Im
Jahre 399 v.Chr. wurde Sokrates zum Tode durch den Schierlingsbecher
verurteilt. Die Anklage hatte ihm vorgeworfen, die Jugend zu verderben und den
Göttern zu lästern. Bevor das Urteil vollstreckt wurde, besuchten viele seiner
Freunde Sokrates im Gefängnis, unter ihnen auch Kriton. Dieser hatte bereits
alle notwendigen Vorkehrungen für eine Flucht getroffen, die Gefängniswärter
bestochen und versucht nun Sokrates zu überzeugen, aus dem Gefängnis zu
fliehen.
Johann Gottfried Schadow - Sokrates im Kerker (um 1800) |
Im
Verlauf des Gespräches, das Platon in seinem Dialog „Kriton“ aufgezeichnet hat,
trägt Kriton vier Gründe für eine Flucht vor:
- Man würde in der Öffentlichkeit schlecht über die Freunde von Sokrates sprechen, wenn sie nicht versuchen würden, ihn zu retten.
- Sokrates würde, wenn er sich dem Tod nicht durch Flucht entzöge, der Anklage und ihren ungerechten Vorwürfen Recht geben.
- Sokrates verletze seine Fürsorgepflicht gegenüber seiner Familie, insbesondere gegenüber seinen Kindern.
- Sokrates würde sich der Lächerlichkeit preisgeben, wenn er die Möglichkeit zur Flucht nicht wahrnähme, obwohl bereits alles arrangiert ist.
Zur
allgemeinen Überraschung seiner Freunde weist Sokrates jedoch alle Argumente
zurück und führt nun seinerseits die Gründe an, weshalb er im Gefängnis bleiben
und auf den Tod warten möchte:
- Eine Flucht käme für ihn einer Gesetzesverletzung gleich, denn schließlich ist jedes, so auch dieses Gerichtsurteil eine legale Rechtssache.
- Er habe einen Vertrag mit der Stadt Athen und ihren Gesetzen geschlossen und sich verpflichtet, sie bedingungslos anzuerkennen, zu achten und zu schützen.
- Es habe ihm frei gestanden, bereits zu einem früheren Zeitpunkt ins Exil zu gehen, ein Umstand, den er nicht wahrgenommen habe.
- Eine Flucht würde negative Folgen haben, nicht nur für seine Familie und seine Freunde, sondern auch für Sokrates selbst, da er in der Fremde als Gesetzesverderber verachtet würde.
- Eine Flucht würde bedeuten, dass seine Kinder der Heimat beraubt werden.
- Eine Flucht würde sein ganzes bisheriges Leben, Denken und Lehren lächerlich erscheinen lassen oder machen.
Der
Dialog „Kriton“ handelt vom Sinn und Zweck der Befolgung von Gesetzen.
Rechtsphilosophisch bedeutsam ist der Hinweis, dass Sokrates nichts unternommen
hat, die bestehenden Gesetze zu ändern, er hat sie akzeptiert und akzeptiert
sie auch noch im Angesicht des Todes: „Wer nicht gehorcht, der tut Unrecht“,
stellt Sokrates schlicht fest. Tatsächlich sieht er das Unrecht nicht in den
Gesetzen begründet, sondern in den Menschen, die die Gesetze falsch anwenden,
weil sie ihren Sinn und Geist nicht verstanden haben.
Sokrates
bekräftigt mit seiner Haltung letztlich auch das antike Verständnis von Dike als der unumschränkten Herrschaft des Rechts. Mit dem Gesetz gibt
sich der Mensch eine strenge Fessel, der sich im Sinne der Isonomie alle unterwerfen
müssen. So drückt sich der Staat „objektiv im Gesetz aus, das Gesetz wird
König.“ (Jaeger, 152)
Klar ist, dass es Sokrates nicht um das Verhältnis zu seinen vollkommen
unbedeutenden Anklägern geht, sondern um sein Verhältnis zu Recht und Gesetz.
Sie zu verletzen ist für Sokrates schlimmer als zu sterben, weil er damit das
gute und schöne Leben preisgäbe und letztlich seiner gesamten Lebensauffassung
widerspräche.
Sokrates
Grundanliegen war stets die Sorge um die menschliche Seele. Dies führt er
Kriton und den anderen Freunden in diesem Musterbeispiel ethischer
Argumentation nochmals vor Augen. Bei existentiellen Fragen ist es nötig, einen
kritischen und prüfenden Diskurs zu führen, um herauszubekommen, welches „der
beste Satz“, also das vernünftigste Argument in der betreffenden Angelegenheit
ist.
Sokrates (Louvre, Paris) |
Sokrates
weist auf die Gefahr hin, dass man seine Meinung schnell ändert,
wenn sich im Leben Widrigkeiten präsentieren, die die vorher akzeptierte
Theorie gefährden. Wenn aber „der beste Satz“ gilt, weil er als richtig
anerkannt wurde, dann gilt er unabhängig von allen Umständen in jeder
Situation.
Das
wahrhaft gute Leben ist eben nur möglich, wenn man grundsätzlich die
Schädlichkeit und Schändlichkeit des unrechten Handelns erkannt hat und bereit ist, nach der eigenen
als richtig erkannten Maxime zu handeln – auch wenn man diese Konsequenz mit
dem eigenem Leben bezahlt.
In
diesem Bewusstsein hatte Sokrates bereits am Ende seines Prozesses, unmittelbar
nach der Verkündigung des Urteil selbstbewusst bemerkt: "Nun aber ist es
Zeit fortzugehen, für mich um zu sterben, für euch um zu leben: Wer aber von
uns dem besseren Los entgegengeht, das ist allen verborgen, außer Gott" (Platon:
Apologie des Sokrates).
Zitate
aus: Platon: Apologie des Sokrates - Kriton, beide in: Ges. Werke, Bd.1, Übers.
Von F. Schleiermacher, Hamburg 1957 (Rowohlt
Weitere
Literatur: Werner Jaeger: Paideia. Die Formung des griechischen Menschen,
Berlin 1989 (de Gruyter) --- Christian Meier: Die Entstehung des Politischen
bei den Griechen, Frankfurt am Main 1980 (Suhrkamp)
cool
AntwortenLöschenSokrates war wirklich cool - im Gegensatz zu den vielen, die zwar von sich selbst glauben cool zu sein, aber eigentlich genau das Gegenteil davon sind und hinter ihrer ach so coolen Fassade nur ihre Angst und Unsicherheit verbergen. Sokrates war einfach cool, weil er authentisch war und allen das sagte, was er wirklich dachte, von sich, von anderen und vom ganzen Rest. Cool!
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