Donnerstag, 4. Mai 2017

Martin Luther und die Gewissensfreiheit - Teil 1

Im April 1521 lud Kaiser Karl V über 80 Fürsten, 130 Grafen und die Bürgermeister der freien Städte zu einem „Reichstag“ nach Worms ein. Karl V. von den Landesherren höhere Abgaben für die Kriege in seinem weltweiten Kolonialreich. Die deutschen Fürsten aber sind in Widerstandslaune. Kaiser Karl tut ihnen einen Gefallen: Er liefert einen lästigen kleinen Wittenberger Mönch nicht an den Papst aus, sondern verhört ihn in Worms. Er soll hier auf deutschem Boden seine anti-päpstlichen Thesen widerrufen.

Luther auf dem Reichstag in Worms (Wandgemälde von Hermann Wislicenus, ca. 1882) 

Luther weiß, dass das für ihn auf dem Scheiterhaufen enden könnte – und dennoch stellt er Behauptungen auf, die ihn Kopf und Kragen kosten können: Weder Papst noch Kaiser sind die höchsten Autoritäten. Sie müssen ihre Entscheidungen von der Bibel her legitimieren. Jeder getaufte Christ habe das Recht, dies an Hand eigener Lektüre zu überprüfen. De facto wären die Regierenden damit dem Volk gegenüber rechenschaftspflichtig. Außerdem: Jeder Christ müsse seinem Gewissen mehr gehorchen als den Dogmen, die ein Kirchen-Konzil beschlossen habe.

Keiner der anwesenden Herrscher hat auch nur im Geringsten eine Ahnung davon, welche revolutionäre Wirkung das Gesagt haben wird. Und dann setzt Luther noch einen drauf und sagt sinngemäß: „Weil ich mich aus Gewissensgründen an die Bibel gebunden fühle, müsstet Ihr mich schon mit biblischen Argumenten überzeugen. Oder mit Vernunftgründen. Wenn Ihr das nicht könnt, kann und will ich nichts widerrufen, denn es ist weder sicher noch heilsam, gegen das Gewissen zu handeln. Gott helfe mir, Amen.“

Am 31. Oktober 2016 findet in Berlin der Festakt zur Eröffnung des Jubiläumsjahres „500 Jahre Reformation “ statt. Die Festrede hält der damalige Bundespräsident Joachim Gauck.

„Ich spreche heute zu Ihnen als Bundespräsident und bringe damit zum Ausdruck, dass unserem Gemeinwesen dieses ja zunächst kirchliche Ereignis außerordentlich wichtig nimmt. Wir vermischen hier nicht unzulässiger Weise die kirchliche und die staatliche Sphäre, sondern der Staat erkennt an, dass auch er selber in seiner Geschichte und Vorgeschichte in vielfacher Weise von der Reformation und ihrer Wirkungsgeschichte geprägt ist. Bei keinem bisherigen Reformationsjubiläum gab es so viele Menschen in unserem Land, die einer anderen als der christlichen Religion angehören. Oder gar keiner! Sie genießen die Freiheit des Glaubens und des Gewissens und damit unveräußerliche Grundrechte, die es ohne die Initialzündung der Reformation schwerlich gäbe.“

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck
Joachim Gauck meint, dass auch Muslime und Atheisten davon profitieren, dass Luther vor 500 Jahren die Gewissens- und Religionsfreiheit eingefordert hat. Und dass er das Recht und die Freiheit beanspruchte, „Nein“ sagen zu dürfen. Und allen die Verantwortung auflud, „Nein“ sagen zu müssen, wenn es das Gewissen fordert. Was in der Konsequenz dann die Meinungs- und Pressefreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und der Künste ermöglichte.

Unter Gewissensfreiheit verstehen wir heute in der Regel, dass wir selbst entscheiden und unser Gewissen uns leitet und wir dadurch in moralischer Hinsicht richtige Entscheidungen treffen können. Luther würde dagegen einwenden, dass nicht wir Herr über unser Gewissen ist, sondern unser Gewissen gebunden ist an Gottes Wort! Insofern ist Luther vielleicht gerade das Gegenteil von einem Aufklärer, wenn ich immer nur tun darf, was mir die Bibel vorschreibt?

Luther wäre damit also weder Freiheitsapostel noch Vorläufer der Aufklärung. Im Gegenteil, Luther bedeutete vielmehr eine Katastrophe für die westliche Zivilisation. Die Vernunft bezeichnete Luther als „des Teufels Hure“. Die Astronomie des Kopernikus lehnte er ab, weil sie der Bibel widerspricht. Wo Schrift und Verstand einander widersprechen, ist Luther immer für die Heilige Schrift. Er verhalf dem Fundamentalismus zum Sieg über den aufklärerischen Humanismus. Diesem gegenüber vertritt Luther eine buchgläubige Intoleranz.

Dennoch darf man nicht vergessen, dass Bibel-Lesen zu Luthers Zeiten etwas Subversives war, nachdem 1522 das Neue Testament und 1534 das Alte auf Deutsch erschienen waren. Denn wenn ethische Maximen zum ersten Mal von allen und in volkstümlich deutscher Sprache lesbar sind, dann verlagert sich ihre Deutungshoheit von den Priestern auf das Volk. Mit seiner Bibelübersetzung gibt Luther allen ein Messgerät in die Hand, mit dem sie sich selbst, ihre Gesellschaft, vor allem aber kirchliche und staatliche Autoritäten prüfen dürfen. Luther geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet: „Wir werden durch die Taufe ohne Ausnahme zu Priestern geweiht. Es müssten diejenigen, die mit Ernst Christen sein wollen und das Evangelium mit Worten und Taten bekennen, sich irgendwo in einem Haus versammeln um zu beten, zu lesen, zu taufen und das Abendmahl zu empfangen.“


Zwar ist Luther „bibeltreu“, aber er ist kein Fundamentalist. Das sieht man daran, dass er Zeit seines Lebens versucht hat, mit dieser Bibel zu ringen, sie auszulegen. Es ist die Aufgabe von allen Christinnen und Christen, sich mit dem Wort Gottes selbst zu befassen. Das ist eine große Zumutung und eine gigantische Chance. Luther versteht unter „Gewissensfreiheit in Bindung an das Wort“ genau dieses: Dass eben weltliche Herrschaft und Obrigkeit nicht reinreden kann in seine Gottesbeziehung. Und wenn man diese Tradition nimmt, ist er durchaus der Impulsgeber für das, was dann irgendwann modern „Gewissensfreiheit“ wird.

(Fortsetzung folgt)



Zitate aus: Andreas Malessa: Luther - Wegbereiter der Gewissensfreiheit?, SRW2 Wissen, Sendung  vom 16. März 2017

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