Am
2. Dezember 1959 hält Isaiah Berlin im Rahmen der „Robert Waley Cohen Memorial
Lecture“ in der Londoner County Hall einen Vortrag mit dem Titel „John Stuart
Mill und die Ziele des Lebens.“ In seiner Rede huldigt Berlin Mill als den bedeutendsten
Verfechter der bürgerlichen Freiheiten und des modernen Liberalismus.
Isaiah Berlin |
Ähnlich
wie sein Lehrer Jeremy Bentham wandte sich auch Mill gegen jede Form des Dogmatismus und Obskurantismus, gegen alles, was
sich der Vernunft, der Analyse, der empirischen Wissenschaft in den Weg
stellte. Auch Mill verkündete, das Glück sei das einzige Ziel menschlichen
Daseins, aber bald wich er vom Utilitarismus Benthams ab, denn „den größten Wert
maß er nicht der Rationalität oder der Zufriedenheit bei, sondern der
Vielfalt, der Beweglichkeit, der Fülle des Lebens – dem unerklärlichen Sprung
des individuellen Genies, der Spontaneität und Einzigartigkeit eines Menschen,
einer Gruppe, einer Zivilisation“ (261).
Für
Mill unterscheidet sich der Mensch von den Tieren in erster Linie nicht durch
seine Vernunft, sondern dadurch, dass er wählen und sich entscheiden kann und dass
er erst dann ganz er selbst ist, wenn er sich entscheidet und nicht den Entscheidungen
anderer unterliegt. So sucht und bestimmt jeder Mensch seine Ziele und nicht
nur die Mittel, - Ziele, die jeder Mensch auf seine Weise verfolgt, und dies
bedeutet: Je vielfältiger diese Weisen, desto reicher das Leben.
Mill
vertritt einen Individualismus, der auf Unabhängigkeit und der abweichenden
Meinung beruht, der durch jene einsamen Denker verkörpert wird, die dem
Establishment trotzen.
Nicht
nur in der Erziehung,
auch sonst verabscheute Mill jede Standardisierung. So kann er beobachten, dass
selbst im Namen von Philanthropie, Demokratie und Gleichheit die Ziele der
Menschen künstlich beschränkt und geschmälert werden, dass die Mehrheit der
Menschen in eine Herde von „fleißigen Schafen“ verwandelt wurde, dass das „kollektive
Mittelmaß“ alle Originalität und individuelle Begabung nach und nach erstickt.
John Stuart Mill |
So
erkennt Mill schließlich in der individuellen Freiheit die entscheidende
Grundlage jeder gesellschaftlichen Ordnung. Er glaubt an die Freiheit, „weil er
überzeugt ist, dass Menschen sich nicht entwickeln, dass sie nicht gedeihen und
zu wirklichen Menschen werden können, wenn man ihnen nicht einen Freiraum garantiert,
in dem sie von der Einmischung anderer unbehelligt bleiben, einen Raum, den er
für unverletzlich hält oder dazu machen will“ (276f).
Freiheit wird so zu einem Zustand, „in dem die Menschen nicht daran gehindert werden, den Gegenstand ihrer Verehrung und die Art, wie sie ihn verehren, selbst zu wählen“ (293). Erst wenn dieser Zustand erreicht sei, dürfe sich eine Gesellschaft als wirklich frei bezeichnen.
Freiheit wird so zu einem Zustand, „in dem die Menschen nicht daran gehindert werden, den Gegenstand ihrer Verehrung und die Art, wie sie ihn verehren, selbst zu wählen“ (293). Erst wenn dieser Zustand erreicht sei, dürfe sich eine Gesellschaft als wirklich frei bezeichnen.
Entsprechend
dem Worte Kants „Aus so krummen Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann
nicht ganz Gerades gezimmert werden“ sah auch Mill, dass es Unterschiede
zwischen den Menschen gab, dass sie die Fähigkeit haben, zu wählen und sich zu
entscheiden – für das Gute ebenso wie für das Schlechte. So gehören Fehlbarkeit
und das Recht auf Irrtum ebenso zur Freiheit wie Dogmatismus und endgültige
Wahrheiten ihre Feinde sind.
So
war Mill in ständiger Sorge, „Vielfalt zu erhalten, dem Wandel die Türen offenzuhalten,
den Gefahren des gesellschaftlichen Drucks zu widerstehen“ (280).
In
seinem berühmten Traktat „Über die Freiheit“ (1859) fasst Mill seine
Freiheitsidee mit folgenden Worten zusammen: „Die Menschen gewinnen mehr
dadurch, dass sie einander gestatten, so zu leben, wie es ihnen richtig
erscheint, als wenn sie jeden zwingen, nach dem Belieben der übrigen zu leben“ –
eine Binsenweisheit zwar, aber eine, die bis heute immer wieder neu gegen
Konformismus und Intoleranz erkämpft werden muss.
Zitate
aus: Isaiah Berlin: Freiheit. Vier Versuche, Frankfurt am Main 2006 (fischer)
Weitere
Literatur: John Stuart Mill, Über die Freiheit, Köln 2009 (Anaconda)
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