Montag, 12. Dezember 2011

Adamántios Koraís und die Erfindung der Sprache

Ein wichtiges Element einer Nation ist die Sprache. Die Mehrheit der heutigen Nationalsprachen in Europa sind jedoch keinesfalls „aus den uralten Tiefen der Volksseele“ emporgestiegen, sondern waren meist das Ergebnis der Arbeit einiger weniger Intellektueller. Die Entwicklung der griechischen Hochsprache durch Adamántios Koraís ist dafür ein gutes Beispiel.

Adamántios Koraís (1748-1833)
Nach einer kaufmännischen Ausbildung in Holland und Frankreich ließ sich Koraís im Jahre 1788 in Paris nieder. Er wollte sich nun ganz der Literatur widmen und beschäftigte sich mit Themen der Kirche, Schule, Wissenschaft und Politik.

Trotz der Annahme der französischen Staatsbürgerschaft, blieb er seiner griechischen Herkunft treu. Sein Traum war die geistige Wiedergeburt Griechenlands auf der Grundlage einer gemeinsamen Sprache. Schon Ernest Renan hatte in seinem Vortrag „Was ist eine Nation?“ (1882) festgestellt, dass eine Sprache dazu einlädt, sich zu vereinigen (27). 

Koraís ahnte, dass das geschichtliche Bewusstsein der Griechen, ihr hellenistischer Ursprung nur geweckt werden könne, wenn es gelingt, aus der der gesprochenen Volkssprache (gr. δημοτική - Dimotiki) auch eine nationale Schriftsprache abzuleiten. Um dies zu erreichen, fügte Koraís einfach Elemente des klassischen Altgriechisch zur Dimotiki hinzu und entwickelt daraus die „reine“ griechische Hochsprache (gr. καθαρεύουσα  - Katharevousa).

Gleiches lässt sich auch anderen Ländern Europas beobachten. So waren Barbu Paris Mumuleanu (1794-1836) für das Rumänsiche, Ivar Aasen (1813-1896) für das Norwegische, Vuk Stefanovic Karadzic (1787-1864) für das Serbische oder auch Anton Bernolák (1762-1813) für das Slowakische maßgebend bei der Ausbildung der jeweiligen Hochsprache. Die Liste ließe sich verlängern.

Die Mehrheit der Nationalsprachen, die heute so dauerhaft und festverwurzelt in den Kulturen der europäischen Völker erscheinen, entstanden also erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. Sie wurden „aus den vagen Regionen der volkstümlichen Umgangssprachen geschöpft und in die strenge Form grammatikalisch standardisierter Schriftsprache gegossen, ja teilweise überhaupt erst erfunden. Und was die Philologen nicht schufen, das stifteten die Dichter …“ (176)

Sicherlich ist jede Sprache ein unersetzbarer Bestandteil des kulturellen Reichtums der Menschheit. Gleichwohl hat eine zu starke Betonung einer Sprache und ihre ausschließliche Berücksichtigung auch ihre Gefahren - wie man gut an dem Streit um die Durchsetzung der Regionalsprachen in Spanien beobachten kann. Hier betreiben die Regionalregierungen mit fragwürdigen Mitteln eine ausschließende Sprachpolitik, die mit formalen rechtsstaatlichen Gleichheitsgrundsätzen nicht mehr viel zu tun hat.

Dazu noch einmal Ernest Renan: „Wenn man zuviel Wert auf die Sprache legt, schließt man sich in einer bestimmten, für national gehaltenen Kultur ein. Man begrenzt sich, ... man verlässt die freie Luft, die man in der Weite der Menschheit atmet, um sich in die Konventikel seiner Mitbürger zurückzuziehen. Nichts ist schlimmer für den Geist, nichts schlimmer für die Zivilisation“ (29).

Zitate aus: Hagen Schulze: Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München 2004 (C.H. Beck) --- Ernest Renan: Was ist eine Nation?, Rede am 11. März 1882 an der Sorbonne. Reihe EVA Reden, Bd. 20, Hamburg 1996 (Europäische Verlagsanstalt) 

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