Donnerstag, 26. März 2015

Das Individuum und das Subsidiaritätsprinzip



Subsidiarität (lat.):
Rückhalt, Beistand, Unterstützung, Hilfe


"... so muss doch allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige 
sozialphilosophische Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, 
für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; 
zugleich ist solches überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung.“
(aus der Enzyklika „Quadragesimo anno“; 1931)


Jeder Mensch besitzt Individualität, d.h. jeder hat sein eigenes Aussehen, seinen besonderen Charakter und natürlich auch seine speziellen Erbanlagen. Als Individuum unterscheidet sich der Mensch nun von allen anderen Wesen dadurch, dass er nicht einfach nur da ist, also existiert, sondern dass er sein Leben gestalten, das heißt nach Zielvorstellungen ausrichten kann.

Aber der Mensch ist auch ein gesellschaftliches Wesen. Nicht nur, dass der Mensch von Geburt an auf fremde Hilfe angewiesen ist, vielmehr bietet ihm erst das Leben in Gesellschaft die Möglichkeit, sich geistig zu entwickeln und sich selbst zu verwirklichen. Als vereinzeltes Individuum käme der Mensch niemals zur Entfaltung seiner Anlagen - er hätte noch nicht einmal eine Sprache.

Letztlich liegt das Ziel eines jeden Menschen, sein Glück (griech. εὐδαιμονία, lat. beatitudo) zu erreichen. Dieses Glück, das neben dem Wohl auch Seligkeit, Wohlfahrt, Vervollkommnung, Selbstverwirklichung und Seinsvollendung beinhaltet, beschreibt einen Zustand, bei dem man von jedem Übel frei ist und alle Bedürfnisse dauernd, anhaltend, auf immer befriedigt findet: „Wenn wir das Wort `glückselig´ verwenden, so hat es gar keine andere Bedeutung als eben die einer zusammengefassten Aufhäufung der Güter unter Abtrennung von allem Übel“ (Cicero, Gespräche in Tusculum, 5. Buch, §28).

Quadragesimo anno (1931)
Es war schließlich das päpstliche Lehrschreiben "Quadragesimo anno" (1931), das sich auch dem Thema widmet, auf welchem Weg der Einzelne sein Glück am besten erreichen kann und das in diesem Zusammenhang erstmals den Gedanken des „Subsidiaritätsprinzips“ entfaltete.

Einzelwohl und Gemeinwohl sind hier nun wechselseitig aufeinander bezogen. Das Gemeinwohl wiederum ist dann erfolgversprechend eingerichtet, wenn die Individuen in größtmöglicher Freiheit und Mitverantwortung an den gesellschaftlichen Teilgruppen (z.B. Familie, Betrieb, Partei, Sportclub, Kirche usw.) beteiligt sind, denn es ist die die Selbstinitiative und der aus freiem Antrieb geleistete Einsatz, der dem Einzelnen hilft, seine Persönlichkeit zu entfalten und so Glück zu verschaffen. Neben diesem personalen Aspekt ist das eigenständige Handeln unter Ausnutzung der in jedem Einzelnen steckenden schöpferischen Kräfte auch ökonomisch betrachtet grundsätzlich am wirkungsvollsten.

Was also das Individuum oder kleinere gesellschaftliche Teilgruppen aus eigener Kraft vollbringen können, das darf ihnen nicht entzogen und übergeordneten Stellen zugewiesen werden. Vielmehr müssen sämtlichen Aufgaben dort erledigt werden, wo sie anfallen. Wenn dabei Probleme auftauchen, dann müssen sie zunächst auf jener Ebene aus dem Weg geräumt werden, auf der sie auch entstanden sind. Erst wenn dies nicht zu bewältigen ist, darf durch Hilfe "von oben“ eingegriffen werden. Letztlich geht es darum, das Individuum (oder die gesellschaftliche Teilgruppe) in ihren selbstverantwortlichen Mitwirkungsmöglichkeiten vor Bevormundung zu schützen.

Die Aufgaben müssen dort erledigt werden,
wo sie anfallen.
So dürfen also weder der Einzelne noch die Teilgruppen einfach bürokratisch und von oben nach unten befehlend verwaltet und beherrscht werden. Die Einzelnen und Teilgruppen dürfen ihrerseits aber auch nicht die anstehenden Aufgaben, die sie aufgrund ihrer eigenen Kräfte und Kompetenzen selbst ordentlich lösen können, einfach von unten nach oben abschieben und so der Gesellschaft aufgebürdet.

Der beste Beistand der Gesellschaft für ihre Mitglieder ist somit die Hilfe zur Selbsthilfe. Denn für die Selbstverwirklichung des Einzelnen ist nichts vorteilhafter, als das positive Erlebnis einer selbst vollbrachten Leistung. Die Hilfe zur Selbsthilfe wird dem hilfsbedürftigen Einzelnen vom jeweils am nächsten stehende Glied geleistet, denn seine Unterstützung hat im Regelfall am wenigsten den Zuschnitt der Fremdhilfe und kann daher nicht nur sachkundig, sondern auch ohne Umwege zielgerichtet und sparsam – modern gesprochen ressourcenschonend – geleistet werden. Schließlich kennt jeder die Probleme seines unmittelbaren Aufgabenkreises normalerweise am besten.

Selbstverständlich darf das Subsidiaritätsprinzip nicht zum Selbstzweck missbraucht werden. Wo also sachkundige Einzelne – z.B. ein Arzt oder ein Schulleiter – oder gesellschaftliche Teilgruppen – z.B. ein Rechenzentrum oder eine Bibliothek – tadellose Problemlösungen für das individuelle und gemeinsame Wohl erbringen, darf diese zielgerichtete Gestaltung der Abläufe nicht einem schwatzsüchtigen Selbstverwaltungskörper, der meist noch aus parteiischen Stümpern zusammengesetzt ist, übertragen werden, denn dies führt letztlich nur zu einer gemeinwohlschädigenden Prinzipenreiterei. 


Literatur: Pius XI.: Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO (1931)

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