Fortsetzung vom 14.09.2017
Ein „Okzidentalist“
ist nicht etwa ein Anhänger des Westens und westlicher Ideen, sondern ihr
schlimmster Feind. In diesem Sinne verwenden jedenfalls Ian Buruma, ehemalige
Professor für Demokratie, Menschenrechte und Journalismus am Bard College in
New York und der israelische Philosoph Avishai Margalit den Begriff
„Okzidentalismus“. Sie verstehen unter Okzidentalismus eine
Ideologie des Hasses gegen den Okzident, gegen westliche
Gesellschaftsstrukturen und Werte.
Dem Westen wurde der Krieg in vielfältigem erklärt, im Namen der deutschen Rasse, des Staatsshintoismus, der russischen Seele, des Kommunismus oder zuletzt des Islam. Während nun diejenigen, die für eine spezifische Nation oder Rasse kämpfen Außenseiter von ihrem Kampf ausschließen, weil sie sich für auserwählt halten, erheben diejenigen, die für religiöse oder politische Überzeugungen in die Schlacht ziehen, oftmals den Anspruch, universelle Heilsbringer zu sein.
Auch wenn die Trennlinien in der Praxis natürlich nicht so eindeutig verlaufen, lohnt es sich, zwischen einem religiösen und einem säkularen Okzidentalismus zu unterscheiden.
Denn der religiöse Okzidentalismus gibt sich stärker als die weltliche Variante manichäisch, d.h. er geht von einem radikalen Dualismus von Licht und Finsternis, von Gut und Böse, von Geist und Materie aus. Er spricht deshalb konsequenterweise stets von einem Heiligen Krieg gegen die Feinde im Okzident, die schlicht der Vorstellung vom absoluten Bösen entsprechen.
In den meisten Spielarten des Okzidentalismus wird zwar dem leeren westlichen Rationalismus ein „tiefer Geist“ der Rasse oder Glaubensgemeinschaft gegenübergestellt. Aber auch die glühensten Anhänger der Romantik oder der Slawophilie betrachteten den Westen niemals als barbarisch oder seine Bewohner als Wilde. Diese Einstellung findet sich allein in bestimmten Strömungen des Islamismus, der wichtigsten religiösen Quelle für den Okzidentalismus unserer Gegenwart.
Der Islamismus als Ideologie stand nur zu einem geringen Teil unter dem Einfluß westlicher Ideen. Seine Darstellung der westlichen Zivilisation als einer Form von götzendienerischer Barbarei ist ein durchaus eigenständiger Beitrag zur reichhaltigen Geschichte des Okzidentalismus. Die Sicht des Westens im Islam geht weit über das traditionelle Vorurteil hinaus, der Westen sei dem Geld und der Habgier verfallen. Der Vorwurf lautet auf „Götzendienst“, auf „Idolatrie“, also der schlimmsten möglichen Glaubenssünde, und diesem Götzendienst muss daher mit aller Macht und mit allen denkbaren Sanktionsmöglichkeiten, die den wahren Gläubigen zur Verfügung stehen, begegnet werden.
Im Visier der Islamisten: Götzendienst - die schlimmste Glaubenssünde |
Kurioserweise - darauf deuten die Buruma und Margalit explizit hin, „damit nicht der Eindruck entsteht, wir wollten den Islam für alles verantwortlich machen“ - , stammt die Vorstellung des Götzendiesntes aus der schlimmsten religiösen Sünde ursprünglich aus dem Judentum.
Schon damals zeigte sich also die wahnhafte Vorstellung von Großmächten – damals „die Hure Babylon“, heute einfach „der Westen“ - als potentiellen Verführern, die dem wahren Gott die Herrschaft streitig machen wollen, denn schließlich ist der eigene Gott immer und notwendig der einzige legitime König des Universums.
Der Götzendienst, so Buruma und Margalit weiter, wird immer dann zu einem Thema, wenn eine weltliche Macht eine politische Loyalität einfordert, die der Loyalität den Rang streitig macht, die man Gott schuldigt. Islamisten betrachten die politische Realität unserer Zeit nicht nur unter politischen, sondern vornehmlich unter theologischen Gesichtspunkten.
Vor allem die säkularen Regierungen in mehrheitlich muslimischen Ländern werden von radikalen Islamisten des Götzendienstes beschuldigt. Solche Vorwürfe werden zunächst in Glaubenspredigten formuliert, dann aber sehr schnell in einen politischen und terroristischen Aktivismus übersetzt, der sich gegen die Götzendiener in der muslimischen Welt richtet, in der Regel also gegen die Regierenden, sowie gegen die dahinterstehenden eigentlichen Kräfte, nämlich den götzendienerischen Westen.
Der muslimische Begriff für den Götzendienst lautet jahiliyya. In der traditionellen islamischen Koranexegese wird betont, dass der Begriff „Götzendienst“ ein Antonym zu "Wissen" darstellt, und entsprechend jahiliyya als "Unwissenheit" interpretiert. Somit würde mit dem Begriff jemand beschrieben, der weder den einzigen Gott als Schöpfer noch den Propheten Mohammed noch das religiöse Gesetz anerkannt hat und hat somit kein Wissen über religiöse Normen des Islams.
Der
Begründer der modernen europäischen Islamwissenschaft, der Österreicher Isaak Yehuda
Goldziher (1850–1922) jedoch übersetzte jahiliyya nicht mehr wie gewohnt als
Unwissenheit, sondern bevorzugte den Begriff der »Barbarei«. Goldziher wollte
damit auch sprachlich deutlich machen, Mohammed sei von Gott geschickt worden,
um die Götzendienerei der Barbaren mit Stumpf und Stiel auszurotten und damit
der Barbarei ein Ende zu machen.
Isaak Yehuda Goldziher |
Diese Bedeutungskorrektur wurde schließlich in
den arabischen Ländern rezipiert und wird heute gern von radikalen Islamisten –
freilich vollkommen unreflektiert – verwendet. Die Verwendung des Begriffes „Barbar“
erinnert an die Unterscheidung zwischen „Griechen“ und Barbaren, die letztlich Unterscheidung
zwischen zwei Arten menschlicher Wesen verteidigt. Unwissende resp. Barbaren
sind dann diejenigen die jenseits des Einflussbereiches der eigenen Zivilisation
lebten, also unzivilisierte Wilde und somit nicht wirklich Menschen.
Aus
dieser Vorstellung der Menschen als Barbaren speist sich eine entmenschlichende
Vorstellung des Westens, die in letzter Konsequenz befördert einen neuen
Heiligen Krieg gegen das Böse befördert, der in den absoluten Kategorien des
Manichäismus von Gut (=der Islam) und Böse (=der Westen) ausgefochten wird.
In
den Augen der Okzidentalisten verehrt der Westen materielle Dinge, ja seine
eigentliche Religion ist der
Materialismus, und Materie ist nach manichäischer Überzeugung böse. Da nun der
Westen den falschen Gott des Materiellen anbetet, wird er zum Reich des Bösen,
das sein Gift verbreitet. Für den religiösen Okzidentalismus ist die
Auseinandersetzung mit dem Westen nicht einfach ein politischer Kampf, sondern
ein kosmisches Drama, ganz ähnlich dem Drama des Manichäismus.
So
wie die Materie in den Augen der radikalen Islamisten der Gott des Westens ist
und der Materialismus seine Religion, so gilt der Osten als das Reich tiefer
Spiritualität – zumindestens, wenn man ihn sich selbst überläßt und ihn vor dem
Gift des Westens beschützt. Der Kampf zwischen Ost und West erscheint somit als
ein manichäischer Kampf zwischen den götzendienerischen Anbetern irdischer
Materie und den wahren Verehrern des göttlichen Geistes.
(Fortsetzung folgt)
(Fortsetzung folgt)
Zitate aus: Ian Buruma /Avishai Margalit: Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde, München 2015
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