Im Jahre 1690 erschienen die "Two Treatises of
Goverment" von John Locke. Insbesondere in der „Zweiten Abhandlung“
formulierte Locke die Spielregeln des modernen Rechtsstaates, die bis heute ihre
Gültigkeit nicht verloren haben. Seine Überlegungen zum Naturrecht, zur
Volkssouveränität, zu den Grund- und Freiheitsrechten, zur Gewaltenteilung
und zum Widerstandsrecht führen direkt zu den
modernen demokratischen Staaten unserer Zeit.
Wie alle Vertragstheoretiker geht auch Locke von einem
hypothetischen Naturzustand aus. Nach ihm wird der Mensch mit einem Rechtsanspruch
auf vollkommene Freiheit und in völliger Gleichheit mit jedem anderen Menschen
auf dieser Welt geboren (§ 87).
Aber: Wenn der Mensch im Naturzustand so frei ist, wenn er
sein absoluter Herr ist und niemandem untertan, warum soll er dann auf seine
Freiheit verzichten? Warum soll er seine Selbständigkeit aufgeben und sich der
Herrschaft und dem Zwang einer staatlichen Gewalt unterwerfen? (§123)
Der Naturzustand ist nach Locke ein Zustand, in dem
„Vernunftgesetz“ herrscht, das den Menschen motiviert, aus dem Stadium der
Vereinzelung herauszutreten und sich auf einen sozialen Zusammenschluss mit
anderen Menschen einzulassen. Somit ist der Naturzustand im Gegensatz zu Thomas Hobbes
zwar kein Zustand der Anarchie, gleichwohl ist es ein unsicherer Zustand, denn
folgende Defizite lassen sich feststellen:
Im Naturzustand gibt es weder feststehende Gesetze, die
durch allgemeine Zustimmung durch das Volk oder seine Vertreter als die Norm
für Recht und Unrecht und als der allgemeine Maßstab bei Urteilen anerkannt
sind (§124). Im Naturzustand fehlt es an anerkannten und unparteiischen
Richtern, die mit der Autorität ausgestattet sind, alle Streitigkeiten nach den
bekannten Gesetzen zu entscheiden (§125). Drittens fehlt im Naturzustand eine exekutive
Gewalt, die die Ausführung des gerechten Urteils und der entsprechenden Strafe
sichert (§126).
Der Grund für die Notwendigkeit dieser rechtsstaatlichen Elemente
liegt für Locke in der Hauptaufgabe der staatlichen Gewalt begründet – dem
Schutz des Eigentums.
Im Englischen steht der Begriff „Property“, dessen
deutsche Übersetzung mit dem Begriff „Eigentum“ jedoch zu erheblichen
Missverständnissen geführt hat. Locke fasst unter dem Begriff „property“ nämlich drei andere Begriffe zusammen: „Life“, „freedom“ und „estate“, also das Leben,
die Freiheit und den Besitz.
Das „Eigentum“ des Menschen wird für Locke so zu einem
unverletzbares Grundrecht des Menschen, das gleichermaßen die Integrität des
Körpers, die Meinungs-, Handlungs- und Bewegungsfreiheiten umschließt wie den
rechtmäßig erworbenen Besitz.
Da im Deutschen der Begriff „Eigentum“ fast ausschließlich
das Sacheigentum beschreibt, wurde Locke in der Vergangenheit meist als
Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft von Eigentümern, als Vertreter eines
frühkapitalistischen Besitzindividualismus interpretiert und missverstanden.
Dagegen ist „Eigentum“ im Sinne Lockes immer zugleich auch
„Rechtseigentum“. So wird der Schutz dieses Rechtes zur Hauptaufgabe des
Staates.
Mit „goverment“ meint Locke jedoch nicht nur die exekutive
Gewalt der Regierung, sondern die gesamt staatliche Rechtsordnung
einschließlich aller Gewalten und Institutionen.
Damit entwickelt Locke nicht nur seine Lehre von der
Legitimität politischer Macht, sondern entwirft auch das Bild eines Bürgers,
der seine Freiheit und sein Recht selbstbewusst gegenüber allen anderen Mächten
einfordert.
„Die Menschen würden doch nicht auf die Freiheit des
Naturzustandes verzichten und sich selbst Fesseln anlegen, wenn es nicht darum
ginge, ihr Leben, ihre Freiheiten und ihren Besitz zu erhalten und aufgrund
fester Regeln für Recht und Eigentum ihren Frieden und ihre Ruhe zu sichern (…)
Das hieße, sich selbst in eine schlimmere Lage zu versetzen, als es der
Naturzustand war, in dem sie immerhin die Freiheit hatten, ihr Recht gegen das
Unrecht anderer zu verteidigen.“ (§137).
Bedauerlicherweise haben heutzutage zuviele Staaten erhebliche Mühe, dem Grundgedanken und Anspruch Lockes gerecht zu werden - dass nämlich der Staat ein Werkzeug des Bürgers und nicht der Bürger ein Werkzeug des Staates ist.
Zitate aus: John Locke: Zweite Abhandlung über die
Regierung, Frankfurt am Main 2007 (Suhrkamp Studienbibliothek)
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