Donnerstag, 29. November 2012

Adam Smith und die unproduktive Arbeit

„Produktivität“ ist einer der Grundbegriffe der Ökonomie. Im Allgemeinen bezeichnet „Produktivität“ die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowohl eines Unternehmens als auch einer Volkswirtschaft. „Produktivität“ ist somit eine gesamtwirtschaftliche Erfolgskategorie.

Adam Smith (1723 - 1790)
Für Adam Smith gibt es vier verschiedene Arten produktiver Tätigkeit, die nicht nur mit einer jeweils angemessenen gesellschaftlichen Struktur, sondern auch mit einer passenden Form des Eigentums korrespondieren. Es handelt sich dabei um die Jagd, das Hirtentum, den Ackerbau und schließlich den Handel und das Gewerbe (vgl. 587ff).

Zu allen Zeiten hat sich der Mensch als homo laborans durch diese produktiven Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt verdient. Die Ursache oder die treibende Kraft, die den Übergang von einem Stadium in das nächste herbeiführt, ist nach Smith das aktive Bemühen des Menschen, seine materielle und soziale Lage zu verbessern.

So führt nach Smith der individuelle Erwerbsfleiß und das Streben nach Wohlstand dazu, dass sich die produktiven Kräfte entwickeln und sich somit nicht nur die soziale und wirtschaftliche Lage des Einzelnen, sondern auch die des gesamten Gemeinwesens verbessert.

Dies gilt vor allem für die vierte Stufe der Entwicklung, die moderne Tausch- und Handelswirtschaft. Sie ist nach Smith dadurch charakterisiert, dass sich das Individuum seinen Lebensunterhalt durch verschiedene produktive Tätigkeiten verdienen kann, die allesamt auf Tausch beruhen: Für die Leistung oder Nutzung von Arbeitskraft, Boden oder Kapitel erhält der einzelne Mensch ein monetäres Entgelt als Lohn, Rente oder Gewinn. Mit diesem Einkommen kann er sich dann die „notwendigen und angenehmen Dinge des Lebens“ (3) kaufen.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Adam Smith der Arbeitsproduktivität – nicht zuletzt aufgrund ihrer volkwirtschaftlichen Konsequenzen.

So unterscheidet Smith zwischen einer „Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwandt wird, erhöht“ und einer Arbeit, „die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unproduktiv“ (272).

So vermehrt ein Fabrikarbeiter den Wert des Rohmaterials, das er bearbeitet um den Wert des eigenen Lohns und den Gewinn des Unternehmers, seine Arbeit ist also produktiv. Dagegen erzeugt die Arbeit beispielsweise eines Dienstboten nirgendwo einen solchen Wert: „Wohlhabend wird also, wer viele Arbeiter beschäftigt, arm hingegen, wer sich viele Dienstboten hält“ (272).

Natürlich hat für Smith auch die Arbeit des Dienstboten einen Wert, der gleichermaßen einen Lohn verdient. Im strengen Sinne jedoch ist die Arbeit des Dienstboten unproduktiv. Während sich die Produktivität des Arbeiters in einem „Produkt“, einem käuflichen Werkstück oder einer Ware manifestiert, wird die Arbeit des Dienstboten nirgends sichtbar: „Im Allgemeinen geht seine Leistung im selben Augenblick unter, in der er sie vollbringt, ohne eine Spur oder einen Wert zu hinterlassen, mit dem man später wieder eine entsprechende Leistung kaufen kann“ (272f)

Von entscheidender Bedeutung ist nun die Beobachtung Smiths, dass „auch die Arbeit einiger angesehener Berufsstände in einer Gesellschaft, wie die des Dienstboten, unproduktiv ist“, denn „sie drückt sich nicht in einem dauerhaften Gegenstand oder verkäuflichen Gut aus, das auch nach abgeschlossener Arbeit fortbesteht und für das man später wieder die gleiche Leistung erstehen könnte“ (273).

Zu diesen „angesehenen“, aber unproduktiven Berufsständen gehören nach Smith der Herrscher samt seinen Beamten, denn „sie alle dienen dem Staat und leben von einem Teil des Ertrages, den andere Leute übers Jahr hin durch ihren Erwerbsfleiß geschaffen haben“ (ebd.).

16 höchst unproduktive Arbeiter und Arbeiterinnen (Kabinett der Regierung Zapatero, 2011)

Neben den Vertretern der staatlichen Gewalt muss man laut Smith noch viele andere Berufe in die Gruppe der unproduktiven Arbeiter einreihen: „Zum einen Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer“ (ebd.).

Das Urteil von Smith über die unproduktive Arbeit kann nicht klarer und unmissverständlicher sein: „So ehrenwert, nützlich oder notwendig ihr Dienst auch sein mag, er liefert nichts, wofür später wiederum ein gleicher Dienst zu erhalten ist“ (ebd.).

Jede Volkswirtschaft beruht auf dem Gesamtertrag aller arbeitenden Menschen eines Landes, der allein das Ergebnis produktiver Arbeit ist. Je mehr von diesem Gesamtertrag für den Lebensunterhalt der Unproduktiven ausgegeben wird, desto weniger steht für die Produktiven zur Verfügung: „Produktive und unproduktive Arbeiter und jene, die überhaupt nichts tun, alle leben sie gleichermaßen von dem Jahresertrag“ eines Landes (ebd.).

Mit verblüffender Schärfe beschreibt Smith das Problem der Finanzierbarkeit der „unproduktiven“ Strukturen des Staates – also des gesamten öffentlichen Sektors:

„Große Nationen werden niemals durch private, aber immer durch öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft ruiniert. In den meisten Ländern werden nämlich alle oder nahezu alle öffentlichen Einnahmen dazu verwendet, um unproduktive Leute zu unterhalten … Sie alle bringen selbst nichts hervor, leben daher vom Ertrag aus anderer Leute Arbeit“ (282).

Smith entsteht die Gefahr, dass „wenn ihre Zahl unnötig erhöht“ wird, „sie in einem einzelnen Jahr so viel verbrauchen können, dass für die produktiv Tätigen nicht genügend übrig bleibt“ (282f).

„Unproduktive Leute, die eigentlich nur aus Teilen der allgemeinen Ersparnisse unterhalten werden sollten, können indes so viel vom Gesamteinkommen verbrauchen, dass viele gezwungen sind, ihre für die Beschäftigung produktiver Arbeitskräfte bestimmten Kapitalien anzugreifen. Dann ist alle Sparsamkeit und kluge Lebensführung der einzelnen nicht mehr im Stande, die Minderung des Gesamtertrages, verursacht durch solch gewaltsamen und erzwungenen Rückgriff, wieder auszugleichen“ (283).

Orte produktiver Arbeit: Die Handelshäuser der Deutschen Brücke in Bergen (Norwegen)

Smith Beobachtungen sind von erstaunlicher Aktualität. Natürlich – und das wird von Smith auch nicht bezweifelt – tragen viele unproduktive Arbeiten direkt und indirekt zur Sicherung und Erhöhung des Lebensniveaus bei. Dies gilt für das Bildungs- und Gesundheitswesen ebenso wie für Kultur und Sport.

Dennoch: Die produktive Arbeit ist und bleibt die Grundlage und Voraussetzung für die Möglichkeit – oder den „Luxus“ – unproduktiver Arbeit. Nur solange es Menschen gibt, die „herstellen, kaufen und verkaufen“, können auch Menschen bezahlt werden, die Kinder unterrichten, die Kranke pflegen, die Geige spielen oder die versuchen, einen Ball ins Tor zu schießen.

Aus der Tatsache, dass das Einkommen für unproduktive Arbeit aus dem Mehrprodukt der produktiven Arbeit abgeleitet wird, ergibt sich daher die stete Notwendigkeit, den möglichen Umfang der unproduktiven Arbeit in Abhängigkeit von ihrem gesellschaftlichen Nutzen, aber vor allem vom Ausmaß der produktiven Arbeit her zu begrenzen.
  
Zitate aus: Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, hg. mit einer umfassenden Würdigung des Gesamtwerkes von Horst Claus Recktenwald, München 2009 (dtv)

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