Donnerstag, 12. Juli 2012

Martin Luther und die Handelsgesellschaften


Martin Luther um 1520 (Lucas Cranach d.Ä.)
Unmittelbar nach der reformatorischen Entdeckung des gnädigen Gottes und der Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517 beginnt Martin Luther mit der Ausarbeitung eines reformatorischen Programms, mit dem er das kirchlich-religiöse Leben neu gestalten will.

Unweigerlich berührt er dabei auch wichtige Themen des weltlichen Alltags, insbesondere aber aktuelle ökonomische Fragen. Das Thema des Zinsnehmens behandelt „Sermonen von dem Wucher“ (1519 / 1520).

In seiner dritten Schrift zu wirtschaftlichen Fragen, die den Titel „Von Kaufhandlung und Wucher“ (1524) trägt, behandelt Luther das Thema des pretium iustum, also des gerechten Preises. In der gleichen Schrift kritisiert Luther auch die Handlungsweise der großen Handelsgesellschaften.

Die Entstehung der Schrift steht eng im Zusammenhang mit der Antimonopolbewegung im Reich, die ihren Höhepunkt zwischen 1520 und 1530 erreichte und dabei „von nahezu allen Schichten des Volkes getragen wurde“ (Blaich).

Schließlich sahen sich die höchsten Instanzen des Reiches gezwungen, dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht auf dem Wege der Antimonopolgesetzgebung zu begegnen. Die durch die Monopolwirtschaft der großen Handelsgesellschaften hervorgerufenen Schädigungen wurden auf den Reichstagen von Köln/Trier (1512), Worms (1521) und Nürnberg (1522-1524) ausgiebig diskutiert.

In Köln wurden im Reichsabschied Strafvorschriften gegen Monopole erlassen, auf den beiden folgenden Reichstagen richteten sich die Maßnahmen gegen die großen Handelsgesellschaften als solche.

Kaiser Karl V. (Lucas Cranach d.Ä.)

Neben der auf den Reichstagen geführten Diskussion über die Monopole erfolgten die ersten Monopolklagen durch den Reichsfiskal. Im Zentrum stand dabei der Prozess gegen die Augsburger Handelshäuser, allen voran die Fugger. Als die Angeklagten sich daraufhin direkt an Karl V. wandten, befahl dieser am 15.09.1523 dem Reichsfiskal „bei vermeidung unser schweren ungnad“, das Gerichtsverfahren einzustellen. Zwar sei auch der Kaiser „des willens und endtlicher meinung“, keine Monopole im Reich zuzulassen, dass er aber trotzdem „aus etlichen trefflichen und wolgegrünten ursachen ein verfahren wider obgemelt kaufleut“ zulassen könne.

Man kann wohl davon ausgehen, dass Luther sowohl von den unwirksamen Beschlüssen der Reichstage als auch von der inkonsequenten Haltung des Kaisers enttäuscht war. So sah er sich wohl gezwungen, das Thema des Wuchers im Hinblick auf den gesamten Kaufhandel aufzugreifen.

Lutherfordert, den Preis „nach Recht und Billigkeit“ festzusetzen und es eben nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu überlassen, ihn zu regulieren. Konsequent verlangt Luther von den Kaufleuten, bei der Preisbildung immer auch das Wohl des Nächsten im Blick zu haben.

Luther macht in dem Verhalten der Handelsgesellschaften eine Haltung aus, die über den Weg monopolistischer Marktbeherrschung höchste Profite zu erzielen versucht. Es geht Luther dabei gar nicht so sehr um den Tatbestand des Monopols als solchem, sondern um den Zweck, der mit ihm verfolgt wird.

Anstelle des durch „Billigkeit“ und mit Blick auf den Mitmenschen geregelten Preises würden die Monopole einen künstlichen, durch Eigennutz bestimmten Preis festsetzen: „Denn solche Kauffleut tun gerade, als wären die Creaturen und Güter Gottes allein für sie geschaffen und gegeben, und als möchten sie dieselben den anderen wegnehmen und nach ihrem Mutwillen festsetzen“ (WA 15,305,28ff).

Auch der Antimonopolbewegung ging es darum, die Missstände zu beseitigen, die sich aus dem monopolistischen Verhalten ergaben. Ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele bestanden im wesentlichen in der Wiederherstellung der Preisgerechtigkeit, der Verhinderung einseitiger Vermögenskonzentration und der Existenzsicherung der „kleinen“ Kaufleute.

Jakob Fugger (rechts) mit seinem Hauptbuchhalter Matthäus Schwarz in der „Goldenen Schreibstube“ der Fugger, dem Fuggerkontor

Luther erkannte jedoch sehr genau, dass Kirche und Staat in der Praxis durch ihren ungeheuren Finanzbedarf auf den kapitalistischen Kaufmann angewiesen, ja von ihm abhängig waren. Auf diesem Weg drangen die Handelsgesellschaften immer stärker in die Wirtschaftsordnung ein. So schreibt Luther: „Die Fürsten sind der Diebe Gesellen geworden. Derweil lassen sie die Diebe hängen, die einen oder einen halben Gulden gestohlen haben, aber hantieren mit denen, die alle Welt berauben und mehr stehlen als alle anderen zusammen“ (313,5ff)

Luthers Kritik stand nicht nur im Einklang mit den Forderungen der Antimonopolbewegung im Reich, sondern auch mit der kirchlichen Tradition. In der Scholastik sah man in den Monopolen schlichten Betrug, der sich aus der Forderung ungerechter Preise ergab und zu Verzerrungen der üblichen Marktpreise führte: "Sie unterdrücken und verderben alle geringen Kaufleute, gleich wie der Hecht die kleinen Fische im Wasser" (312,4).

Weil die die Entstehens- und Existenzbedingungen der Handelsgesellschaften auf Eigennutz und auf Schädigung des Nächsten abzielen, fordert Luther ihre Abschaffung: "Sollen die Gesellschaften bleiben, so muss Recht und Redlichkeit untergehen. Soll Recht und Redlichkeit bleiben, so müssen die Gesellschaften untergehen. Das Bett ist zu enge, spricht Jesaja, eines muss herausfallen" (313,19 - Jes 28,20).

Luther will in seinen Schriften „Unterricht geben für jedermann“, jedoch nicht im Sinne einer neuen wirtschaftlichen Programmatik. Dies sei eindeutig die Aufgabe der Obrigkeit (311,23). Luther geht es um Aufklärung und Gewissensbildung. So wendet er sich an die, die „Christo gehorchen und lieber wollten mit Gott arm als mit dem Teufel reich sein“ (293,24f).

Luther ging es nicht um eine grundsätzliche Kritik des Handels, den er als für das Gemeinschaftsleben notwendig anerkannte. Aber er verlangt, das der Kaufmann vor allen anderen normativen Erwägungen – dazu gehören auch die eigengesetzlichen Mechanismen der Wirtschaft – die eigentliche ethische Grundentscheidung zugunsten des Nächsten getroffen hat:

„Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, dass frei in deiner Macht und deinem Willen steht ohne alles Gesetz und Maß, als wärest du ein Gott, der niemandem verbunden wäre. Sondern weil dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es mit solchem Gesetz und Gewissen verfasset sein, dass du es übst ohne Schaden und Nachteil deines Nächsten“ (295,22ff).
  
Zitate aus: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)

Weitere Literatur:  Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993  --  Christian Hecker: Lohn- und Preisgerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Metropolis)  --  Fritz Blaich: Die Reichsmonopolgesetzgebung im Zeitalter Karls V. Ihr ordnungspolitische Problematik, in: Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen, hg. von Prof. Dr. K. Paul Hensel und Prof. Dr. Klemens Pleyer, Stuttgart 1967 (Gustav Fischer Verlag)

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