„Es gibt Menschen, die sich in ihrem Leben
nicht auf einen, oder vielleicht auf zwei Stühle setzen, um einen festen
Standpunkt oder Lebensmittelpunkt zu gewinnen“ (Hans Steidle).
Leonhard Frank |
Diese Worte beziehen sich auf den Würzburger Schriftsteller Leronhard Frank (1882 – 1961),
einem der bedeutendsten sozialkritischen und pazifistischen Erzähler
Deutschlands. Nach Meinung Steidles setzte sich Frank
vielleicht deshalb immer zwischen die Stühle, weil die Anzahl der Stühle, die
das Leben ihm anbot, einfach nicht ausreichte, weil die angebotenen Stühle
nicht passten oder vielleicht weil Frank ein fränkischer Querkopf war.
Dieses Leben „zwischen den Stühlen“ lässt
sich wunderbar ablesen an der Tatsache, dass Frank im Jahre 1955 mit
dem Nationalpreis der DDR I. Klasse für Kunst und Literatur und zwei Jahre später
mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik
Deutschland ausgezeichnet wurde.
Über alle ideologischen Zuordnungen hinweg
sind Franks Werke unzweideutig geprägt von seiner politischen Vorstellung eines
solidarischen und humanen Zusammenlebens der Menschen. Was sein Werk
auszeichnet, ist nicht nur seine sozialkritische Perspektive, sondern vor allem
auch die eindringliche Darstellung der gesellschaftlichen und vor allem
psychischen Abhängigkeiten seiner Figuren. So scheut er sich nicht, die eigene
Schuld und Verantwortung für den Ausbruch des Krieges sowie die Gleichgültigkeit
während der Kämpfe, das Versagen der Parteien – auch der linken Parteien – immer
wieder zu betonen
Ein gutes Beispiel dafür ist der Erzählband „
„Der Mensch ist gut“ aus dem Jahre 1917, für den Frank 1918 den angesehenen
Kleist-Preis erhielt. In fünf kurzen Erzählungen beschreibt er an fünf
Einzelschicksalen nicht nur die Schrecken des Ersten Weltkrieges, sondern auch
die Gefahren von Nationalismus und Militarismus.
„Wir
haben zugesehen, wie Kampfparteien gebildet wurden; wir haben Kanonen, Schiffe,
gewaltige Menschenmordmaschinen erfunden, gebaut. Bezahlt. Bewundert! Trotzdem
wir hatten wissen können, daß die von uns bezahlten, bewunderten
Massenmordmaschinen eines Tages sich gegen die Menschheit und auch gegen die
Brust unserer Männer, Söhne, Väter richten würden. Das war unausbleiblich.
Dann
wird gesagt und geglaubt, von den meinungslosen, gedankenlosen, von den immer
noch gedankenlosen Volksmassen geglaubt: wir sind angegriffen worden und müssen
das Vaterland verteidigen, unsere Kultur schützen. Es wird von Heldentum und
von einem Felde der Ehre gesprochen. War alle Ehre nicht schon tot, noch bevor
der Krieg begonnen hatte? Ist es eine Ehre, ist es Heldentum, um Besitz und
Macht und für falsche Ideale Menschen zu erschlagen? (…)
Man
spricht von Zivilisation. Ist das Zivilisation, daß ganz Europa schon vor dem
Kriege ein einziger großer Fabriksaal war, in dem nicht Menschen lebten,
sondern Maschinen automatisch sich bewegten? Maschinen aus Fleisch und Blut,
die nicht mehr denken, keine Meinung haben, keine Erinnerung mehr daran haben,
daß sie einmal Menschen waren, sondern wie die Maschinen aus Stahl, die sie
bedienen, betrieben werden? Betrieben werden von der Notdurft, von dem
Verlangen nach Achtung der Mitmaschinen, vom Verlangen nach Besitz, betrieben
von Gewohnheit, Egoismus und Lüge. Lüge, in der die europäische Menschheit
ertrunken ist, so daß es keinen Europäer mehr gibt, der eine eigene Meinung
hätte, keinen, der das Feuer der Wahrheit in den Augen trüge.“ (Der Mensch ist
gut).
Deutsche Infanteristen beim Angriff auf französische Stellungen (Verdun 1916) |
Leonhard Frank ist um 1930 einer der
erfolgreichsten deutschen Schriftsteller, neben Heinrich und Thomas Mann
Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Er ist politisch engagiert, schreibt
Drehbücher und Theaterstücke über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und
die wachsende Ratlosigkeit der Menschen angesichts der Krise und des Elends der
verheerenden Massenarbeitslosigkeit.
Die Ursache für die Mehrzahl der Probleme der
Menschen sieht Frank in der Abwesenheit
eines selbständigen und kritischen Denkens:
‚Für
eine Gemeinschaft zu handeln, deren Geist die Mitglieder zwingt, nicht zu
denken, kein eigenes Leben, kein eigenes Ich, kein warnendes Gewissen zu haben,
sondern seelenlose, unverantwortliche Automaten zu sein, die, wenn sie nicht
jede befohlene Schandtat willenlos ausführen, eingesperrt oder erschossen
werden, für eine solche Gemeinschaft zu handeln, ist ein Verbrechen wider den
Geist, das nicht vergeben werden kann.
Es
bleibt die sittliche Pflicht gegen Gott, gegen unser reines Ich, diese
Gemeinschaft zu bekämpfen und damit für die Möglichkeit zu arbeiten, daß einmal
eine Gemeinschaft entstehe, in welcher der Mensch gut sein darf, in welcher der
Mensch er selbst, ein Ich, ein für seine Handlungen moralisch verantwortliches
Ich und als solches gut, das bedeutet: für die Gemeinschaft sein kann.‘ (ebd.)
Frank sieht die Wirklichkeit und das
Weltgeschehen zwischen zwei entgegengesetzten Polen: Einerseits „das
korrumpierte, krummgenagelte Weltgeschehen“ und andererseits „das höchste,
herrlichste Ziel: das ‚Reine Ich‘ und eine menschliche Gemeinschaft, für die er
als Reines Ich handeln, leben und auch sein Leben hingeben kann.“
„Diesem
Ziele kann der Mensch nur so lange zustreben, solange er mit der Korruption,
der Lüge, dem Zwange, dem Ungeiste unablässig kämpft. In dem Moment, da er eine
Handlung begeht, die zu diesem Streben im Widerspruche steht, ist die Linie
gebrochen. Der Mensch, der für eine, für seine Idee kämpft und stirbt, ist
groß, denn er kämpft und stirbt auf dem Wege zu sich, stirbt im Kampfe um sein
Reines Ich. Der Mensch, der sich zwingen läßt, zu handeln, zu kämpfen, zu
sterben für eine Idee, die zu dem Streben nach seinem Ich im Widersprüche
steht, ist der Ärmste der Armen; denn er verliert das Kostbarste, das einzige,
das der Mensch in Wahrheit besitzen kann: verliert sein Ich, verliert sich, ist
nicht mehr, wird von den andern, die selbst nicht sind, besessen.“
Seine politischen Visionen nähern sich den
Vorstellungen einer radikaldemokratischen, sozialistischen Revolution an, die
sich 1918 kurzfristig in der Rätebewegung andeutete, an der sich Frank aktiv
beteiligt.
Allerdings gibt sich Frank auch hier keinen
Illusionen hin – und wie so viele andere auch sieht Frank die Verlogenheit und
Doppelmoral auf Seiten der „revolutionären Kräfte“:
„Das
Schaufenster war eingeschlagen; der Lebensmittelladen leergeplündert. Frauen
hatten die Gelegenheit, daß Polizei und Truppen auf dem Platze beschäftigt
waren, schnell benutzt. „Das ist nackter Hunger. Kein revolutionärer Geist“,
sagte der Philosoph. Und hob einen geräucherten Fisch von der Straße auf …
Dieses
rapid ins Geldverdienen hineingeratene Volk hat, aus einem öden Materialismus
heraus, vor dem Kriege ‚Hoch‘ geschrien, bei Kriegsausbruch nichts, als ‚Hoch‘
geschrien. Und jetzt schreit es nur deshalb nicht mehr ‚Hoch‘, weil der Magen
schreit.
Wenn
aber in jenem entscheidenden Moment unsere Führer nicht abgeschwenkt wären, in
das Lager, das sie bis dahin bekämpft hatten? Dann würden wenigstens die
organisierten Massen schon lange in den Protest hineinmarschiert sein, ebenso
geschlossen, wie sie in den Krieg marschiert sind.“
Es ist eben nicht nur „die Gesellschaft“, die
– geprägt von Materialismus, Nationalismus und Militarismus – verantwortlich
dafür ist, dass die Menschen, „zu eigenem Denken, zu eigenem Leben, zu sich
selbst nicht kommen dürfen“, sondern auch die selbstgerechten Kräfte des
„revolutionären Geistes“:
„Daran
können Sie das menschenunwürdige und überaus gefährliche System einer
Organisation erkennen, die ihre Mitglieder nur für den Klassenkampf um
materielle Vorteile drillt, sie in allen Städten jährlich in
dreihundertfünfundsechzig Parteiversammlungen nur zum Durchbringen von Resolutionen
im politischen Parteiinteresse benutzt, anstatt sie geistig zu befreien, sie zu
denkenden Menschen eigener Entschlußfähigkeit für das Gute zu machen.
Da
braucht sich im entscheidenden Moment nur der Hauptführer als Dummkopf zu
erweisen, braucht nur der Hauptführer zum Verräterchen zu werden, und die
organisierten, denkunfähigen Massen schwenken mit ab, folgen ihm in den Krieg,
ebenso geschlossen, wie sie ihm in den Protest gefolgt wären.
Gedenkkarte - für die Angehörigen des gefallenen Soldaten Georg Thiel |
Die
Geistigkeit ist verurteilt, untätig am Rande dieses Krieges zu verharren. Denn
zwischen ihr und dem Volke besteht nicht der geringste bewußte Kontakt. Und
selbst der Tod der Millionen konnte bei den Hinterbliebenen nicht den
geringsten geistesverwandten Gefühlsprotest auslösen. Nur der Magen
protestiert. Das ist Materialismus.
Christus
und Kant, Schiller und Goethe sind vor dem Kriege für eine Leberwurst, für drei
Mark Wochenlohn mehr, für eine Wohnung mit Dampfheizung, für das Aufrücken in
die ungeistige bürgerliche Lebenshaltung, oder für das Verharren in ihr
hingegeben worden. Materialismus: angefangen beim entseelten, maschinierten
Fabrikarbeiter, über den vor Bequemlichkeit stinkenden Kanapeebürger und über
den Kapitalisten, den modernen Philosophen und Dichter weg, bis hinunter zum
ersten Diener des Staates.
Hier
haben Sie die Ursache des Krieges . . . Dieser gewaltige Block von Egoismus,
Gemeinheit und granitener Dummheit kann schwerlich von heute auf morgen gesprengt
werden.“
Nach dem 2. Weltkrieg kehrte Frank aus dem Exil
in den USA wieder nach Deutschland zurück. Er gehörte zu denen, die über den
Nationalsozialismus und dessen Verbrechen nicht vergessen und nicht schweigen wollten.
Auch wenn er zunehmend als „Nestbeschmutzer“ diffamiert wurde, dachte er nicht
daran in die DDR umzuziehen, wo seine Bücher verlegt wurden - letztlich weil er
auch um die politische und künstlerische Unfreiheit im SED-Staat wusste …
Zitate
aus: Leonhard Frank: Der Mensch ist gut, als Online-Text im Projekt Gutenberg - Hans
Steidle: Zwischen allen Stühlen. Der Würzburger Romancier Leonhard Frank
- Weitere Hinweise zu Leonhard Frank
auf der Homepage der Leonhard-Frank-Gesellschaft
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