Donnerstag, 20. Dezember 2012

Der Katalanische Nationalismus und die Sprache


Am 6. Dezember 2012 gab der argentinische Fußballstar des FC Barcelona, Lionel Messi, bei einer Pressekonferenz das folgende Statement ab: „Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass sie (gemeint ist die spanische Regierung) das Katalanische verbannen will. Das Einzige, was ich dazu sagen kann ist, dass ich – seit ich hier ankam – mit dem Katalanischen aufwuchs, es lernte, und niemals Probleme hatte“.

Der FC Barcelona: Toller Fussball und emsige Propagandamaschiene im Dienste des Nationalismus 

Diese Worte Messis stehen in krassem Gegensatz zu seinen Äußerungen in einem Interview, das er vor einiger Zeit für die Zeitschrift der argentinischen Fluggesellschaft gab. Dort gab Messi unumwunden zu, dass seine Schwester ein "Opfer der katalanischen Sprachpolitik“ wurde: „Als mein Schwesterchen in die Schule kam, sprach man Katalanisch. Sie weinte und es gefiel ihr nicht. Daraufhin beschloss meine Mutter nach Rosario (Argentinien) zurückzukehren mit ihr und ihren Brüdern.“

Das Überraschende bei alldem ist vor allem die Tatsache, dass sich ein argentinischer Fußballspieler im Dienste des FC Barcelona überhaupt berufen fühlt, zu Fragen der Linguistik Stellung zu nehmen.

Die Diskussion um die Regelung der Mehrsprachigkeit in Spanien ist seit Jahren Teil der politischen Auseinandersetzungen und ideologischen Kämpfe sowohl zwischen der Zentralregierung und den autonomen Regionen mit eigener Sprache einerseits, als auch zwischen den verschiedenen Parteien und Institutionen des Staates andererseits.

Im Absatz 1 der spanischen Verfassung von 1978 wurde unmissverständlich das Spanische (genauer: das Kastilische) zur Amtssprache des spanischen Staats erklärt: "Jeder Spanier ist verpflichtet, sie zu kennen und hat das Recht sie zu gebrauchen." Gemäß Absatz 2 sind die Regionalsprachen ebenfalls Amtssprachen in den jeweiligen Autonomen Regionen. In Absatz 3 wird den sprachlichen Verschiedenheiten Spaniens ein besonderer Wert und Schutz zugesprochen.

Es mag jedoch verwundern, dass es heute keinesfalls  darum geht, die Regionalsprachen gegenüber der offiziellen Amtssprache zu schützen und zu bewahrten. Vielmehr ist es umgekehrt! Vor allem in Katalonien hat die Sprachpolitik der verschiedenen nationalistischen Autonomieregierungen zu einer klaren Diskrimminierung der spanischen Sprache geführt, mit dem Ziel, sie aus dem öffentlichen (Sprach-)Raum zu verdrängen.

So haben die katalanischen Nationalisten und Separatisten mittlerweile u.a. erreicht,

  • dass Spanisch nicht mehr in den öffentlich-rechtlichen Medien der Region verwendet wird,
  • dass die Verkehrsschilder in Katalonien ausschließlich auf Katalanisch beschrieben werden,
  • dass Katalanisch unabdingbare Voraussetzung für jede Einstellung in die staatlichen Institutionen (!) in Katalonien ist,
  • dass Unternehmer Straf- und Bußgelder bezahlen müssen, wenn sie die Beschriftung ihrer Geschäfte auf Spanisch verfassen und
  • dass in den öffentlichen Schulen in Katalonien das Spanische keine gleichberechtigte Unterrichtssprache mehr ist. 

Die beiden letztgenannten Aspekte nationalistischer Sprachpolitik verdienen eine genauere Darstellung.

Bereits im Jahre 2005 wurden von der Katalanischen Regionalregierung die sogenannten „Oficinas de Garantías Lingüísticas“ ins Leben gerufen, deren Aufgabe bis heute darin besteht, die Bürger zu ermutigen, Anzeigen gegen die Geschäfte zu erstatten, die entweder ihre Schilder auf Spanisch verfassen oder deren Personal nicht in der Lage ist, die Kundschaft auf Katalanisch zu bedienen.

Wir können auch ... anders: Initiative zur Abschaffung der "Sprach-Bußgelder"

Art. 333.1 des „Código de Consumo de Cataluña” regelt das linguistische Erscheinungsbild eines Geschäftes bzw. Unternehmens. Danach kann jeder Inhaber mit bis zu 10.000 € Bußgeld belegt werden, der z.B. sein Firmenschild oder sonstige Hinweise wie „Schlussverkauf“, aber auch die Arbeitsverträge nicht in Katalanisch verfasst hat. Im Wiederholungsfall oder bei Zahlungsverweigerung kann das Bußgeld bis zu einer Höhe von 1.000.000 € erhöht werden.
   
Allein im Jahr 2007 wurden auf der Grundlage von insgesamt 733 Anzeigen Straf- und Bußgelder in Höhe von 2,9 Mio. € in Katalonien verhängt. Besonders bekannt wurde der Fall des Xurde Rocamundi, dem Inhabers eines Immobilienbüros, der 2010 zu einer Geldstrafe von 1.200 € verurteilt wurde, weil sein Firmenschild auf Spanisch verfasst war. Er wurde, wie es im offiziellen Schreiben hieß, von einem "Bürger angezeigt, der anonym bleiben möchte." 

Xurde Rocamundi hat mittlerweile am eigenen Leib erfahren, was mit denen geschieht, die versuchen gegen den nationalistischen Strom schwimmen. So hingen "Revolutionäre Brigaden" gegenüber seinem Geschäft in Arenys in der Nacht zum 6. Januar folgendes Transparent auf.

Hetze auf Katalanisch: "Xurde! Um ein guter Bürger zu sein musst du lernen Katalanisch zu sprechen!"

Die Nacht zum 6. Januar, dem Tag der Hl. Drei Könige (in Spanien Tag der Bescherung) wird in Arenys auch "Nacht der Steckrüben und Kohlköpfe" (Nit de Naps i Cols) genannt, weil - in eindeutig diskrimminierender Absicht - an den Wohnungen der Junggesellen Kohlköpfe befestigt werden, während an die Türen der Frauen, die noch keinen festen Partner haben, Steckrüben gehängt werden. Mittlerweile haben nationalistische Gruppen diese Tradition für ihre Zwecke instrumentalisiert und organisieren Schmutz- und Hetzkampagnen gegen Menschen wie Xurde. Zwar klirrten (noch) keine Scheiben, aber diese Art von Aktionen weckt - insbesondere bei deutschen Gemütern - ziemlich üble Erinnerungen wach ... .

Es mag helfen, an dieser Stelle sich der Gedanken Ludwig von Mises zu erinnern, demzufolge es die alleinige Aufgabe des Staates ist, das Leben und Gesundheit, das Privateigentum und die Freiheit gegen gewaltsame Angriffe von außen zu schützen: „Alles, was darüber hinausgeht, ist von Übel. Eine Regierung, die, statt ihre Aufgabe zu erfüllen, darauf ausgehen wollte, selbst das Leben und die Gesundheit, die Freiheit und das Eigentum anzutasten, wäre natürlich ganz schlecht.“

Für von Mises wird der Staat in dem Moment zu einem Zwangs- und Unterdrückungsapparat, zu einem „Friedhof des Geistes“, sobald der Grundsatz der Nichteinmischung des Staatsapparates in allen Fragen der Lebenshaltung des Einzelnen aufgeben wird, indem er beispielsweise versucht, das Leben der Bürger bis ins Kleinste zu regeln und zu beschränken: „Die persönliche Freiheit des einzelnen wird aufgehoben, er wird zum Sklaven des Gemeinwesens, zum Knecht der Mehrheit.“

Der Traum des katalanischen Nationalismus


Für von Mises ist die Neigung, obrigkeitliche Verbote zu fordern, sobald den Menschen etwas nicht gefällt, und die Bereitwilligkeit, sich solchen Verboten zu unterwerfen, ein Zeichen für ihre Unmündigkeit, denn sie „zeigt, daß der Knechtsinn ihnen noch tief in den Knochen steckt. Es wird langer Jahre der Selbsterziehung bedürfen, bis aus dem Untertan der Bürger geworden sein wird.“

Denn: „Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.“ – im Fall Katalonien nach den „Oficinas de Garantías Lingüísticas“.

Von besonderer Bedeutung für die Sprachpolitik ist natürlich das öffentliche Schulwesen. Auch hier kann man zweifelsfrei beobachten, dass die nationalistische Politik der „Inmersión lingüística“ (wörtlich: Eintauchen, hier gemeint als: Vertiefung, Intensivierung) dazu geführt hat, dass das Spanische als Unterrichtssprache vielfach schlicht  aus dem Unterrichtsalltag der Schulen verdrängt wurde.

Verschiedene Gerichte haben die Sprachpolitik der katalanischen Separatisten mehrfach verurteiltBereits 1994 hatte das spanische Verfassungsgericht sich mit der Klage eines katalanischen Rechtsanwaltes beschäftigt, der für seine Kinder Schulunterricht auf Spanisch in Katalonien einforderte. Der Klage wurde stattgegeben.

Von besonderer Tragweite ist das Urteil des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahre 2008. Dieses Urteil verpflichtet die Autonomieregierung Kataloniens dazu, das Spanische an den Schulen als gleichberechtigte Unterrichtssprache einzurichten, sobald Eltern dies für ihre Kinder einfordern.

Mittlerweile liegen 5 Urteile des Obersten Gerichtshofes und ein Urteil des Verfassungsgerichts gegen die Sprachregelung an öffentlichen Schulen in Katalonien vor, die alle in einem wesentlichen Punkt übereinstimmen: Katalonien muss den Eltern die Möglichkeit zu spanischsprachigen Schulunterricht garantieren, sofern sie es für ihre Kinder wünschen.

Bis auf den heutigen Tag haben sich die Nationalisten in Katalonien geweigert, auch nur eines der gefällten Urteile umzusetzen. Ganz im Gegenteil: Im Rahmen der Parlamentsdebatte über das neue Schulreformpaket haben die Nationalisten bereits angekündigt, dass sie sich nicht an die geltenden Gesetze halten werden.

In dieser Parlamentsdebatte erwähnte der katalanische Politischer Durán i Lleida bezeichnenderweise, dass – trotz Verbote an vielen Schulen in Katalonien - viele Schüler in Katalonien „bedauerlicherweise“ Spanisch sprechen, wenn sie auf dem Schulhof zusammenstünden. Daraufhin meinte der ehemalige sozialistische Bürgermeister von La Coruña in Galizien, Francisco Vázquez, er sehe “keinerlei Unterschied zwischen einem Juden mit einem gelben Stern, der von den Nazis verfolgt werde, und einem Kind in Katalonien, das dafür bestraft wird, weil es auf dem Schulhof Spanisch gesprochen habe.

Das Katalanische ist wie die Mehrheit der Nationalsprachen, die heute so dauerhaft und festverwurzelt in den Kulturen der europäischen Völker erscheinen, in ihren Grundzügen im Laufe des 19. Jahrhunderts "entstanden". So haben emsige Intellektuelle beispielsweise auch das Neugriechische oder das Baskische sowie viele weitere Regionalsprachen „aus den vagen Regionen der volkstümlichen Umgangssprachen geschöpft und in die strenge Form grammatikalisch standardisierter Schriftsprache gegossen, ja teilweise überhaupt erst erfunden. Und was die Philologen nicht schufen, das stifteten die Dichter …“ (Hagen Schulze, 176)

Hintergrund der Sprachpolitik in Katalonien ist selbstverständlich ein für die Nationalisten typisches Verständnis von „Kultur“, dass seinerzeit Ernest Renan mit den folgenden Worten beschrieben hat:

"Wenn man zu viel Wert auf die Sprache legt, schließt man sich in einer bestimmten, für national gehaltenen Kultur ein; man begrenzt sich, man schließt sich ein. Man verlässt die freie Luft, die man in der Weite der Menschheit atmet, um sich in die Konventikel seiner Mitbürger zurückzuziehen. Nichts ist schlimmer für den Geist, nichts schlimmer für die Zivilisation. Geben wir das Grundprinzip nicht auf, dass der Mensch ein vernünftiges und moralisches Wesen ist, ehe er sich in dieser oder jener Sprache einpfercht.“

Ein anschauliches Beispiel für die "interkulturelle Kompetenz" katalanischer Nationalisten


Und weiter Renan: "Ehe es die französische, deutsche, italienische Kultur gibt, gibt es die menschliche Kultur. Die großen Menschen der Renaissance waren weder Franzosen noch Italiener noch Deutsche. Durch ihren Umgang mit der Antike hatten sie das wahre Geheimnis des menschlichen Geistes wiedergefunden, und ihm gaben sie sich mit Leib und Seele hin. Wie gut sie daran taten!"


Auch Adam Smith hatte als Ziel der Erziehung das kritische und selbstständige Denken definiert: „Denn je gebildeter die Bürger sind, desto weniger sind sie Täuschungen, Schwärmerei und Aberglauben ausgesetzt, die in rückständigen Ländern häufig zu den schrecklichsten Wirren führen. Außerdem ist ein aufgeklärtes und kluges Volk stets zurückhaltender, ordentlicher und zuverlässiger als ein unwissendes und ungebildetes ... Er ist dann auch eher geneigt, die Ziele hinter dem Geschrei nach Zwietracht und Aufruhr kritisch zu prüfen und fähiger, sie zu durchschauen“.

Die Sprachpolitik in Katalonien jedenfalls ist nicht geeignet, die Menschen zu gebildeten und kritischen Bürgern zu machen … 

P.S. Auch Fußballer sollten lieber das tun, was sie wirklich können und wofür man sie bewundert: „Das Einzige, was mich beim Fußball wirklich zutiefst beeindruckt, das ist diese Fähigkeit der jungen Spieler, hinzufallen und wieder aufzustehen. Das finde ich begeisternd. Ich finde das ein Manifest der Antigravitation. Wenn man älter und schwerer wird, dann weiß man ja, wie es sonst zugeht. Ich falle gelegentlich vom Fahrrad, und die Mühe, wieder auf die Beine zu kommen, ist eine grauenvolle Beleidigung. Deshalb habe ich großen Respekt vor diesem raschen Aufstehen bei hingefallenen Spielern. Das sind Momente, wo ich innerlich total beteiligt bin. Das Hinfallen gehört zur Sache, aber erst das Wiederaufstehen macht sie großartig“ (Peter Sloterdijk)

Mit seinen Äußerungen zur angeblichen Verfolgung des Katalanischen hat sich Messi jedenfalls klar ins Abseits gestellt.

Nachtrag vom 29.01.2013:
Eine fundierte und zugleich schonungslose Auseinandersetzung mit dem katalanischen Nationalismus  und der ihm eigenen Mystifizierung seiner Geschichte findet sich jüngst in der Reihe "Preguntas a la Historia" des spanischen Radiosenders "esRadio" unter dem Titel "¿Existen hechos históricos que justifican la independencia catalana?" (dt. "Gibt es historische Tatsachen, die eine Unabhängigkeit Katalonien rechtfertigen würden?").

Nachtrag vom 10.04.2013:
Heute wurde bekannt, dass das Oberste Verfassungsgericht Kataloniens  in mehreren Urteilen festgelegt hat, dass die Autonomieregierung verpflichtet ist, den zweisprachigen Unterricht (also nicht nur den Unterricht auf Katalanisch) in den Schullklassen zu garantieren, in denen Eltern oder die Schüler selbst dies eingefordert haben. Obwohl das Urteil feststellt, dass diese Maßnahme sofort umgesetzt werden muss, hat die katalanische Erziehungsministerin  sofort deutlich gemacht, dass die katalanischen Behörden nicht daran denken, sich an den Urteilsspruch zu halten und nichts tun werden, wozu sie das Gericht verpflichtet! - Ein weiteres anschauliches Beispiel für das Rechtstaatsverständnis der Nationalisten!

Nachtrag vom 13.09.2013:
Für die Europäische Komission ist Katalonien nicht nur die korrupteste Region Spaniens, sondern nimmt unter den 172 Regionen Europas den 130. Rang ein. 

Zitate aus: Ludwig von Mises: Liberalismus. Jena 1927 (online unter: http://docs.mises.de/Mises/Mises_Liberalismus.pdf) -  Ernest Renan: Was ist eine Nation?, Rede am 11. März 1882 an der Sorbonne. Reihe EVA Reden, Bd. 20, Hamburg 1996 (Europäische Verlagsanstalt)  -  Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 2009 (dtv)  -  Hagen Schulze: Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München 2004 (C.H. Beck)