Donnerstag, 23. August 2012

Novalis und die Romantik

Novalis (1772 - 1801)
„Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“

Nach Ansicht von Rüdiger Safranski enthalten diese Worte von Novalis die eindeutig beste Definition des Romantischen. Die Romantik ist eine Epoche, das Romantische dagegen eine Geisteshaltung, die sich nicht auf eine Epoche beschränken lässt – „das Romantische gibt es bis heute“ (12).

Für Safranski gehört die Romantik zu den seit zweihundert Jahren nicht abreißenden Suchbewegungen, „die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen sollen“ (13). So triumphiere die Romantik über das Realitätsprinzip, was gut für die Poesie sei, aber schlecht für die Politik, sobald sich das Romantische in die Politik verirrt – wie bei Heidegger gut zu beobachten ist.

Als Novalis, mit bürgerlichen Namen Friedrich von Hardenberg, am 25. März 1801 im Alter von nur neunundzwanzig Jahren starb, war er nahezu unbekannt. Sein eigentlicher Ruhm begann, als Ludwig Tieck und Friedrich Schlegel ein Jahr nach seinem Tod einige der nachgelassenen Werke veröffentlichten.

Schnell wurde Novalis zur mythischen Figur der Romantik. Mit seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ hatte Novalis nichts Geringeres vor, „als den Deutschen ihren romantischen Mythos zu dichten. Es sollte darin alles seinen Platz finden, die Entstehung des christlichen Abendlandes, griechisch-antike Einflüsse, morgenländische Weisheit, römisches Herrschaftswissen, die hohe Zeit der Staufer-Kaiser, die politischen und geistigen Schicksale Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart, märchenhaft und gedankenreich, erzählend und reflektierend“ (111).

Die Rede „Die Christenheit oder Europa“, geschrieben 1799, wurde von Tieck und Schlegel zunächst nur gekürzt herausgegeben. Novalis hatte sie in dem historischen Augenblick verfasst, als Napoleon sich anschickte, zum Herrscher über Europa zu werden und es scheinbar so aussieht, als würde das alte, christliche Europa verschwinden.

Diese Rede ist in diesem Kontext nichts anderes als der „Versuch, die Geschichte der Vertrocknung des heiligen Sinns zu erzählen, die Gründe dafür ausfindig zu machen und die Chancen einer Erneuerung zu erkunden“ (125). Alles komme darauf an, den heiligen Sinn, oder auch den unsterblichen Sinn, in sich selbst zu bewahren und dafür zu sorgen, dass er in der gegenwärtigen Welt nicht erlischt.

Die Rede selbst ist eine „poetisch formulierte Geschichts- und Religionsphilosophie, die in die Vision eines dritten Weltzeitalters mündet“. Elegisch und prophetisch fordert sie nicht eine Rückkehr in eine gute, alte Zeit, sondern den Aufbruch zu neuen Ufern, für eine gewandelte, wiedergeborene Christenheit in einem geeinten Europa, gleichwohl „geeint nicht nur durch die Waffen Napoleons oder die Hegemonie eines nationalen Geistes, sondern geeint in universeller spiritueller Gemeinschaft, ohne Rücksicht auf Landesgrenzen“ (126).

Die Rede rief bei den Freunden, denen Novalis die Rede persönlich vortrug, Verwirrung hervor. Sie beschlossen, sie nicht im Athenäum drucken zu lassen. Auch Goethe empfahl, den Text nicht zu veröffentlichen, weil er der Öffentlichkeit Vorwände zu Verleumdungen bieten könnte.

Aber: Ist die Rede wirklich, wie manche meinen, eine reaktionäre Utopie? Der Kerngedanke der Rede lautet: Wo keine Götter sind, walten Gespenster.

„Gegenwärtig, so Novalis, herrschen die Gespenster des Eigennutzes, des Nationalismus, des politischen Machtdenkens. Wir würden das heute ‚Ideologien‘ nennen. Sie sind an die Stelle des verkümmerten heiligen Sinns getreten. Man hat das Wissen vom Glauben losgerissen und wirft sich nun mit Glaubenseifer auf die Wissenschaft als Ersatzreligion“ (127).

Die Folge dieses Prozesses sei, dass der gegenwärtige Mensch rastlos beschäftigt ist, die Natur, den Erdboden, die menschlichen Seelen und die Wissenschaften von der Poesie zu säubern, - jede Spur des Heiligen zu vertilgen, das Andenken an alle erhebenden Vorfälle und Menschen durch Sarkasmen zu verleiden, und die Welt alles bunten Schmucks zu entkleiden.

Junotempel in Agrient - Caspar David Friedrich (1774–1840)  

Die Verbindung von Poesie und Religion ist für Novalis die Garantie für die Wiedergeburt eines neuen dritten Zeitalters – nach der Antike und dem christlichen Mittelalter. Diese neue Zeit aber würde vom poetischen Geist inspiriert sein, der sich aber eben nicht im Unbestimmten verlieren dürfe.

  
Zitate aus: Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. Frankfurt a.M. 2009 (fischer) -- Novalis: Die Christenheit oder Europa, online bei Zeno.org

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