Titus Livius (59 v. Chr. - 17 n. Chr.) |
In seinem monumentalen Werk Ab urbe condita über die Geschichte Roms
„von der Gründung der Stadt an“ erzählt Titus Livius in den Kapiteln 24 bis 26
des 1. Buches die Geschichte des Krieges zwischen Rom und Alba Longa, der
zwischen 672 und 640 v. Chr. stattgefunden haben soll.
Weil aber die Etrusker zur gleichen Zeit beide
Städte bedrohten, einigten sich Rom und Alba Longa darauf, den Krieg durch einen
Stellvertreterkampf zwischen jeweils drei Brüdern aus beiden Städten
entscheiden zu lassen. In Alba Longa traf die Wahl die Brüder aus der Familie
der Curiatier, in Rom stellt die Familie der Horatier die Kämpfer.
Die Wahl entbehrte nicht einer gewissen
Problematik, waren doch beide Familien miteinander verschwägert. So war Sabina,
die Schwester der Curiatier, mit einem der Horatierbrüder vermählt, Camilla,
die Schwester der Horatier, dagegen war mit einem der Curiatier verlobt.
Schließlich konnten die Horatier den Kampf für
sich entscheiden, allerdings zahlten sie einen hohen Preis: Nur der jüngste Bruder
der Horatier kehrte lebend zurück. Die Vorherrschaft Roms war damit gesichert.
Als Camilla in Tränen ausbrach und um ihren
getöteten Verlobten weinte, zog ihr Bruder sein Schwert und erschlug sie mit
den Worten: „Abi hinc cum immaturo amore ad sponsum, oblita fratrum mortuorum
uiuique, oblita patriae. Sic eat quaecumque Romana lugebit hostem“ (dt. "Weg mit
dir zu deinem Verlobten mitsamt deiner unangebrachten Liebe! Vergessen hast du
deine toten Brüder und den Lebenden, vergessen deine Vaterstadt. So soll jede
Römerin dahingehen, die um den Feind trauert!").
In seinem Gemälde „Der Schwur der Horatier“
stellt der französische Maler Jacques-Louis David (1748 – 1825) weniger die
historische Situation dar – Livius´ Erzählung enthält keinen feierlichen Schwur
– als vielmehr einen Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen ethischen
Grundpositionen dar.
Der Schwur der Horatier (Jacques-Louis David, 1784) |
Links im Vordergrund stehen die zum Kampf
entschlossenen Horatier, die ihrem Vater feierlich versprechen, ihre Pflicht zu
erfüllen und für das Wohl Roms bis zum Tod zu kämpfen. Rechts im Hintergrund
sieht man drei Frauen der Horatier, deren Gemütsverfassung ganz offensichtlich
im Gegensatz zur Heldenpose der Männer steht. Sie sind erfüllt von Angst und
bösen Vorahnungen, sie denken an die Gefahr, in die sich die Männer begeben und
an die Folgen für sie und das ganze Geschlecht der Horatier.
Die drei Horatier stehen für einen ethischen
Ansatz, dessen Kern in einer unbedingten Ausrichtung des Handelns an der
inneren Einstellung oder Gesinnung des Handelnden und der Erfüllung seiner
Pflicht(en) besteht – unabhängig von den Folgen, die dieses pflichtgemäße
Handeln hat.
Dagegen repräsentieren die drei Frauen eine
ethische Einstellung, die bei der moralischen Beurteilung der Handlungen immer
auch die voraussichtlichen Folgen der Tat in Betracht zieht – und damit auf die
Verantwortung der Handelnden für ihr Tun abzielt.
Diese beiden Typen ethischer Argumentation
werden im Anschluss an Max Weber (1864 – 1920) als Gesinnungs- bzw.
Verantwortungsethik bezeichnet.
Max Weber |
Weber diskutiert diese beiden Ansätze in
seinem berühmten Essay „Politik als Beruf“. Dabei geht Weber von der Frage nach
dem Zusammenhang zwischen Politik und Ethik aus: Wenn Ethik und Politik in einer
unauflösbaren Beziehung zueinander stehen, gilt dann für das politische Handeln
dieselbe Ethik wie für jedes andere Handeln auch?
Weber stellt nun zunächst fest: „Wir müssen
uns klarmachen, dass alles ethische Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen,
unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann „gesinnungsethisch“
oder „verantwortungsethisch“ orientiert sein.“
Weber gibt zu, dass Gesinnungsethik „natürlich
nicht mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit
identisch“ sei, aber es sei eben ein „abgrundtiefer Unterschied, ob man unter
der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: „Der Christ tut
recht und stellt den Erfolg Gott anheim.“ – oder unter der
verantwortungsethischen: dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines
Handelns aufzukommen hat.“
Interessant in diesem Zusammenhang ist das
Beispiel eines Syndikalisten, das Weber wählt, um den Unterschied der beiden
ethischen Positionen zu erläutern und das – nebenbei bemerkt – nichts von
seiner Aktualität eingebüßt hat.
So schreibt Weber: „Man mag einem überzeugten
gesinnungsethischen Syndikalisten noch so überzeugend beweisen, dass die Folgen
seines Tuns die Steigerung der Chancen der Reaktion, gesteigerte Unterdrückung
seiner Klasse, Hemmung ihres Aufstiegs sein werden - es wird auf ihn keinen Eindruck machen. Er
wird vielmehr sagen: Wenn die Folgen meiner Handlungen, die aus einer reinen
Gesinnung folgen, übel sind, so bin nicht ich, der Handelnde, daran schuld,
sondern die Welt ist dafür verantwortlich oder die Dummheit der Menschen oder –
der Wille Gottes, der sie schuf.“
Weber lässt keinen Zweifel daran, dass er diese
Form gesinnungsethischer Argumentation ablehnt. So fühle sich der
Gesinnungsethiker allein dafür verantwortlich, „dass die Flamme der reinen
Gesinnung – z.B. die Flamme des Protests gegen die Ungerechtigkeit in der
sozialen Ordnung, nicht ausgeht. Diese Flamme stets auf neue anzuzünden ist der
Zweck seiner – vom Erfolg her beurteilt – ganz irrationalen Taten, die nur
exemplarischen Wert haben können und sollen.“
Es ist die Maxime „Der Zweck heiligt die Mittel“ – wobei der Zweck natürlich als „gut“ vorausgesetzt wird -, die hinter dem Gesinnungsethiker steht und die immer auch utopische und historizistische Züge trägt:
Es scheint, als ob hinter der Einstellung des Gesinnungsethikers der Glaube an ein
höheres – göttliches – Wesen stünde, das in das Herz des Menschen sieht, ihn
das Gute tun lässt – auch wenn die Folgen des Tuns eben nicht so gut aussehen –
und den Lauf der Welt nach seiner Weisheit und Güte lenkt.
Ein Verantwortungsethiker, so Weber dagegen, „rechnet
eben mit jenen durchschnittlichen Defekten der Menschen – er hat gar kein
Recht, ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen. Er fühlt sich nicht in der
Lage, die Folgen des eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere
abzuwälzen. Er wird sagen: Diese Folgen muss ich meinem Tun zurechnen.“
Während also der Gesinnungsethiker sich
allein auf seine guten Absichten und seine edlen Zwecke verlässt – die im
Übrigen auf ihre Güte zu überprüfen wären – geht der Verantwortungsethiker
davon aus, dass auch und gerade unser Handeln in guter Absicht oftmals
unerwünschte Folgen haben und Menschen schaden kann. Daher sei es unabdingbar, die
voraussehbaren Folgen seines Handelns zu berücksichtigen – die Folgen, für die
der Handelnde in jedem Fall verantwortlich ist.
Auch der beste Zweck heiligt niemals die
Mittel!
Zitate
aus: Max Weber. Politik als Beruf, Stuttgart 1973 (Reclam) - Weitere
Literatur: Titus Livius: Römische Geschichte - Von der Gründung der Stadt an.
Übersetzt von Otto Güthling, hrsg. von Lenelotte Möller. Wiesbaden 2009 (Marix)
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