Sonntag, 22. April 2012

Martin Luther und der gerechte Preis


US Dollar Sign (Andy Warhol)
Eines der fundamentalen Probleme im Zusammenhang mit dem Thema „Geld und Gerechtigkeit“ ist die Frage nach dem gerechten Preis.

Lange Zeit war die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung von Tausch- und Verteilungs-gerechtigkeit entscheidend für die Beurteilung des Preises.

Das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) orientiert sich an der  Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen. Demnach sind die Preise ungerecht, wenn aufgrund der Höhe der Preise eine angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Grundgütern und die Herstellung und Bewahrung sozial angemessener Lebensverhältnisse nicht gewährleistet werden kann.

„Als ungerecht gilt, wer die Gesetze und die gleichmäßige Verteilung der Güter, die bürgerliche Gleichheit missachtet, also den Unersättlichen (pleonektēs). Somit gilt offenbar als gerecht, wer die Gesetze und die gleichmäßige Verteilung, also die bürgerliche Gleichheit achtet“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1129a31ff).

Nach Aristoteles wird die Verteilungsgerechtigkeit durch die Rechtsordnung der Polis garantiert, die auf der Gleichheit ihrer Bürger vor dem Gesetz beruht. Auf diese Weise wird zugleich die Voraussetzung für eine auf Tauschgerechtigkeit beruhenden Wirtschaftstätigkeit geschaffen.

Geht man von der Tauschgerechtigkeit (iustitia commutativa) aus, dann ist der Preis gerecht, wenn eine Ware zu einem Preis verkauft wird, der den Herstellungs- und Beschaffungskosten entspricht. Andernfalls läge der Tatbestand des Betruges oder Wuchers vor.

Die mittelalterliche Lehre vom iustum pretium, wie man sie etwa bei Thomas von Aquin findet, berechnet den Wert einer Ware genau auf dieser Grundlage der objektiven Kosten von Herstellung und Beschaffung. Thomas bestimmt den Wert eines Gutes zwar über den Marktpreis, dennoch ist es für ihn ungerecht, eine Sache teurer zu verkaufen oder billiger einkaufen als sie wert ist oder beim Kauf Notlagen ausnutzen. Dagegen hält Thomas von Aquin maßvolle Gewinne aus dem Handel für zulässig. So darf der Preis auch die Vergütung für einen entgangenen Nutzen des Verkäufers sein.

Martin Luther
Auch Martin Luthers Gedanken zum gerechten Preis stehen ganz in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin. In seiner Schrift „Von Kaufhandlung und Wucher“ (1524), neben den beiden Sermonen gegen den Wucher die dritte Schrift Luthers zu wirtschaftlichen Fragen, geht Luther zwar davon aus, das der Handel hinsichtlich der Befriedigung der täglichen Bedürfnisse „ein nötig Ding“ sei, weist aber darauf hin, dass „manch böser Griff und schädliche Finanze im Brauch sind“ (WA 15, 293,9f).

Luther fordert deshalb, die Preise nach „Recht und Billigkeit“ festzusetzen. Der Gewinn des Händlers solle sich dabei am  Prinzip der „ziemlichen Nahrung“ ausrichten. Dieses Prinzip wurde im 14. Jahrhundert von Heinrich von Langenstein in seinem „Tractatus bipartitus de contractibus emtionis et venditionis“ entwickelt und beschreibt ursprünglich die Vorstellung eines „standesgemäßen Unterhaltes.“ 

Luther dagegen verwendet den Begriff der "ziemlichen Nahrung" nicht im Sinne feudaler Ansprüche, sondern als Kriterium für ein verantwortliche ökonomisches Handelns. Es geht ihm hierbei vor allem um Bedarfsdeckung des Kaufmanns im Sinne einer lebensnotwendigen Versorgung mit Grundgütern, einschließlich Unkostenerstattung und angemessener Entlohnung.

Entscheidend ist jedoch, dass Luther den Begriff des pretium iustum in Beziehung setzt zum Begriff der „Billigkeit“, worunter im Allgemeinen eine Anpassung eines Rechtssatzes an einen konkreten Fall verstanden wird. „Billigkeit“ steht also im Spannungsfeld zwischen zwei Interessen: der Forderung nach Eindeutigkeit des geschriebenen Gesetzes und der unerlässlichen Flexibilität gegenüber unerwarteten, vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Situationen.  

Weil Luther „Billigkeit“ also im Sinn einer sittlichen Gerechtigkeit und nicht als kodifiziertes Recht versteht, geht es ihm letztlich gar nicht um eine nach rein ökonomischen Kriterien ausgerichtete Preisbildung, ob sie nun durch behördliche Festsetzung oder durch die inneren Kräfte des Marktes bestimmt wird. 

Ein bekannter Kaufmann ...
Luther will vielmehr die ethische Grundentscheidung des Kaufmannes den ökonomischen Regulierungsmechanismen vorgeordnet sehen. Dabei genüge es schon, wenn der Kaufmann mit gutem Gewissen danach trachtet, das rechte Maß, also die „ziemliche Nahrung“ zu treffen. Das Ziel Luthers ist eine optimale Güter- und Einkommensverteilung unter dem Blickwinkel des Allgemeinwohls, aber auch eine für Käufer- und Verkäuferseite akzeptable Preisgestaltung.

An entscheidender Stelle schreibt Luther: „Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, das frei in deiner Macht und deinem Willen ohne jedes Gesetz und Maß steht, als wärest du ein Gott, der niemandem verbunden wäre. Sondern weil dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es mit solchem Gesetz und Gewissen verfasst sein, dass du es übst ohne Schaden und Nachteil deines Nächsten“ (295,22ff).

Eine nach Luther richtige Einstellung des Kaufmanns zu seinem Gewerbe ist demnach erst dann gegeben, wenn dieser vor allen anderen normativen Erwägungen die eigentliche ethische Grundentscheidung zugunsten des Nächsten getroffen hat. Auch wenn der Kaufmann nicht durch staatliche oder kirchliche Obrigkeit durch Gesetz in der Ausübung seiner Wirtschaftstätigkeit gebunden wird, so findet er dennoch in der freien Unterstellung der Person unter das Evangelium eine bindende Norm. 

Literatur: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)  --  Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, München 1991 (dtv)  --  Christian Hecker: Lohn- und Preisgerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Metropolis)  --  Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993

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