Jacob Burckhardt ist bis heute vor allem als Verfasser
großer kunst- und kulturgeschichtlicher Werke bekannt, darunter die „Kultur der
Renaissance in Italien“ (1860) und das aus dem Nachlass herausgegebene
vierbändige Werk „Griechische Kulturgeschichte“ (1898-1920).
Jacob Burckhardt |
Burckhardt wurde am 25. Mai 1818 in Basel
geboren, wo er, nur von Italienreisen unterbrochen, fast sein ganzes Leben
verbrachte. Eine der interessantesten Episoden aus der Zeit seiner Professur
für Geschichte und Kunstgeschichte (1858 – 1893) war sein intensiver geistiger
Austausch mit Friedrich Nietzsche, der Anfang der
70er Jahre als junger Professor in Basel arbeitete.
Seine Bedeutung als Geschichtsphilosoph
verdankt Burckhardt seiner kleinen, posthum erschienen Schrift
„Weltgeschichtliche Betrachtungen“ (1905). Ausgangspunkt seiner Überlegungen
ist eine Kritik an jeder spekulativen Geschichtsphilosophie: „Was nun die
Eigenschaften der bisherigen Geschichtsphilosophie betrifft, so ging sie der
Geschichte nach und gab Längendurchschnitte; sie verfuhr chronologisch. Sie
suchte auf diese Weise zu einem allgemeinen Programm der Weltentwicklung
durchzudringen, meist in höchst optimistischem Sinne.“
Insbesondere wendet sich Burckhardt gegen den
von Hegel geprägten Fortschrittsoptimismus: „Er sagt, der einzige Gedanke, den
die Philosophie mitbringe, sei der einfache Gedanke der Vernunft, der Gedanke,
daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte
vernünftig zugegangen sei, und das Ergebnis der Weltgeschichte müsse (sic!)
sein, daß sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen sei, –
was alles doch erst zu beweisen und nicht »mitzubringen« war.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel |
In diesem Sinne entwickelt Hegel schließlich
den Grundgedanken, die Weltgeschichte sei die Darstellung, wie der Geist zu dem
Bewußtsein dessen komme, was er an sich bedeute. So sei Hegel zufolge eine Entwicklung
zur Freiheit beobachtbar, nach der im Orient lediglich einer, dann bei den
klassischen Völkern wenige frei gewesen seien, und die neuere Zeit schließlich alle
frei mache.
Das Problem der von Hegel verfochtenen „Lehre
von der Perfektibilität, d. h. dem bekannten sogenannten Fortschritt“ ist nach
Burckhardt schlicht folgendes: „Wir sind aber nicht eingeweiht in die Zwecke
der ewigen Weisheit und kennen sie nicht. Dieses kecke Antizipieren
eines Weltplanes führt zu Irrtümern, weil es von irrigen Prämissen
ausgeht.“
So liege die Gefahr aller chronologisch angeordneten
Geschichtsphilosophien darin, „daß sie im günstigen Fall in
Weltkulturgeschichten ausarten (in welchem abusiven Sinne man den Ausdruck
Geschichtsphilosophie kann gelten lassen), sonst aber einen Weltplan zu
verfolgen prätendieren und dabei, keiner Voraussetzungslosigkeit fähig, von
Ideen gefärbt sind, welche die Philosophen seit dem dritten oder vierten
Lebensjahr eingesogen haben.“
Der Grundirrtum einer Geschichtsprophetie ist
freilich nicht nur bei Philosophen zu beobachten. „Ihr besonderes Recht hat die
religiöse Geschichtsübersicht, für die das große Vorbild Augustins Werk de
civitate dei ist, das an der Spitze aller Theodiceen steht.“ Aber auch „Weltpotenzen
mögen die Geschichte nach ihrer Art ausdeuten und ausbeuten, z. B. die
Sozialisten mit ihren Geschichten des Volkes.“
Das Problem ist hier auch ein methodisches,
denn jede Methode ist „bestreitbar und keine allgültig. Jedes betrachtende
Individuum kommt auf seinen Wegen, die zugleich sein geistiger Lebensweg sein
mögen, auf das riesige Thema zu und mag dann diesem Wege gemäß seine Methode
bilden.“
Ganz im Stile der späteren Schriften Karl Poppers gegen den Historizismus formuliert auch Burckhardt eine
grundsätzliche Kritik an jeder Form der Geschichtsphilosophie. Unmissverständlich
macht er klar, dass der einzig mögliche Ausgangspunkt für die
Geschichtsphilosophie allein der duldende, strebende und handelnde Mensch sein
kann, der Mensch „wie er ist und immer war und sein wird.“
„Die Geschichtsphilosophen betrachten das
Vergangene als Gegensatz und Vorstufe zu uns als Entwickelten; – wir betrachten
das sich Wiederholende, Konstante, Typische als ein in uns Anklingendes und
Verständliches.
Jene sind mit Spekulation über die Anfänge
behaftet und müßten deshalb eigentlich auch von der Zukunft reden; wir können
jene Lehren von den Anfängen entbehren, und die Lehre vom Ende ist nicht von
uns zu verlangen.“
Zitate
aus: Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen, Wiesbaden 2009
(Marixverlag)
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