Mittwoch, 9. November 2011

John Locke und das Eigentum


Im Jahre 1690 erschienen die "Two Treatises of Goverment" von John Locke. Insbesondere in der „Zweiten Abhandlung“ formulierte Locke die Spielregeln des modernen Rechtsstaates, die bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren haben. Seine Überlegungen zum Naturrecht, zur Volkssouveränität, zu den Grund- und Freiheitsrechten, zur Gewaltenteilung und zum Widerstandsrecht führen direkt zu den modernen demokratischen Staaten unserer Zeit.

Wie alle Vertragstheoretiker geht auch Locke von einem hypothetischen Naturzustand aus. Nach ihm wird der Mensch mit einem Rechtsanspruch auf vollkommene Freiheit und in völliger Gleichheit mit jedem anderen Menschen auf dieser Welt geboren (§ 87). 

Aber: Wenn der Mensch im Naturzustand so frei ist, wenn er sein absoluter Herr ist und niemandem untertan, warum soll er dann auf seine Freiheit verzichten? Warum soll er seine Selbständigkeit aufgeben und sich der Herrschaft und dem Zwang einer staatlichen Gewalt unterwerfen? (§123)

Der Naturzustand ist nach Locke ein Zustand, in dem „Vernunftgesetz“ herrscht, das den Menschen motiviert, aus dem Stadium der Vereinzelung herauszutreten und sich auf einen sozialen Zusammenschluss mit anderen Menschen einzulassen. Somit ist der Naturzustand im Gegensatz zu Thomas Hobbes zwar kein Zustand der Anarchie, gleichwohl ist es ein unsicherer Zustand, denn folgende Defizite lassen sich feststellen:

Im Naturzustand gibt es weder feststehende Gesetze, die durch allgemeine Zustimmung durch das Volk oder seine Vertreter als die Norm für Recht und Unrecht und als der allgemeine Maßstab bei Urteilen anerkannt sind (§124). Im Naturzustand fehlt es an anerkannten und unparteiischen Richtern, die mit der Autorität ausgestattet sind, alle Streitigkeiten nach den bekannten Gesetzen zu entscheiden (§125). Drittens fehlt im Naturzustand eine exekutive Gewalt, die die Ausführung des gerechten Urteils und der entsprechenden Strafe sichert (§126).

Der Grund für die Notwendigkeit dieser rechtsstaatlichen Elemente liegt für Locke in der Hauptaufgabe der staatlichen Gewalt begründet – dem Schutz des Eigentums.

Im Englischen steht der Begriff „Property“, dessen deutsche Übersetzung mit dem Begriff „Eigentum“ jedoch zu erheblichen Missverständnissen geführt hat. Locke fasst unter dem Begriff „property“ nämlich drei andere Begriffe zusammen: „Life“, „freedom“ und „estate“, also das Leben, die Freiheit und den Besitz.

Das „Eigentum“ des Menschen wird für Locke so zu einem unverletzbares Grundrecht des Menschen, das gleichermaßen die Integrität des Körpers, die Meinungs-, Handlungs- und Bewegungsfreiheiten umschließt wie den rechtmäßig erworbenen Besitz.

Da im Deutschen der Begriff „Eigentum“ fast ausschließlich das Sacheigentum beschreibt, wurde Locke in der Vergangenheit meist als Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft von Eigentümern, als Vertreter eines frühkapitalistischen Besitzindividualismus interpretiert und missverstanden.

Dagegen ist „Eigentum“ im Sinne Lockes immer zugleich auch „Rechtseigentum“. So wird der Schutz dieses Rechtes zur Hauptaufgabe des Staates.

Mit „goverment“ meint Locke jedoch nicht nur die exekutive Gewalt der Regierung, sondern die gesamt staatliche Rechtsordnung einschließlich aller Gewalten und Institutionen.

Damit entwickelt Locke nicht nur seine Lehre von der Legitimität politischer Macht, sondern entwirft auch das Bild eines Bürgers, der seine Freiheit und sein Recht selbstbewusst gegenüber allen anderen Mächten einfordert.

„Die Menschen würden doch nicht auf die Freiheit des Naturzustandes verzichten und sich selbst Fesseln anlegen, wenn es nicht darum ginge, ihr Leben, ihre Freiheiten und ihren Besitz zu erhalten und aufgrund fester Regeln für Recht und Eigentum ihren Frieden und ihre Ruhe zu sichern (…) Das hieße, sich selbst in eine schlimmere Lage zu versetzen, als es der Naturzustand war, in dem sie immerhin die Freiheit hatten, ihr Recht gegen das Unrecht anderer zu verteidigen.“ (§137).

Bedauerlicherweise haben heutzutage zuviele Staaten erhebliche Mühe, dem Grundgedanken und Anspruch Lockes gerecht zu werden - dass nämlich der Staat ein Werkzeug des Bürgers und nicht der Bürger ein Werkzeug des Staates ist.

Zitate aus: John Locke: Zweite Abhandlung über die Regierung, Frankfurt am Main 2007 (Suhrkamp Studienbibliothek)

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