Donnerstag, 5. Dezember 2013

Paul Feyerabend und die freie Gesellschaft

Paul Feyerabend (1924 - 1994)
Kaum ein Philosoph des späten 20. Jahrhunderts hat mehr provoziert und mehr Kontroversen ausgelöst als Paul Feyerabend. Mit seinem Hauptwerk Wider den Methodenzwang (1975) forderte er das traditionelle Wissenschaftsverständnis heraus, indem er alle Methoden der Erkenntnisgewinnung, einschließlich der nicht-wissenschaftlichen, für gleichermaßen legitim, erklärte.

Feyerabend trat aber nicht nur für einen Pluralismus der Methoden, sondern auch für eine gleichberechtigte Vielfalt von Weltdeutungen ein. Jede kulturelle Tradition sollte gleichen Zugang zu den Erziehungs- und Bildungsinstitutionen haben. Mit seiner These Anything goes schuf er einen bekannten Slogan, der auch in der Philosophie der Postmoderne aufgegriffen wurde.

Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stand stets das reife und mündige Individuum in einer freien Gesellschaft. In seinem Buch Erkenntnis für freie Menschen (1979) wendet sich Feyerabend nicht nur gegen das Denken in Kollektiven, sondern er warnt auch vor einer Entmündigung des Bürgers durch die Herrschaft der so genannten wissenschaftlichen Experten.

Vielfalt als Anything goes - eine nicht immer unproblematische Aussage

Feyerabend geht davon aus, dass in einer freien Gesellschaft jeder Mensch das Recht hat, zu lesen, zu schreiben und zu verteidigen, was immer er für gut hält. Er ist nicht nur für sein Denken, sondern gleichermaßen auch für sein Tun selbst verantwortlich: „Erkrankt ein Mensch, dann sollte er das Recht haben, nach seinen eigenen Wünschen behandelt zu werden, von Handauflegern, wenn er an das Handauflegen glaubt, von wissenschaftlichen Ärzten, wenn er der Wissenschaft größeres Vertrauen schenkt.“

Aber der Bürger habe nicht nur das Recht, seine eigenen Ideen zu haben, sondern er kann auch Vereine gründen, die seinen Standpunkt unterstützen. „Dieses Recht kommt dem Bürger aus zwei Gründen zu; erstens, weil jeder Mensch die Möglichkeiten haben muss, das zu verfolgen, was er für die Wahrheit und das richtige Verfahren hält; und zweitens, weil allein die Untersuchung und der Betrieb von Alternativen die Grenzen dessen ermitteln können, was man allgemein für die Wahrheit hält. Diese Gründe wurden von Mill in seinem unsterblichen Essay On Liberty erklärt. Es ist nicht möglich, seiner Argumente zu verbessern.“

Eine freie Gesellschaft sei eben eine Versammlung reifer Menschen und nicht eine Herde von Schafen, geführt von einer kleinen Gruppe von Besserwissern. Aber Reife liege auch nicht auf der Straße herum, sondern man muss sie lernen


Diese Reife lerne man, so Feyerabend weiter, wohl kaum in der Schule, sondern nur durch aktive Teilnahme an Entscheidungen. Reife ist mehr als Spezialwissen.

Die Wissenschaftler glaubten hingegen, dass es nicht Besseres gibt, als die Wissenschaften. „Aber die Bürger einer freien Gesellschaft können sich mit einem solchen frommen Glauben nicht zufrieden geben. Teilnahme von Laien an grundlegenden Entscheidungen ist daher geboten, selbst wenn eine solche Teilnahme die Erfolgsrate der Entscheidungen vermindern sollte.“


Feyerabend gibt zu, dass nur wenige Demokratien diesen Maßstäben genügen, „aber wenn sie es tun, dann leisten sie einen sichtigen Beitrag zu unserer Zivilisation.“

Zitate aus: Paul Feyerabend: Erkenntnis für freie Menschen, Frankfurt a.M. 1980 (Suhrkamp), hier: 167ff

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