Montag, 7. November 2011

John Rawls und die Fairness

Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sind die wohl wichtigsten politischen Grundwerte, mit denen gleichermaßen das Leitbild eines vernünftigen Zusammenlebens von Menschen in einer Gesellschaft beschrieben, wie auch jede rechtsstaatliche Ordnung legitimiert wird.

Der enge Zusammenhang zwischen diesen Begriffen wurde erst während der Aufklärung hergestellt. Nachdem die Begründung von Gerechtigkeitsgrundsätzen danach jedoch längere Zeit vernachlässigt worden war, war es John Rawls, der die Tradition der Aufklärung wieder aufnahm.

In seinem Hauptwerk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ (1971) versucht er, liberale und wohlfahrtsstaatliche Gedanken miteinander zu verknüpfen. Wie seine Vorgänger in der Aufklärung geht auch Rawls davon aus, dass es in der Gesellschaft gültige Maßstäbe der Gerechtigkeit geben muss, die von den Bürgern legitimiert sind.

Diese Forderung verknüpft Rawls mit der Idee des Gesellschaftsvertrages. Wie die Aufklärer behauptet auch Rawls, dass die Menschen im Urzustand vernünftig sind, also nicht nur an ihrem eigenen Nutzen, sondern am Wohlergehen aller interessiert sind.

Er vertritt nun die These, dass sich die Menschen in einem gesellschaftlichen Urzustand auf folgende Gerechtigkeitsgrundsätze einigen würden:

„Einmal die Gleichheit der Grundrechte und –pflichten; zum anderen auf den Grundsatz, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, etwa verschiedener Reichtum oder verschiedene Macht, nur dann gerecht sind, wenn sich aus ihnen Vorteile für jedermann ergeben, insbesondere für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft.“ (31f)

Rawls folgt damit zunächst der traditionellen Forderung des Liberalismus nach möglichst viel individueller Freiheit auf der Grundlage formaler Rechtsgleichheit. Gleichwohl wird die Idee einer gerechten Gesellschaft ergänzt durch die Notwendigkeit, materielle Güter und Ressourcen fair zu verteilen, eine möglichst breite Chancengleichheit bezüglich Ämter und Positionen zu erreichen und schließlich soziale Unterschiede zumindest zu begrenzen.

Vor allem dieser letzte Anspruch stößt bei Liberalen wie Friedrich August Hayek auf Skepsis:

Mit dem sozialphilosophischen Ansatz Rawls´ wusste Hayek nur wenig anzufangen. Zwar findet er ihn auf den ersten Blick "unerhört plausibel", aber die Konsequenz aus dessen Gerechtigkeitskonzept wäre eine geplante Wirtschaft, die Hayek als utopische Forderung abtun muss. Rawls´ Schlussfolgerungen erscheinen ihm daher als der Versuch, etwas ändern zu wollen, das man doch nicht ändern kann: "Den Mond anbellen", wie Hayek das Anliegen von Rawls ´umfänglicher Theorie der Gerechtigkeit knapp bilanziert.

Für Rawls jedoch steht fest: „Die Gerechtigkeit eines Gesellschaftsmodells hängt wesentlich davon ab, wie die Grundrechte und – pflichten und die wirtschaftlichen Möglichkeiten und sozialen Verhältnisse in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft bestimmt werden.“ (24)

Nach den beiden Gerechtigkeitsgrundsätzen wären soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, etwa unter­schied­licher Reichtum oder Macht, dann gerecht, wenn sich aus ihnen Vorteile für alle Bürger ergeben. So wäre es nicht ungerecht, wenn wenige zwar Vorteile haben, aber es gleichzeitig den nicht so Begünstigten auch besser geht.

Diese Idee könnte nach Rawls die faire Grundlage dafür sein, dass die Begabteren und sozial besser Gestellten - was beiden nicht als Verdienst angesehen werden kann - auf die bereitwillige Mitarbeit anderer rechnen können, sofern das Wohlergehen aller erreicht wird.

Auch wenn der Wohlstand niemals für alle gleich sein wird, wäre Gerechtigkeit verstanden als Fairness gleichwohl erfüllt.


Zitate aus: John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 2003 (Suhrkamp)
Weitere Literatur: Hans Jörg Hennecke: Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit, Düsseldorf 2000 (Verlag Wirtschaft und Finanzen) - Zum Hören: John Rawls im Philosophischen Radio auf WDR 5

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