Donnerstag, 19. Juli 2012

Leonhard Frank und der revolutionäre Geist


„Es gibt Menschen, die sich in ihrem Leben nicht auf einen, oder vielleicht auf zwei Stühle setzen, um einen festen Standpunkt oder Lebensmittelpunkt zu gewinnen“ (Hans Steidle).

Leonhard Frank
Diese Worte beziehen sich auf den Würzburger Schriftsteller Leronhard Frank (1882 – 1961), einem der bedeutendsten sozialkritischen und pazifistischen Erzähler Deutschlands. Nach Meinung Steidles setzte sich Frank vielleicht deshalb immer zwischen die Stühle, weil die Anzahl der Stühle, die das Leben ihm anbot, einfach nicht ausreichte, weil die angebotenen Stühle nicht passten oder vielleicht weil Frank ein fränkischer Querkopf war.

Dieses Leben „zwischen den Stühlen“ lässt sich wunderbar ablesen an der Tatsache, dass Frank im Jahre 1955 mit dem Nationalpreis der DDR I. Klasse für Kunst und Literatur und zwei Jahre später mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet wurde.

Über alle ideologischen Zuordnungen hinweg sind Franks Werke unzweideutig geprägt von seiner politischen Vorstellung eines solidarischen und humanen Zusammenlebens der Menschen. Was sein Werk auszeichnet, ist nicht nur seine sozialkritische Perspektive, sondern vor allem auch die eindringliche Darstellung der gesellschaftlichen und vor allem psychischen Abhängigkeiten seiner Figuren. So scheut er sich nicht, die eigene Schuld und Verantwortung für den Ausbruch des Krieges sowie die Gleichgültigkeit während der Kämpfe, das Versagen der Parteien – auch der linken Parteien – immer wieder zu betonen

Ein gutes Beispiel dafür ist der Erzählband „ „Der Mensch ist gut“ aus dem Jahre 1917, für den Frank 1918 den angesehenen Kleist-Preis erhielt. In fünf kurzen Erzählungen beschreibt er an fünf Einzelschicksalen nicht nur die Schrecken des Ersten Weltkrieges, sondern auch die Gefahren von Nationalismus und Militarismus.

„Wir haben zugesehen, wie Kampfparteien gebildet wurden; wir haben Kanonen, Schiffe, gewaltige Menschenmordmaschinen erfunden, gebaut. Bezahlt. Bewundert! Trotzdem wir hatten wissen können, daß die von uns bezahlten, bewunderten Massenmordmaschinen eines Tages sich gegen die Menschheit und auch gegen die Brust unserer Männer, Söhne, Väter richten würden. Das war unausbleiblich.

Dann wird gesagt und geglaubt, von den meinungslosen, gedankenlosen, von den immer noch gedankenlosen Volksmassen geglaubt: wir sind angegriffen worden und müssen das Vaterland verteidigen, unsere Kultur schützen. Es wird von Heldentum und von einem Felde der Ehre gesprochen. War alle Ehre nicht schon tot, noch bevor der Krieg begonnen hatte? Ist es eine Ehre, ist es Heldentum, um Besitz und Macht und für falsche Ideale Menschen zu erschlagen? (…)

Man spricht von Zivilisation. Ist das Zivilisation, daß ganz Europa schon vor dem Kriege ein einziger großer Fabriksaal war, in dem nicht Menschen lebten, sondern Maschinen automatisch sich bewegten? Maschinen aus Fleisch und Blut, die nicht mehr denken, keine Meinung haben, keine Erinnerung mehr daran haben, daß sie einmal Menschen waren, sondern wie die Maschinen aus Stahl, die sie bedienen, betrieben werden? Betrieben werden von der Notdurft, von dem Verlangen nach Achtung der Mitmaschinen, vom Verlangen nach Besitz, betrieben von Gewohnheit, Egoismus und Lüge. Lüge, in der die europäische Menschheit ertrunken ist, so daß es keinen Europäer mehr gibt, der eine eigene Meinung hätte, keinen, der das Feuer der Wahrheit in den Augen trüge.“ (Der Mensch ist gut).

Deutsche Infanteristen beim Angriff auf französische Stellungen (Verdun 1916)
  
Leonhard Frank ist um 1930 einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller, neben Heinrich und Thomas Mann Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Er ist politisch engagiert, schreibt Drehbücher und Theaterstücke über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und die wachsende Ratlosigkeit der Menschen angesichts der Krise und des Elends der verheerenden Massenarbeitslosigkeit.

Die Ursache für die Mehrzahl der Probleme der Menschen sieht Frank in der Abwesenheit eines selbständigen und kritischen Denkens:

‚Für eine Gemeinschaft zu handeln, deren Geist die Mitglieder zwingt, nicht zu denken, kein eigenes Leben, kein eigenes Ich, kein warnendes Gewissen zu haben, sondern seelenlose, unverantwortliche Automaten zu sein, die, wenn sie nicht jede befohlene Schandtat willenlos ausführen, eingesperrt oder erschossen werden, für eine solche Gemeinschaft zu handeln, ist ein Verbrechen wider den Geist, das nicht vergeben werden kann.

Es bleibt die sittliche Pflicht gegen Gott, gegen unser reines Ich, diese Gemeinschaft zu bekämpfen und damit für die Möglichkeit zu arbeiten, daß einmal eine Gemeinschaft entstehe, in welcher der Mensch gut sein darf, in welcher der Mensch er selbst, ein Ich, ein für seine Handlungen moralisch verantwortliches Ich und als solches gut, das bedeutet: für die Gemeinschaft sein kann.‘ (ebd.)

Frank sieht die Wirklichkeit und das Weltgeschehen zwischen zwei entgegengesetzten Polen: Einerseits „das korrumpierte, krummgenagelte Weltgeschehen“ und andererseits „das höchste, herrlichste Ziel: das ‚Reine Ich‘ und eine menschliche Gemeinschaft, für die er als Reines Ich handeln, leben und auch sein Leben hingeben kann.“

„Diesem Ziele kann der Mensch nur so lange zustreben, solange er mit der Korruption, der Lüge, dem Zwange, dem Ungeiste unablässig kämpft. In dem Moment, da er eine Handlung begeht, die zu diesem Streben im Widerspruche steht, ist die Linie gebrochen. Der Mensch, der für eine, für seine Idee kämpft und stirbt, ist groß, denn er kämpft und stirbt auf dem Wege zu sich, stirbt im Kampfe um sein Reines Ich. Der Mensch, der sich zwingen läßt, zu handeln, zu kämpfen, zu sterben für eine Idee, die zu dem Streben nach seinem Ich im Widersprüche steht, ist der Ärmste der Armen; denn er verliert das Kostbarste, das einzige, das der Mensch in Wahrheit besitzen kann: verliert sein Ich, verliert sich, ist nicht mehr, wird von den andern, die selbst nicht sind, besessen.“

Seine politischen Visionen nähern sich den Vorstellungen einer radikaldemokratischen, sozialistischen Revolution an, die sich 1918 kurzfristig in der Rätebewegung andeutete, an der sich Frank aktiv beteiligt.

Allerdings gibt sich Frank auch hier keinen Illusionen hin – und wie so viele andere auch sieht Frank die Verlogenheit und Doppelmoral auf Seiten der „revolutionären Kräfte“:

„Das Schaufenster war eingeschlagen; der Lebensmittelladen leergeplündert. Frauen hatten die Gelegenheit, daß Polizei und Truppen auf dem Platze beschäftigt waren, schnell benutzt. „Das ist nackter Hunger. Kein revolutionärer Geist“, sagte der Philosoph. Und hob einen geräucherten Fisch von der Straße auf …

Dieses rapid ins Geldverdienen hineingeratene Volk hat, aus einem öden Materialismus heraus, vor dem Kriege ‚Hoch‘ geschrien, bei Kriegsausbruch nichts, als ‚Hoch‘ geschrien. Und jetzt schreit es nur deshalb nicht mehr ‚Hoch‘, weil der Magen schreit.

Wenn aber in jenem entscheidenden Moment unsere Führer nicht abgeschwenkt wären, in das Lager, das sie bis dahin bekämpft hatten? Dann würden wenigstens die organisierten Massen schon lange in den Protest hineinmarschiert sein, ebenso geschlossen, wie sie in den Krieg marschiert sind.“

Es ist eben nicht nur „die Gesellschaft“, die – geprägt von Materialismus, Nationalismus und Militarismus – verantwortlich dafür ist, dass die Menschen, „zu eigenem Denken, zu eigenem Leben, zu sich selbst nicht kommen dürfen“, sondern auch die selbstgerechten Kräfte des „revolutionären Geistes“: 

„Daran können Sie das menschenunwürdige und überaus gefährliche System einer Organisation erkennen, die ihre Mitglieder nur für den Klassenkampf um materielle Vorteile drillt, sie in allen Städten jährlich in dreihundertfünfundsechzig Parteiversammlungen nur zum Durchbringen von Resolutionen im politischen Parteiinteresse benutzt, anstatt sie geistig zu befreien, sie zu denkenden Menschen eigener Entschlußfähigkeit für das Gute zu machen.

Da braucht sich im entscheidenden Moment nur der Hauptführer als Dummkopf zu erweisen, braucht nur der Hauptführer zum Verräterchen zu werden, und die organisierten, denkunfähigen Massen schwenken mit ab, folgen ihm in den Krieg, ebenso geschlossen, wie sie ihm in den Protest gefolgt wären.

Gedenkkarte - für die Angehörigen des gefallenen Soldaten Georg Thiel
Die Geistigkeit ist verurteilt, untätig am Rande dieses Krieges zu verharren. Denn zwischen ihr und dem Volke besteht nicht der geringste bewußte Kontakt. Und selbst der Tod der Millionen konnte bei den Hinterbliebenen nicht den geringsten geistesverwandten Gefühlsprotest auslösen. Nur der Magen protestiert. Das ist Materialismus.

Christus und Kant, Schiller und Goethe sind vor dem Kriege für eine Leberwurst, für drei Mark Wochenlohn mehr, für eine Wohnung mit Dampfheizung, für das Aufrücken in die ungeistige bürgerliche Lebenshaltung, oder für das Verharren in ihr hingegeben worden. Materialismus: angefangen beim entseelten, maschinierten Fabrikarbeiter, über den vor Bequemlichkeit stinkenden Kanapeebürger und über den Kapitalisten, den modernen Philosophen und Dichter weg, bis hinunter zum ersten Diener des Staates.

Hier haben Sie die Ursache des Krieges . . . Dieser gewaltige Block von Egoismus, Gemeinheit und granitener Dummheit kann schwerlich von heute auf morgen gesprengt werden.“

Nach dem 2. Weltkrieg kehrte Frank aus dem Exil in den USA wieder nach Deutschland zurück. Er gehörte zu denen, die über den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen nicht vergessen und nicht schweigen wollten. Auch wenn er zunehmend als „Nestbeschmutzer“ diffamiert wurde, dachte er nicht daran in die DDR umzuziehen, wo seine Bücher verlegt wurden - letztlich weil er auch um die politische und künstlerische Unfreiheit im SED-Staat wusste …


Zitate aus: Leonhard Frank: Der Mensch ist gut, als Online-Text im Projekt Gutenberg  -  Hans Steidle: Zwischen allen Stühlen. Der Würzburger Romancier Leonhard Frank  -  Weitere Hinweise zu Leonhard Frank auf der Homepage der Leonhard-Frank-Gesellschaft


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