gute Gaben gibt, und nicht etwa konkrete Mitbürger, denen in die Tasche gegriffen wird. Der „taxeater“ gewinnt die Oberhand. Je näher die Gemeinschaft ist, desto mehr werden die Transfers auch von deren Ethos oder Gemeinsinn definiert und begrenzt. Nach dem Subsidiaritätsprinzip kann jeder Bürger bei den anstehenden Aufgaben und Lösungen persönlich und mitgestaltend eingebunden werden, als „taxpayer“ und als „taxeater“.

Zusätzlich fördert ein geordneter Wettbewerb der dezentral gegliederten Einheiten untereinander die ständige Innovationsbereitschaft und bewirkt dadurch auch eine laufende Steigerung der Qualität öffentlicher Leistungen.  

So ist der Wettbewerb Gordon Tullock zufolge „eines der grundlegendsten Merkmale des Föderalismus. Vom Standpunkt des Bürgers ist es eine gute Sache, wenn Städte und Staaten in einem Wettbewerb stehen und immer bessere Leistungen mit weniger Steuern anbieten können. Solch ein Wettbewerb, Menschen anzulocken, mag den Sozialisten und jenen, die etwas gegen die Marktwirtschaft haben, Kummer bereiten. Auch Beamte mögen es nicht, unter Wettbewerb zu arbeiten. Aber für diejenigen, denen es um das Wohlergehen der Mitbürger geht, funktioniert ein Staat gut, in dem Beamte unter diese Art von Druck gestellt werden.“

Natürlich bleibt eines Zentralisierung von Aufgaben dort sinnvoll, wo sie zu einer Einsparung behördlicher Fixkosten führen. Aber: Je höher die politischen Integrationskosten, also die Summe aus Konsensfindungskosten, Durchsetzungskosten und Frustrationskosten, ausfallen, um so eher sollte eine Aufgabe nach unten verlagert, dezentralisiert werden.

Dergleichen sollte eine Aufgabe nach unten verlagert werden, je höher die Informations- und Kontrollkosten bei einer öffentlichen Aufgabenerfüllung ausfallen, denn die geringere Entfernung zum Bürger bedingt bessere Durchsicht, und die lokale Verwaltungsbehörde vermag Gegebenheiten vor Ort eher zu erkennen und darauf rascher einzugehen.

Schließlich sollte unter verwaltungstechnischen Gesichtspunkten der Staat nur dort Aufgaben regeln, wo die Bürger, Privathaushalte ebenso wie Unternehmen, diese Angelegenheiten nicht selbst besorgen können.

Regelungsumfang und Regelrungsdichte - leider häufig noch ein Problem!

Der Regelungsumfang und die Regelungsdichte zentralstaatlicher Maßnahmen muss dabei auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden. Rahmenregelungen und Mindestvorschriften sind hierbei stets Detailregelungen vorzuziehen.

Selbst wenn zentralstaatliche Maßnahmen getroffen werden, so haben sie immer die finanzielle Eigenverantwortung unterer Ebenen zu berücksichtigen. Die Einnahmeautonomie der kleineren Einheiten ist grundsätzlich zu erhalten; ein Aufgabenzuwachs muss auch zur Anpassung der Finanzquellen führen.

Die unteren Ebenen müssen die Gelegenheit haben, sich vor unberechtigten und willkürlichen Eingriffen höherer Ebenen und damit vor Einschränkung ihres Zuständigkeitsbereichs zu schützen. Eine möglichst mehrstufig gegliederte Verwaltungsgerichtsbarkeit hat daher die Einhaltung der Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Ebenen des Staates zu sichern.

Literatur: Gordon Tullock: The Theory of Public Choice, London 2000)


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