Donnerstag, 21. März 2013

Ludwig von Mises und die Aufgaben des Staates


Ludwig von Mises (1881 - 1973)
So wie Thomas Hobbes den Staat als „Leviathan“, als Ungeheuer beschreibt, so ist auch für Ludwig von Mises, dem großen Vertreter des Liberalismus, der Staat in erster Linie ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat. Dies gelte für jeden Staat, ganz besonders jedoch vom sozialistischen Staat.

„Alles, was der Staat ist und vermag, ist Zwang und Gewaltanwendung.“  Das Ziel, das der Staat verfolgt, ist letztlich das „Verhalten, das dem Bestande der Gesellschaftsordnung gefährlich ist, zu unterdrücken.“ Schon die Römer hatten gemäß ihrer pragmatischen Staatsauffassung diesen Tatbestand symbolisch ausgedrückt, „indem sie Beil und Rutenbündel als Sinnbild des Staates annahmen.“

Wenig hält von Mises vom „abstrusen Mystizismus“ einer Staatsvergottung und Staatsanbetung, der sich in den idealistischen Staatsauffassungen eines Schelling oder Hegel manifestiert. Für den einen ist der Staat demnach „das unmittelbare und sichtbare Bild des absoluten Lebens, eine Stufe der Offenbarung des Absoluten, der Weltseele“, für den anderen „offenbart sich in dem Staate die absolute Vernunft, realisiert sich in ihm der objektive Geist.“

Für von Mises ist der Staat vielmehr „ein abstrakter Begriff, in dessen Namen lebendige Menschen - die Organe des Staates, die Regierung - handeln. Alle Staatstätigkeit ist menschliches Handeln, Übel von Menschen, Menschen zugefügt. Der Zweck - Erhaltung der Gesellschaft - rechtfertigt das Handeln der Staatsorgane.“

Natürlich ist sich von Mises bewusst, dass die zugefügten Übel von denen die darunter leiden, nichtsdestoweniger als Übel empfunden werden. Er ist sich aber auch darüber klar, dass das Übel, das der Mensch dem Mitmenschen zufügt, beide schädigt, „nicht nur den, den es trifft, sondern auch den, der es tut. Nichts verderbt so sehr, wie Arm des Gesetzes sein, Menschen leiden machen.“

Die eine Seite des Staates: Ein Zwangsapparat

In der Tradition von Lord Acton, ist auch für von Mises die Macht böse an sich, „gleichviel wer sie ausübe. Sie verführt zum Mißbrauch. Nicht nur absolute Fürsten und Aristokratien, auch die in der Demokratie herrschenden Massen neigen nur allzu leicht zu Ausschreitungen.“ Daher sind Staatsgewalt und Strafgericht auch für den Liberalismus Einrichtungen, die die Gesellschaft unter keinen Umständen entbehren kann.

So betont von Mises die alleinige Aufgabe des Staatsapparates zum Schutz des Lebens und der Gesundheit, der Freiheit und des Privateigentums (Anm. 1) gegen gewaltsame Angriffe: „Alles, was darüber hinausgeht, ist von Übel. Eine Regierung, die, statt ihre Aufgabe zu erfüllen, darauf ausgehen wollte, selbst das Leben und die Gesundheit, die Freiheit und das Eigentum anzutasten, wäre natürlich ganz schlecht.“

Damit bei aller Schutzfunktion die Freiheit des Einzelnen bewahrt wird, muss der Staat eingerichtet sein, „dass der Einzelne auf seinem Boden und im Rahmen des durch seine Gesetze gegebenen Spielraumes sich frei bewegen kann. Der Staatsbürger darf nicht so beengt sein, dass er, wenn er anders denkt als die Träger des Staatsapparates, nur die Wahl hat, entweder unterzugehen oder den Staatsapparat zu zertrümmern.“

Diese Überzeugung erläutert von Mises an einem bekannten, mittlerweile historischen Beispiel: „In den Vereinigten Staaten von Amerika sind Handel und Erzeugung von alkoholischen Getränken verboten. Die übrigen Staaten gehen nicht so weit, doch bestehen nahezu überall Beschränkungen für den Verkauf von Opium, Kokain und ähnlichen Rauschgiften. Man erachtet es allgemein als eine Aufgabe der Gesetzgebung und Verwaltung, den einzelnen vor sich selbst zu schützen.“

In diesem Fall beobachtet von Mises, dass auch diejenigen, die sich sonst gegen jede staatliche Einmischung wehren, es für durchaus richtig halten, dass die Freiheit des Individuums in dieser Hinsicht beschränkt werde. Dieses Messen mit zweierlei Maß verdeutlicht von Mises durch weitere Beispiele:

„Die wenigsten Menschen wissen in ihrem Liebesleben Maß zu halten, und besonders schwer scheint es Alternden zu fallen, einzusehen, dass sie einmal hier Schluss machen oder zumindest mäßig werden sollten. Soll nicht auch hier der Staat eingreifen? Noch schädlicher als alle diese Genüsse aber, werden viele sagen, ist die Lektüre von schlechten Schriften. Soll man einer auf die niedrigsten Instinkte des Menschen spekulierenden Presse gestatten, die Seele zu verderben? Soll man die Schaustellung unzüchtiger Bilder, die Aufführung schmutziger Theaterstücke, kurz alle die Verlockungen zur Unsittlichkeit nicht hindern? Und ist nicht die Verbreitung falscher Lehren über das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen und Völker ebenso schädlich?“

Für von Mises zeigen diese Beispiele, dass man, sobald der Grundsatz der Nichteinmischung des Staatsapparates in allen Fragen der Lebenshaltung des einzelnen aufgeben wird, man dazu gelangt, das Leben bis ins Kleinste zu regeln und zu beschränken. „Die persönliche Freiheit des einzelnen wird aufgehoben, er wird zum Sklaven des Gemeinwesens, zum Knecht der Mehrheit. Man braucht sich gar nicht auszumalen, wie solche Befugnisse von böswilligen Machthabern mißbraucht werden könnten. Schon die vom besten Willen erfüllte Handhabung derartiger Befugnisse müsste die Welt in einen Friedhof des Geistes verwandeln.“

Die Folgen der Neigung, obrigkeitliche Verbote zu fordern ...

Für von Mises ist die Neigung, obrigkeitliche Verbote zu fordern, sobald den Menschen etwas nicht gefällt, und die Bereitwilligkeit, sich solchen Verboten zu unterwerfen, ein Zeichen für ihre Unmündigkeit, denn sie „zeigt, daß der Knechtsinn ihnen noch tief in den Knochen steckt. Es wird langer Jahre der Selbsterziehung bedürfen, bis aus dem Untertan der Bürger geworden sein wird.“

Denn: „Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.“

Der Liberale, so von Mises, führt den Kampf gegen das Dumme, das Unsinnige, das Irrige, das Böse mit den Waffen des Geistes und nicht mit roher Gewalt und Unterdrückung.
 
Anm. 1: Der Dreiklang „Leben“, „Freiheit“ und „Privateigentum“ als Zusammenfassung der Aufgaben des Staates findet sich auch in der berühmten Formulierung von John Locke, nach der sich der Einzelne mit anderen  nur aus einem Grund zu einem Staat vereinigt, und zwar „zum gegenseitigen Schutz ihres Lebens („life“), ihrer Freiheiten (freedom“) und ihres Besitzes und  Vermögens („estate“), was ich unter der allgemeinen Bezeichnung Eigentum zusammenfasse („I call it by the general name, Property.“ (Locke, Zweite Abhandlung, §123)


Zitate aus: Ludwig von Mises: Liberalismus. Jena 1927 (online unter: http://docs.mises.de/Mises/Mises_Liberalismus.pdf)   -  Weitere Literatur: John Locke: Zweite Abhandlung über die Regierung, Frankfurt am Main 2007 (Suhrkamp Studienbibliothek) - Alexander Dörrbecker: Lord Acton: Die bleibende Aktualität seines Werks.


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