Novalis (1772 - 1801) |
„Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“
Nach
Ansicht von Rüdiger Safranski enthalten diese Worte von Novalis die eindeutig beste
Definition des Romantischen. Die Romantik ist eine Epoche, das Romantische
dagegen eine Geisteshaltung, die sich nicht auf eine Epoche beschränken lässt –
„das Romantische gibt es bis heute“ (12).
Für
Safranski gehört die Romantik zu den seit zweihundert Jahren nicht abreißenden
Suchbewegungen, „die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas
entgegensetzen sollen“ (13). So triumphiere die Romantik über das
Realitätsprinzip, was gut für die Poesie sei, aber schlecht für die Politik,
sobald sich das Romantische in die Politik verirrt – wie bei Heidegger gut zu beobachten ist.
Als Novalis,
mit bürgerlichen Namen Friedrich von Hardenberg, am 25. März 1801 im Alter von nur neunundzwanzig Jahren starb, war er nahezu unbekannt. Sein eigentlicher
Ruhm begann, als Ludwig Tieck und Friedrich Schlegel ein Jahr nach seinem Tod
einige der nachgelassenen Werke veröffentlichten.
Schnell wurde Novalis zur mythischen Figur der Romantik. Mit seinem Roman „Heinrich von
Ofterdingen“ hatte Novalis nichts Geringeres vor, „als den Deutschen ihren
romantischen Mythos zu dichten. Es sollte darin alles seinen Platz finden, die Entstehung
des christlichen Abendlandes, griechisch-antike Einflüsse, morgenländische
Weisheit, römisches Herrschaftswissen, die hohe Zeit der Staufer-Kaiser, die
politischen und geistigen Schicksale Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart,
märchenhaft und gedankenreich, erzählend und reflektierend“ (111).
Die
Rede „Die Christenheit oder Europa“, geschrieben 1799, wurde von Tieck und Schlegel
zunächst nur gekürzt herausgegeben. Novalis hatte sie in dem historischen
Augenblick verfasst, als Napoleon sich anschickte, zum Herrscher über Europa zu
werden und es scheinbar so aussieht, als würde das alte, christliche Europa
verschwinden.
Diese
Rede ist in diesem Kontext nichts anderes als der „Versuch, die Geschichte der Vertrocknung des heiligen Sinns zu
erzählen, die Gründe dafür ausfindig zu machen und die Chancen einer Erneuerung
zu erkunden“ (125). Alles komme darauf an, den heiligen Sinn, oder auch den unsterblichen
Sinn, in sich selbst zu bewahren und dafür zu sorgen, dass er in der
gegenwärtigen Welt nicht erlischt.
Die
Rede selbst ist eine „poetisch formulierte Geschichts- und Religionsphilosophie,
die in die Vision eines dritten Weltzeitalters mündet“. Elegisch und prophetisch
fordert sie nicht eine Rückkehr in eine gute, alte Zeit, sondern den Aufbruch
zu neuen Ufern, für eine gewandelte, wiedergeborene Christenheit in einem
geeinten Europa, gleichwohl „geeint nicht nur durch die Waffen Napoleons oder
die Hegemonie eines nationalen Geistes,
sondern geeint in universeller spiritueller Gemeinschaft, ohne Rücksicht auf Landesgrenzen“ (126).
Die
Rede rief bei den Freunden, denen Novalis die Rede persönlich vortrug, Verwirrung
hervor. Sie beschlossen, sie nicht im Athenäum drucken zu lassen. Auch Goethe
empfahl, den Text nicht zu veröffentlichen, weil er der Öffentlichkeit
Vorwände zu Verleumdungen bieten könnte.
Aber: Ist
die Rede wirklich, wie manche meinen, eine reaktionäre Utopie? Der Kerngedanke
der Rede lautet: Wo keine Götter sind,
walten Gespenster.
„Gegenwärtig,
so Novalis, herrschen die Gespenster
des Eigennutzes, des Nationalismus, des politischen Machtdenkens. Wir würden
das heute ‚Ideologien‘ nennen. Sie sind an die Stelle des verkümmerten heiligen Sinns getreten. Man hat das
Wissen vom Glauben losgerissen und wirft sich nun mit Glaubenseifer auf die
Wissenschaft als Ersatzreligion“ (127).
Die
Folge dieses Prozesses sei, dass der gegenwärtige Mensch rastlos beschäftigt ist, die Natur, den Erdboden, die menschlichen
Seelen und die Wissenschaften von der Poesie zu säubern, - jede Spur des
Heiligen zu vertilgen, das Andenken an alle erhebenden Vorfälle und Menschen
durch Sarkasmen zu verleiden, und die Welt alles bunten Schmucks zu entkleiden.
Junotempel in Agrient - Caspar David Friedrich (1774–1840) |
Die
Verbindung von Poesie und Religion ist für Novalis die Garantie für die
Wiedergeburt eines neuen dritten Zeitalters – nach der Antike und dem
christlichen Mittelalter. Diese neue
Zeit aber würde vom poetischen Geist inspiriert sein, der sich aber eben nicht
im Unbestimmten verlieren dürfe.
Ansonsten
begänne für Novalis die „unheilvolle Geschichte des modernen Aberglaubens, der die Welt aus einem Punkt begreifen und kurieren will“ (132).
Zitate
aus: Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. Frankfurt a.M. 2009
(fischer) -- Novalis: Die Christenheit oder Europa, online bei Zeno.org
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