Donnerstag, 28. September 2017

Ian Buruma, Avishai Margalit und der Hass auf den Westen (Teil 3)



Ein „Okzidentalist“ ist nicht etwa ein Anhänger des Westens und westlicher Ideen, sondern ihr schlimmster Feind. In diesem Sinne verwenden jedenfalls Ian Buruma, ehemalige Professor für Demokratie, Menschenrechte und Journalismus am Bard College in New York und der israelische Philosoph Avishai Margalit den Begriff „Okzidentalismus“. Sie verstehen unter Okzidentalismus eine Ideologie des Hasses gegen den Okzident, gegen westliche Gesellschaftsstrukturen und Werte.




So wie die Materie in den Augen der radikalen Islamisten der Gott des Westens ist und der Materialismus seine Religion, so gilt der Osten als das Reich tiefer Spiritualität – zumindestens, wenn man ihn sich selbst überläßt und ihn vor dem Gift des Westens beschützt. Der Kampf zwischen Ost und West erscheint somit als ein manichäischer Kampf zwischen den götzendienerischen Anbetern irdischer Materie und den wahren Verehrern des göttlichen Geistes.

Einige islamische Glaubensideologen wie etwa Ali Shari’ati (1933 bis 1977), ein geistiger Wegbereiter des revolutionären Islam im Iran, versuchen sogar, marxistische Themen wie den Marktfetischismus für die islamistische Kritik am Westen fruchtbar zu machen. „Shari’ati sagte dem Westen und dem, was von den Ländern, die von ihm fasziniert waren, importiert wurde – Imperialismus, internationaler Zionismus, Kolonialismus, multinationale Unternehmen und so weiter–, viele Krankheiten nach; die schlimmste aber war gharbzadegi, das heißt, der westlichen Kultur blind und gedankenlos zu folgen.“ 

Ali Shari’ati
Shari’ati war überzeugt davon, daß es für die Menschen in der islamischen Hemisphäre nur einen Weg gibt, um die Übel des Westens zu bekämpfen: Herausbildung einer kulturellen Identität auf der Grundlage einer Religion, in seinem Fall natürlich des Islam. Die Verbindung von metaphysischer Erlösungs-gewissheit und Sehnsucht nach Einheit und Harmonie ein zutiefst romantisches Motiv. 

Von diesen Ideen zur Betrachtung des radikalen Islam als eine ikonoklastische Bewegung, die sich aufmacht, die westlichen Idole zu zerstören, ist nur noch ein kurzer Schritt. Als Beispiel für die gewalterfüllte Vorstellung von der neuen jahiliyya (eigentliche "Unwissenheit", meist mit "Barbarentum" übersetzt) mag der Aktivist der ägyptischen Muslimbruderschaft, Said Qutb (1906 – 1966) gelten. Für ihn befand sich die ganze Welt vom dekadenten Kairo bis zum barbarenhaften New York in einem Zustand der jahiliyya

In seinen Augen war der Westen ein einziges riesiges Bordell, erfüllt von animalischer Lust, Habgier und Selbstsucht. „Im Westen verleihe man dem menschlichen Denken `den Status eines Gottes´. Gier nach dem Materiellen, amoralisches Verhalten, Ungleichheit und politische Unterdrückung würden erst dann ein Ende haben, wenn die Welt allein von Gott und seinen Gesetzen regiert werde. Die Gelegenheit, in einem Heiligen Krieg zu sterben, biete den Menschen die Möglichkeit, eigensüchtige Ambitionen und korrupte Unterdrücker zu überwinden.“ 

Als Qutb 1948 vom ägyptischen Erziehungsministerium für zwei Jahre zum Studium in die USA geschickt wurde, um dort sein Englisch zu verbessern, ließ ihn diese Erfahrung zu einem echten Okzidentalisten werden. Vieles am amerikanischen Leben schockierte ihn, nicht nur im vergnügungssüchtigen New York, sondern auch im verschlafenen Greeley in Colorado, dessen gepflegte Rasenflächen ihn als „Symbole eines geistlosen Individualismus“ abstießen. Wahrhaftig erschütterte ihn jedoch die „frivole Art“, in der sich die örtlichen schwärzen Prediger mit Jazzrhythmen und ähnlichem an ihre Gemeinde wandten. 

Said Qutb
Gleich nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten begann Qutb, an einer islamistischen Ideologie zu arbeiten, die sich den großen Ideologien des Westens entgegenstellen ließ. Der große weltweite „Clash“ würde somit zwischen der Kultur des Islam, die im Dienste Gottes stand, und der Kultur der jahiliyya stattfinden, die allen körperlichen Bedürfnissen diente, welche die Menschen zu wilden Tieren degradierte. In der jahiliyya-Kultur seien Essen, Trinken, Sex und leibliche Genüsse das einzig Bedeutsame, also Dinge, die für Tiere typisch sind. Die jahiliyya gilt denn auch als Kultur der Tiere –schlimmer noch: jahiliyya gilt als die Kultur höchst anmaßender Tiere, die versuchen, Gott zu spielen. 

Ob nun Ali Shari’ati oder Said Qutb oder die vielen anderen islamistischen Theoretiker, die bis heute maßgeblichen Einfluss beisitzen - alle betrachten den Westen als Ausgangspunkt der neuen jahiliyya, als Brutstätte des Götzendienstes, als niedrigste Form des Daseins, die am besten vollständig vom Antlitz dieser Erde getilgt werden sollte. 

Qutb spricht diese Tatsache ganz deutlich aus: »Jede Gesellschaft, die nicht muslimisch ist, ist jahilitisch (…) de facto jede Gesellschaft, die etwas anderes als Gott und ihn allein anbetet.“ Für die radikalen Islamisten ist die ganze Welt nun Kriegsgebiet. Denn es gibt in ihren Augen kaum ein Land, in dem nicht weltliche Regime die Souveränität Gottes an sich gerissen haben. 

Will man diese göttliche Souveränität über die Welt wieder herstellen, muß ein Staat vollständig nach religiösem Recht regiert werden. „Das Ziel des Heiligen Krieges, des jihad, kann nach Qutbs Worten also nur darin bestehen, »das göttliche Recht als einzige Autorität anzuerkennen und die von Menschen erlassenen Gesetze abzuschaffen«. 

Diese Kriegserklärung ist dabei nicht nur metaphorisch zu verstehen, denn `all dies kann nicht allein durch Predigten und Reden erreicht werden´.“ Die Anschläge radikaler Islamisten in New York, Paris, London und zuletzt Barcelona sind jedenfalls ein grausames Zeugnis von Theorie und Praxis des Okzidentalismus. 




Zitate aus: Ian Buruma /Avishai Margalit: Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde, München 2015 


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