Donnerstag, 11. Mai 2017

Martin Luther und die Gewissensfreiheit - Teil 2



Luther war durchaus ein Wegweiser der Aufklärung und der Bildung, insofern als er an der Mündigkeit des Menschen weit vor der Aufklärung interessiert war. Selbstverständlich war das souveräne „Subjekt“, das sich entschließt, sich seine Welt selbst zu erfinden, in der frühen Neuzeit überhaupt noch nicht denkbar. Das galt übrigens auch für alle anderen Humanisten und auch für die Renaissance-Philosophen.

So entstand Luthers Freiheitsforderung nicht aus unserer heutigen Vorstellung des „autonomen Individuums“ heraus, sondern aus der Idee, dass jeder Einzelne unmittelbar und unvertretbar vor Gott und seinem Gewissen stehe.

Martin Luther
Das ist rückblickend für die Geschichte der Aufklärung und der Erfindung des Bürgertums nicht unerheblich, dass Luther nicht in Ständen dachte, sondern den Gedanken vertrat, dass Gott alle an ihren spezifischen Ort beruft, auch in die Berufen. Die entscheidende Frage ist dann „Wo stellt Gott mich hin?“ und eben nicht „In welchem Stand bin ich geboren?“ Und das ist wiederum eine Idee, die später dann von den großen Aufklärern im 18.Jahrhundert aufgenommen werden, die dann sowas wie eine frühbürgerliche Ordnung vorprägen.

Das würde bedeuten: Auf dem Weg zum gebildeten, mündigen Bürger haben der katholische Mönch Martin Luther und der evangelische Philosoph Immanuel Kant dasselbe Ziel. Sie kommen nur von unterschiedlichen Ausgangspunkten: Auf der einen Seite steht Martin Luthers unvertretbare Gewissensverantwortung – „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ – auf der anderen Seite Immanuel Kants kategorischer Imperativ – „Handle nur nach der Maxime, von der du wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Die Behauptung, Luther habe eine herausgehobene Position in der Bildungs- und in der Aufklärungsgeschichte, ist also durchaus zutreffend.

Ausgesprochen glücklich war der Umstand, dass Luther mit Melanchthon einen kongenialen Partner hatte, mit dem er sich hervorragend verstand. Es war Melanchthon, der dafür sorgte, dass humanistische Bildungsauffassungen mit in die Reformation Eingang gefunden haben.

Phillip Melanchthon
Aber was das Eigen-ständige Luthers war: Dass das alles auch das Volk erreichen sollte, das Evangelium fürs Volk, und dass das Volk gebildet sein soll! Was er mit hineingebracht hat in diese ganze Bildungsbewegung war etwas Nicht-Elitäres, etwas Emanzipatives. Man könnte sagen: Was die politische Freiheit für die Französische Revolution war, das ist die religiöse Freiheit für die Reformation.

Nicht unterschätzten darf man gleichwohl das Interesse der deutschen Fürsten, die sich nicht nur einfach „von Rom“ lossagen wollten – nicht zuletzt, um das Eigentum der Kirchen und Klöster an sich zu ziehen. Daher genoss Luther deren Schutz. Die Kritik an Luther wendet ein, dass er im Gegenzug die Religion an die Fürsten verpfändet. Aus dem mittelalterlichen Gegensatz von Staat und Kirche wird bei Luther nun die Staatskirche der Neuzeit. Luther ruft im Interesse der Fürsten zum Kreuzzug gegen die Bauern auf. Mit Demokratie hat Luther offensichtlich nichts am Hut.

Man muss allerdings unterscheiden zwischen der frühen Phase Luthers, wo er offen war gegenüber Widerstand und Widerspruch und dem späten Luther, der sehr desillusioniert und frustriert war. Am Anfang war die Reformation ja eine kirchliche Erneuerungsbewegung zurück zum „ursprünglichen Christentum“. Daraus entwickelte sich dann sowas wie eine Fürstenreformation, d.h. plötzlich ist die Obrigkeit im Spiel. Nun geht es um Ordnungsgefüge, um Macht und um innere Sicherheit.

Vielleicht darf man einfach nicht vergessen, dass Luther natürlich von seinem Weltbild her noch im Mittelalter verhaftet war.

Heute gibt es das Grundrecht auf Gewissensfreiheit. Sucht man bei Martin Luther und der Reformation nach Samenkörnern für die später heranreifende Aufklärung, dann kommt unweigerlich der Vorwurf, dass die politische Verwirklichung der Gewissensfreiheit und die daraus abgeleiteten Menschenrechte jahrhundertelang oft genug gegen die Kirchen durchgeboxt werden mussten! Gegen die katholische bis tief ins 20.Jahrhundert hinein; aber 1789 auch gegen die evangelisch-calvinistische und 1848 gegen die evangelisch-lutherische.

Die Idee der Menschenrechte
verdankt sich auch Impulsen der Reformation
Und dennoch verdankt sich die Idee der Menschenrechte Impulsen der Reformation. Oft kamen die Impulse von Minderheitenkirchen, von Vertriebenenkirchen, die dann in den Vereinigten Staaten oder sonst wo neu anfangen mussten, z.B. die Mennoniten und Waldenser. Die haben schon sehr früh verstanden, dass das eine Überlebensfrage wird, dass sie als Minderheiten anerkannt sind.

Hier liegt die Verbindung zu Luther und seiner besonderen Sicht des Menschen: Es gibt keinen Menschen, der vom Menschsein ausgeschlossen ist! Es gibt keine Eigenschaft, die den Menschen in besonderer Weise zu seinem Menschsein in voller Würde befähigt, sondern diese Würde trifft auf alle Menschen zu, in allen Formen, zu Beginn des Lebens, am Ende des Lebens.

Luther hatte ein sehr realistisches Verhältnis zum Menschen, weder will er etwas schönreden, noch etwas schlechtreden. Luther versteht den Menschen ganz realistisch als jemanden, der hin und her gerissen ist zwischen Gefühlen und seinem klugen Verstand, überwältigt von negativen Energien und der Bereitschaft, „ein netter Nachbar zu sein.“ Als Menschen haben wir ganz ambivalente Möglichkeiten: Zerstörerische und großartig schöpferische Möglichkeiten.

Luther als Wegbereiter der Gewissensfreiheit und bürgerlicher Freiheiten? Die ganze Reformation, „geht uns voraus“, meint Joachim Gauck.

Zitate aus: Andreas Malessa: Luther - Wegbereiter der Gewissensfreiheit?, SRW2 Wissen, Sendung  vom 16. März 2017


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