Donnerstag, 23. Juli 2015

Rüdiger Safranski, Immanuel Kant und der Ewige Friede

In seinem kleinen Buch „Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch“ versucht Rüdiger Safranski, Freiräume für ein Gleichgewicht und für Handlungsfähigkeit zu beschreiben, die es dem Individuum möglich machen, in einer globalisierten Welt gut zu leben. In diesem Zusammenhang spielt die Möglichkeit globaler Friedensstiftung eine fundamentale Rolle.

Immanuel Kant (1724 - 1804)
Es war Kant, der im 18. Jahrhundert einen berühmten Entwurf eines globalen Weltfriedens unter Voraussetzung der grundlegenden Pluralität und Individualität der Menschen vorgelegt hat. Jene berühmte Abhandlung von 1795 trägt den Titel „Zum ewigen Frieden“.

Auch für Kant ist die die Erde zunächst „eine einzige Globalisierungsfalle, weil die Menschen auf ihr … sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden... müssen.“ Innerstaatlich habe man inzwischen eine gewisse Befriedung erreicht, zwischenstaatlich und zwischen den Völkern herrscht aber immer noch das Prinzip der Gewalt und des Krieges als ultima ratio.

Kant bemerkt, dass sich gerade im freien Verhältnis der Völker die Bösartigkeit der menschlichen Natur immer noch unverhohlen blicken lassen kann

Will man mittels der Vernunft etwas an diesem Zustand ändern, dann, so Kant im Anschluss an Macchiavelli, müsse man vom Menschen ausgehen, wie er ist, und eben nicht, wie er sein könnte. So müsse das Eigeninteresse ebenso wie der Egoismus und der Wille zur Selbstbehauptung gewahrt bleiben, wolle man einen besseren Zustand im Hinblick auf den Frieden in der Welt konstruieren.

Iustitia und das Gewalt-
monopol des Staates
Am Beispiel des innerstaatlichen Gewaltmonopols zeigt Kant auf, daß es offenbar im wohlverstandenen Eigeninteresse des Einzelnen liegt, sich Regelungen zu unterwerfen, welche die eigene Souveränität einschränken, dafür aber Sicherheit und Schutz gewähren. Die Frage ist, ob solche Regelungen auch zwischen den Völkern vorstellbar sind? Mit anderen Worten: Ist die Überwindung des Naturzustandes nicht nur innerstaatlich, sondern auch zwischenstaatlich möglich?

Die gewaltsame Unterwerfung verschiedener Völker und Staaten unter eine Weltmacht - z. B. im Stile des Römischen Reiches - ist eine unbefriedigende Möglichkeit, weil es sich um eine Befriedung durch Unterwerfung handelt. Aber auch die hochkomplizierte Politik der Machtbalance schafft keinen wirklichen Frieden, sondern sei nur ein aufgeschobener Kriegszustand.

Der einzige Weg, den zwischenstaatlichen Krieg zu eliminieren wäre ein Weltstaat, in dem die zahlreichen Einzelstaaten aufgehen müssten. Gäbe es nur noch eine Weltinnenpolitik gibt, ausgeführt und überwacht von einer Zentralmacht, die mit einem globalen Gewaltmonopol ausgestattet ist, dann wäre der Weg zum Weltfrieden endlich geebnet.

Kant aber – und das spricht für ihn und seinen Realismus - hält einen solchen Weltstaat weder für möglich noch für wünschenswert, denn ein zentralistischer Weltstaat stellt eine Bedrohung der Vielfalt der Völker, ihrer Sprachen und Religionen dar. „Diese Vielfalt und Differenz gehört zum Reichtum des Menschlichen. Kant gesteht zu, daß die Bewahrung von Vielfalt und Differenz den Hang zum wechselseitigen Hasse, und Vorwand zum Kriege bei sich führt. Dieser Tendenz sollte man jedoch nicht entgegenwirken, indem man die differenten Kräfte schwächt, sondern indem man sie in ein System des zivilen lebhaftesten Wetteifers überführt.“

Vielfalt und Differenz gehört zum Reichtum des Menschlichen 

Natürlich bleiben Risiken, aber man muß sie eingehen - um der Freiheit willen. „Nicht wünschenswert jedenfalls ist ein Despotismus des Friedens, der zum Kirchhof der Freiheit wird.“

Damit ist die wirklich beste Lösung für das erreichen des Weltfriedens ein föderativer Weltstaatenbund. Jeder Staat behält seine Souveränitätsrechte (auch das der Kriegsführung), verpflichtet sich jedoch, alle Konflikte friedlich auf dem Verhandlungswege zu lösen. Eine oberste Sanktionsgewalt, welche die Staaten dazu zwingen könnte, die freiwillig eingegangene Verpflichtung einzuhalten, gibt es allerdings in Kants Vorstellungswelt nicht.

So würde derjenige, der gegen gemeinsam ausgehandelte Regeln verstößt, nicht von einer übergeordneten Instanz daran gehindert werden können, „sondern nur von einer auf gleicher Ebene operierenden Allianz, die auf die Einhaltung der Regeln notfalls gewaltsam drängt.“

Kants Fazit also lautet: Ein „homogenes, befriedetes politisches Universum wird es nicht geben. Politisch bleibt die Welt ein Pluriversum. Die elementaren Verfeindungsverhältnisse (der Naturzustand) können zwischen den Staaten letztlich nicht überwunden, sondern allenfalls geregelt werden.“

Herrschaft des Gesetzes statt
Herrschaft einer Weltregierung
Das mag sich zunächst bescheiden anhören. Aber: „Wer auf Regeln und Regelungen setzt, optiert gegen eine vertikal etablierte Übermacht über den Mächten und für die horizontal ausgehandelte Herrschaft von Gesetz und Recht, auch zwischen den Staaten und Nationen. Statt Herrschaft einer Weltregierung die Herrschaft des Gesetzes. Eine Gesetzes-Herrschaft, die mangels einer Weltregierung darauf angewiesen bleibt, daß ihr wechselnde Allianzen von Staaten und Organisationen sowie eine kritische Öffentlichkeit Geltung verschaffen. Ein unsicherer Grund, aber in menschlichen Angelegenheiten gibt es eben keine Sicherheit.“

Kant plädiert also für einen rigorosen Formalismus des globalen Rechts. „Nur im Recht, nicht in der Existenz einer möglicher-weise guten, wohlmeinenden Weltmacht, sieht er eine Chance für den Weltfrieden, freilich nur eine Chance. Eine sichere Gewähr wird es nicht geben. Weil es Mächte geben muß, wechselnde Mächte, Allianzen von Mächten, die bereit sind, das Recht zu schützen, was nichts anderes bedeutet, als sich der Macht des Gesetzes zu unterstellen. Das ist nicht wenig. … Ob es in der Geschichte solche Mächte gibt, die das Recht schützen, hängt auch von Zufallskonstellationen ab, vom Glück der Umstände.“

Für Kant gab es vor allem drei gesellschaftliche Entwicklungen, die die Chancen auf einen globalen Frieden verbessern könnten.

Da ist erstens die demokratische Entwicklung: Wenn – so Kant – es die Zustimmung der Staatsbürger erforderlich ist, um zu beschließen, ob Krieg sein solle, oder nicht, so „ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten,... sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.“ Es verwundert daher nicht, dass sich für das 20. Jahrhundert tatsächlich nachweisen lässt, daß es nicht die demokratischen Staaten waren, die die Kriege begonnen haben.

Zum zweiten gibt es die zivilisierende Kraft des Welthandels, worauf auch Kant seine Hoffnung setzt. „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Krieg nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt. Weil nämlich unter allen der Staatsmacht untergeordneten Mächten die Geldmacht wohl die zuverlässigste sein möchte, so sehen sich die Staaten... gedrungen, den edlen Frieden zu befördern.“

Drittens vertraut Kant der zunehmenden Bedeutung der Öffentlichkeit, also dem Prinzip der Publizität. Würde man öffentlich über politische Belange diskutieren, so müßte sich schließlich auch, dachte Kant, der Krieg in der Arena der Argumente verteidigen. 

„Publizität setzt den Krieg unter Rechtfertigungsdruck.“

So ist die politische Verfassung aus Demokratie, Markt und Publizität für Kant „ein politisches Kunstwerk, in dessen Rahmen der Einzelne ein guter Bürger sein kann, ohne doch zuvor zum guten Menschen geläutert worden zu sein.“

Es sei letztlich alles eine Frage des Verstandes, zu einem Friedenszustand zu gelangen. Dabei handelt es sich für Kant gleichwohl um den Verstand der Selbsterhaltung.

Aber nun kommt Kant zum Herzstück seiner Vorstellungen vom ewigen Frieden: Er will über den selbsterhaltenden Verstand hinaus eine Vernunft begründen, die den Menschen dazu anleitet, sich friedensfähig in eine Gemeinschaft einzufügen, „nicht weil er schwach ist und sich anpaßt, sondern weil er über sich selbst herrschen, seinen Egoismus beherrschen kann.“


Menschenwürde und Ewiger Friede - zwei Seiten der einen Medaille

Erst solch eine Vernunft gilt Kant als universell. Sie ist das Organ, mit dessen Hilfe der Einzelne sich als Glied nicht nur eines Volkes und Staates, sondern der Menschheit begreifen kann. „Die Vernunft entgrenzt.“ Der Einzelne, der seine Vernunft achtet und auf sie hört, entdeckt und achtet damit zugleich die Menschheit in sich. Wer aber die „Menschheit“ in sich ehrt, überwindet das bloße Selbsterhaltungsinteresse und wird fähig zur Solidarität. Diese Vernunft, so Kant, macht den Menschen zum Weltbürger. „Sie ist der direkte Weg vom Ich zum Wir. So wird im Licht der Vernunft Versöhnung möglich, und so kann das Zeitalter des Ausgleichs anbrechen.

Beginnt hier aber nicht die Vernunft von der Vernunft zu träumen?

Zitate aus: Rüdiger Safranski: Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? Frankfurt a.M. 2004 (Fischer tb)

1 Kommentar:

  1. Danke für diesen interessanten Beitrag. Zum letzten Punkt: Man muss bedenken, dass Kant den Vernunftbegriff in einem sehr viel spezifischeren Sinne benutzte als es heutzutage üblich ist. Verstand ist bei ihm zum Beispiel etwas ganz anderes. Eine passende Definition kann ich aber mangels näherer Kenntnis seiner Philosophie auch nicht liefern.

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