J.S. Mill (Foto aus dem Jahre 1865) |
In der berühmten Schrift "Über die Freiheit" (1859) von John Stuart Mill findet sich auch folgendes Zitat aus dem Werk "Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen" (1792) von Wilhelm von Humboldt :
„Der wahre Zweck des Menschen, (…) ist die stetige und
harmonische Entwicklung seiner Kräfte zu einem vollkommenen Ganzen. Darum ist
‚das Ziel, wonach jeder Mensch unaufhörlich und mit aller Kraft streben muss
(…): Individualität der Kraft und Bildung.’
Dazu aber bedarf es nach Humboldts Ansicht zweier
Bedingungen: es erfordert ‚Freiheit’ und ‚Mannifaltigkeit der Situationen’, und
daraus entstehen ‚individuelle Kraft’ und ‚mannigfaltige Verschiedenheit’, die
sich zu ‚Originalität’ vereinigen“ (94).
Vor dem Hintergrund dieser Gedanken entwirft John Stuart Mill
die Idee einer auf Freiheit und Individualität gegründeten Erziehung.
Es ist die Überzeugung Mills, dass der Mensch nur dann ganz
Mensch wird, wenn er seine persönliche Natur und Individualität entwickelt und kultiviert.
Mill wendet sich damit grundsätzlich gegen alle
gesellschaftlichen Tendenzen, die individuellen Züge des Menschen in
Gleichförmigkeit aufgehen zu lassen und die Entwicklungsmöglichkeiten des
Einzelnen zu behindern.
Der Mensch sei eben keine Maschine, die - nach einem
bestimmten Modell gebaut - eine genau vorgeschriebene Arbeit zu verrichten habe.
„Sie gleicht vielmehr einem Baum, der wachsen und sich nach allen Seiten
ausbreiten möchte, gemäß der Tendenz seiner inneren Kräfte, die ihn zu einem
Lebewesen machen“ (97).
Im Hinblick auf die Erziehung kommt dem Staat natürlich eine
entscheidende Bedeutung zu. Er kann und soll ein gewisses Maß an Erziehung
verlangen und – wenn nötig - auch erzwingen. Dieser Zwang beschränkt sich
allerdings lediglich auf die Erfüllung der Schulpflicht, die in England durch William
Edward Forsters Elementary Education Act 1870, eingeführt wurde – also 3 Jahre
vor dem Tod Mills.
William Edward Forster im Gespräch mit Schulkindern |
Die Eltern sind demnach verpflichtet, ihren Kindern eine
geistige und körperliche Grundausbildung zu ermöglichen, eine Weigerung gleiche
einem „moralischen Verbrechen“ (171).
Voraussetzung für eine Erziehung unter staatlicher Aufsicht
ist natürlich, dass ein Land qualifizierte, d.h. ausgebildete Lehrer habe, die eine
Erziehung nach dem Prinzip der Freiheit anleiten können und die dafür auch
angemessen vergütet würden.
Eine Gefahr sieht Mill jedoch in dem Versuch des Staates,
auch die Inhalte und Werte in der Erziehung zu bestimmen und festsetzen zu wollen.
Solch eine Erziehung diene nur dem Ziel, "alle
Menschen einander anzugleichen“ je nach Geschmack der jeweiligen Regierung „sei
dies ein Monarch, die Priesterschaft, eine Aristokratie oder die Mayorität“
(172).
Hier sieht Mill einen „Despotismus über die Geister“ am Werk,
der „naturgemäß auch zu einer Tyrannei des Handelns führt“ (172).
Alle Versuche des Staates, das Denken seiner Bürger in
bestimmte Bahnen zu zwingen, sind daher von Übel (siehe dazu unten einen aktuellen Nachtrag). Vielmehr habe der Staat
lediglich darauf zu achten, dass jeder Mensch ausreichende Kenntnisse besitzt, um einen
gegebenen Gegenstand auch kritisch reflektieren zu können:
„Für einen Schüler der Philosophie wäre es z.B. heilsam,
wenn er eine Prüfung über die Systeme von Locke und Kant bestanden hätte – auch
wenn er keinem von beiden zustimmen könnte. Es gibt auch keinen vernünftigen
Grund, weshalb ein Atheist sich nicht über seine Kenntnisse in der christlichen
Dogmatik auswiesen sollte. Nur darf man nicht verlangen, dass er sich auch zu
diesen Glaubenssätzen bekenne“ (174).
Die einfachste Möglichkeit, der Gefahr staatlicher
Beeinflussung aus dem Wege zu gehen, wären jährlich stattfindende Examen, die
allein die Aufgabe hätten, Kenntnisse und Fähigkeiten, Tatsachen und positives
Wissen, Mathematik und Sprachen zu überprüfen.
In der Prüfung sollte man strittige religiöse oder
politische Themen keinesfalls vermeiden, nur sollte man sich „nicht einlassen
auf die Frage nach der Wahrheit und Falschheit bestimmter Ansichten“ (174),
sondern deutlich machen, wer diese oder jene Meinung aus diesen oder jenen
Gründen vertritt.
Mills Gedanken sind also ein leidenschaftliches Plädoyer für
eine Erziehung, die auf Freiheit, Individualität und eigenständigem Denken und
Kritikfreudigkeit beruht. Diese Werte haben ihre Gültigkeit in der Pädagogik bis heute nicht verloren.
Nachtrag vom 17.09.2013:
"Alle Versuche des Staates, das Denken seiner Bürger in bestimmte Bahnen zu zwingen, sind daher von Übel." Dazu passt das aktuelle Beispiel aus Katalonien, die Region im Norden Spaniens, die sich in der Vergangenheit nicht eben durch den Schutz individueller Freiheitsrechte verdient gemacht hat (s. die Einträge vom 18. Juli 2013, 20. Dezember 2012, 20. Juni 2013):
Einen Tag, nachdem der staatliche katalanische Fernsehsender TV3 12 Stunden reiner Sendezeit der Menschenkette für die Unabhängigkeit Kataloniens (11. September 2013) widmete, sendete TV3 in seinem Kindersender Super3 eine Reportage über eine katalanische Familie, die an der Menschenkette teilnahm. Hauptdarstellerin ist Berta, ein 9jähriges Mädchen, das gemeinsam mit ihren Eltern und den zwei Brüdern für die Unabhängigkeit Kataloniens auf die Straße geht. Mehrere andere Kinder kommen ebenfalls zu Wort. Sergi (14 Jahre) bekräftigt: "Wir kommen hierher um eine Menschenkette für die Unabhängigkeit zu bilden. Um zu fordern, dass sie (gemeint ist die spanische Regierung) uns unabhängig werden lassen." Estel (13 Jahre) erzählt: Ich bin gekommen, um für die Unabhängigkeit zu kämpfen, hier in Katalonien. Wir Katalanen wollen letztlich, dass Spanien sich zurückzieht und uns unabhängig werden lässt." Anna (12 Jahre) behauptet: "1714 hörten wir Katalanen auf, unabhängig zu sein."
Der Nationalismus der katalanischen Regierung ist also ein "gutes" aktuelles Beispiel für den staatlichen Despotismus, der nicht vor der Indoktrination von Kindern und ihrem Missbrauch für politische Zwecke zurückschreckt. Mill hat diesen Missbrauch der Erziehung vor über 150 Jahren eindeutig entlarvt.
Nachtrag vom 17.09.2013:
"Alle Versuche des Staates, das Denken seiner Bürger in bestimmte Bahnen zu zwingen, sind daher von Übel." Dazu passt das aktuelle Beispiel aus Katalonien, die Region im Norden Spaniens, die sich in der Vergangenheit nicht eben durch den Schutz individueller Freiheitsrechte verdient gemacht hat (s. die Einträge vom 18. Juli 2013, 20. Dezember 2012, 20. Juni 2013):
Einen Tag, nachdem der staatliche katalanische Fernsehsender TV3 12 Stunden reiner Sendezeit der Menschenkette für die Unabhängigkeit Kataloniens (11. September 2013) widmete, sendete TV3 in seinem Kindersender Super3 eine Reportage über eine katalanische Familie, die an der Menschenkette teilnahm. Hauptdarstellerin ist Berta, ein 9jähriges Mädchen, das gemeinsam mit ihren Eltern und den zwei Brüdern für die Unabhängigkeit Kataloniens auf die Straße geht. Mehrere andere Kinder kommen ebenfalls zu Wort. Sergi (14 Jahre) bekräftigt: "Wir kommen hierher um eine Menschenkette für die Unabhängigkeit zu bilden. Um zu fordern, dass sie (gemeint ist die spanische Regierung) uns unabhängig werden lassen." Estel (13 Jahre) erzählt: Ich bin gekommen, um für die Unabhängigkeit zu kämpfen, hier in Katalonien. Wir Katalanen wollen letztlich, dass Spanien sich zurückzieht und uns unabhängig werden lässt." Anna (12 Jahre) behauptet: "1714 hörten wir Katalanen auf, unabhängig zu sein."
Der Nationalismus der katalanischen Regierung ist also ein "gutes" aktuelles Beispiel für den staatlichen Despotismus, der nicht vor der Indoktrination von Kindern und ihrem Missbrauch für politische Zwecke zurückschreckt. Mill hat diesen Missbrauch der Erziehung vor über 150 Jahren eindeutig entlarvt.
Zitate aus: J. S. Mill, Über die Freiheit,
Köln 2009 (Anaconda)
Weitere
Literatur: Wilhelm Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der
Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Stuttgart 1986 (Reclam)
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