Thomas Hobbes (1588-1679) geht in seiner Theorie vom Gesellschaftsvertrag bekanntlich von der Unvollkommenheit des Menschen aus, dessen Wolfsnatur zu
einem ständigen Krieg eines jeden gegen jeden führen würde, wenn sich nicht
alle Menschen der Herrschaft eines Einzelnen – dem Leviathan – unterwerfen
würden, der die allmächtige Gewalt des Staates repräsentiert, damit dieser
Frieden stiftet. Hobbes vertrat
also einen aufgeklärten Absolutismus.
Lord Acton |
Andere liberale Denker wie der Historiker
Lord Acton (1834-1902) dagegen zogen aus der gleichen anthropologischen
Prämisse den genau entgegengesetzten Schluss: Wieso sollte ausgerechnet
derjenige, der dann die ganze Macht in seiner Person vereinigt sich besser verhalten als die vielen
anderen, die wenig Macht besitzen? Wieso sollte man davon ausgehen, dass
derjenige, der die Macht besitzt, sie nur zum allgemeinen Nutzen verwendet und
nicht für eigene, egoistische Zwecke missbraucht.
John Emerich Edward Dalberg-Acton war, wie seine biographische Eckdaten belegen, von Geburt an Kosmopolit: Geboren 1834 in Neapel als Sohn von Sir Ferdinand Richard Acton und Marie Luise von Dalberg, verstarb Acton 1902 im bayerischen Tegernsee.
John Emerich Edward Dalberg-Acton war, wie seine biographische Eckdaten belegen, von Geburt an Kosmopolit: Geboren 1834 in Neapel als Sohn von Sir Ferdinand Richard Acton und Marie Luise von Dalberg, verstarb Acton 1902 im bayerischen Tegernsee.
Prägend für das Leben und das Denken Actons
war die Tatsache, dass die Familie Acton im 18. Jahrhundert zum katholischen
Glauben zurückkehrte. Unter den damaligen englischen Gesetzen war es nun
unmöglich, einen freien Beruf auszuüben. Die Vorfahren von Lord Acton zogen
deshalb nach Frankreich und schließlich nach Italien, wo der Großvater von
Acton, Sir John Acton
(1736–1811) neapolitanischer Admiral und zeitweise erster
Minister war. Acton war drei Jahre alt, als sein Vater starb. Seine Mutter zog daraufhin
nach England zurück - auf die Familiengüter nach Shropshire.
Weil Acton aufgrund seines katholischen
Glaubens nicht in Cambridge studieren durfte, ließ er sich privat von Kardinal
Wiseman (Oscott) und dem Theologen Ignaz von Döllinger (München) ausbilden. Für
sein Hauptinteressensgebiet, die Geschichtswissenschaft, trug er eine
umfangreiche historische Bibliothek zusammen.
1859 ließ sich Acton auf seinem Besitz in
Shropshire nieder und zog als Vertreter der Liberalen Partei ins englische Unterhaus
ein. Acton wurde ein enger Freund und Berater des britischen
Premierministers und Führers der
liberalen Partei William Ewart Gladstone.
Nach seinem Austritt aus der aktiven Politik
widmete Acton seine Zeit wieder der Histografie. 1872 wurde er zum Ehrendoktor
der Philosophie an der Universität München, 1876
ernannte ihn die Bayerische Akademie der
Wissenschaften zu ihrem auswärtigen Mitglied. 1890 wurde er Fellow
des All Souls College in Oxford. 1895 war er Regius Professor of Modern History in Cambridge, wo seine Antrittsvorlesung The
Study of History großen Eindruck machte.
Obwohl Herausgeber mehrerer katholischer
Zeitschriften geriet Acton ab etwa 1862 in Konflikt mit der katholischen
Hierarchie. Wie sein Lehrer Döllinger bekämpfte auch Acton das Dogma der päpstlichen
Unfehlbarkeit, das schließlich auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869-1870)
festgeschrieben wurde. In diesem Zusammenhang ist das von Acton geäußerte Dictum
„Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“ („Power tends to
corrupt, and absolute power corrupts absolutely“) berühmt geworden, das in dieser Form
allerdings von ihm erst in einem Brief an den Bischof Mandel Creighton vom April
1887 geäußert wurde.
Trotz seiner historischen Bildung hat Acton
nur wenige Werke hinterlassen, darunter jedoch eine History of Freedom in Christianity und eine History of Freedom in Antiquity. Sein Plan, eine „große Geschichte
der Freiheit“ zu schreiben, hat Acton niemals verwirklicht. Aber in seinen
wenigen Schriften lässt sich gut Acton Verständnis von Macht und Freiheit
erkennen.
Das Familienwappen der Actons |
Actons
Entdeckung der ersten Keime der Freiheit im Israel des Alten Testaments und in
der Antike und ihre Fortentwicklung über die Jahrhunderte ist sehr
eindrucksvoll und nach wie vor aktuell. So greift Friedrich August von Hayek in seinem Hauptwerk „Die Verfassung der Freiheit“ (1960) viele
Anregungen Actons ausdrücklich auf.
„Acton
sah die Macht als den entscheidenden Faktor an, der die Freiheit der Menschen
gefährden kann“ (Dörrbecker, 3). Freiheit und Individualität sind daher nur
möglich, wenn niemand absolute Macht ausübt: „Sei gegenüber der Macht
argwöhnischer als gegenüber dem Laster“
(ebd.). Für Acton ist im Anschluss an Locke und Montesquieu die Einschränkung
von Macht bzw. von der Teilung der Gewalten im Staat daher grundlegend, wenn
sich Freiheit entwickeln soll: „Zerstöre niemals eine Kraft, wenn sie nicht
dominiert, sie mag dazu dienen, die Vorherrschaft [einer anderen Macht] zu
kontrollieren“ (ebd.). Zu den Hilfsmitteln der Gewaltenteilung gehört für Acton
auch der Föderalismus.
Acton
erkannte bereits früh, dass sich eine freie Gesellschaft nicht allein auf den
Staat und seine Institutionen verlassen darf. Gegen die Tendenz des Staates, seine
Macht immer weiter auszudehnen, setzt Acton den Grundsatz, dass der Staat, dort
nichts zu suchen hat, wo er nicht beweisen kann, dass etwas seine Aufgabe ist.
Der Staat muss zurückgewiesen werden, es sei denn, es handelt sich um
Geschäfte, die offensichtlich seine eigenen sind“ (ebd, 3).
Für Acton besteht - wie später für Hayek – die Aufgabe des Staates nicht darin, die Wirtschaft zu steuern: „Politische Ökonomie ist ein Thema,
das für ein weites politisches Wissen notwendig ist, das aber wiederum nicht so
wichtig ist, wie es unsere modernen Staatsmänner anzunehmen scheinen“ (ebd.)
Die
größten Widersacher der Freiheit sieht Acton in den Theorien des Egalitarimus:
Bei der Verteilung von Gütern steht Acton einer formalen Gleichheit sehr
skeptisch gegenüber. So warnt er ausdrücklich vor dem Versuch der Politiker,
nicht vorhandenen Wohlstand zu verteilen: „Das Mischen der Karten ist von
geringem Nutzen, wenn alle Trümpfe entnommen sind“ (ebd).
Aber
auch der Nationalismus gehört für Acton zu den erklärten Feinden der Freiheit.
Acton ist vielleicht einer der ersten, der bereits den Zusammenhang zwischen Nationalismus
und Sozialismus erkannte. So gewinnt der Sozialismus vor dem Hintergrund einer durchaus
berechtigten Forderung – indem er vorgibt, eine Abhilfe gegen das Elend der
Arbeiter zu bieten – an Popularität. Aber selbst „wenn er dieses kurzfristige
Ziel der Armutsbekämpfung erreiche, würde er immer auch die Freiheit
abschaffen. Dieses Ziel könne, so Acton, nur durch Despotismus erreicht werden.
In seinem Verlangen, die stärkste Ausübung von Macht zu etablieren, nimmt der
Sozialismus nach Acton den Despotismus und damit die Abschaffung jeder Freiheit
in Kauf. Actons historische Forschungen bezeugen, dass die Ideen des Sozialismus im Laufe der Geschichte immer wieder aufkamen und zu despotischen Herrschaften führten, welche wirtschaftlich niemals Blütezeiten waren. So entdeckt er den
Sozialismus im griechischen Sparta, bei den Inkas in Amerika oder in der Mitte
des 19. Jahrhunderts in der russischen Provinz“ (ebd., 3f)
Actons
Werk ist ein uneingeschränktes Plädoyer für die Freiheit: „So stellt er fest,
dass Freiheit und eine gute Regierung sich zwar nicht gegenseitig bedingen, sie
aber durchaus zusammentreffen können. Freiheit ist ein Garant für das
Individuum, nicht für das Funktionieren des Staates. Diese Präzisierung ist
Acton wichtig“ (ebd.), denn eine übermäßige Einflussnahme des Staates in das
Handeln der Individuen und damit in die Gesellschaft ist für Acton absolut
verwerflich.
Die
Tendenz des Staates, überall zu intervenieren, führt nach Acton immer zugleich
auch zur Bürokratie und damit zum Versuch des Staates, gesamte Bevölkerung zu
kontrollieren: „Wenn die gesamte Bevölkerung in Registern geführt, ihre
Beschäftigungen und ihr Bedarf verzeichnet und ihre körperlichen Fähigkeiten
gekennzeichnet werden, und sie sich selbst in Intervallen der
Einberufungsmaschinerie unterwirft, dann beginnen wir die Anwesenheit einer
bürokratischen Behörde zu erkennen, die sich in die Familie einmischt und das
Leben der Nation dirigiert“ (ebd.).
Diese
Tendenz erkennt Acton – wie schon John Stuart Mill vor ihm – auch in der öffentlichen
Erziehung, so dass die Menschen schließlich nicht mehr selbsttätig denken und
sich vollständig der staatlichen Verwaltung unterwerfen. „Vom Erziehungswesen
bis hin zu anderen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens versuchen die
Bürokraten zu klassifizieren (…) Sie versuchen stets, die Menschen entlang willkürlicher
Grenzen zu verändern, die auf künstlichen Klassifikationen und arithmetischen –
nicht menschlichen – Prinzipien beruhen“ (ebd.).
Gedenktafel für John Lord Acton auf dem Friedhof in Tegernsee |
Gegenüber
den vielfältigen Versuchen, die Freiheit des Individuums einzuschränken, stellt
Acton schließlich fest, dass Freiheit immer wieder von Neuem erkämpft und
erarbeitet werden muss. Diese Feststellung hat auch heute noch nichts von ihrer
Gültigkeit verloren.
Zitate
aus: Alexander Dörrbecker: Lord Acton: Die bleibende Aktualität seines Werks, online unter: http://www.libinst.ch/?i=lord-acton
Weitere
Literatur: Alexander Dörrbecker (Hrsg.):
Geschichte und Freiheit. Ein Lord-Acton-Brevier, Zürich 2010 (NZZ Libro) -
Roland Hill: Lord Acton. Ein Vorkämpfer für religiöse und politische Freiheit
im 19. Jahrhundert, Freiburg 2002 (Herder)
-- Homepage des
Acton Institute for the study of religion and liberty: http://www.acton.org - Die
wichtigsten Schriften Actons finden sich auch in „The Online Library of Liberty“
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