Die Würde ist das höchste Gut des Menschen. Peter Bieris
Buch „Eine Art zu leben. Von der Vielfalt menschlicher Würde“ handelt von
diesem zentralen Thema unseres Lebens. Mit einem einzigen Begriff ist die
menschliche Würde nicht zu fassen. Die Würde hängt gleichermaßen von unserem
Umgang mit anderen und mit uns selbst ab. Würde, so stellt Bieri heraus, ist
keine abstrakte Eigenschaft, sondern eine bestimmte Art zu leben.
Ausgangspunkt Bieris ist die Beobachtung, dass unser Leben
als denkende, erlebende und handelnde Wesen zerbrechlich und stets gefährdet
ist – von außen wie von innen. Die Lebensform der Würde ist daher der Versuch,
„diese Gefährdung in Schach zu halten. Es gilt, unser stets gefährdetes Leben
selbstbewusst zu bestehen. Es kommt darauf an, sich von erlittenen Dingen nicht
nur fortreißen zu lassen, sondern ihnen mit einer bestimmten Haltung zu
begegnen, die lautet: Ich nehme die Herausforderung an. Die Lebensform der
Würde ist deshalb nicht irgendeine Lebensform, sondern die existentielle
Antwort auf die existentielle Erfahrung der Gefährdung“ (14f).
Eine Form der Würde ist Würde als Wahrhaftigkeit: „In dem
Maße, in dem unsere Würde durch den Willen zur Wahrhaftigkeit bestimmt wird,
hat sie mit einer Einstellung zu tun, die man intellektuelle Redlichkeit nennen kann“.
Intellektuell redliche Menschen handeln nach der Maxime, dass
man nicht vorgeben soll, Dinge zu wissen, die man nicht weiß und vielleicht
auch nicht wissen kann.
Natürlich dürfe man Annahmen und Überlegungen jederzeit
aussprechen und zur Diskussion stellen, auch wenn sie auf wackeligem Boden
stünden. Das verbietet nicht die intellektuelle Redlichkeit.
„Was sie verbietet, ist, dass man sie als Wissen ausgibt –
als etwas, worauf man bauen kann. Das geschieht besonders oft und durchsichtig
in Äußerungen von Politikern.“ Dabei ist doch offenkundig, dass niemand
wirklich weiß, wie die Dinge liegen und was zu tun.
Je energischer die Bewegungen von Händen und Armen am Rednerpult, desto größer die Einfalt. |
Dennoch ist jeden Tag zu beobachten, dass Regierungschefs,
Minister, Parteiensprecher und Oppositionsführer sich hinstellen und behaupten,
als einzige die Übersicht zu haben. Dabei werden in Parteien und Ministerien
„Formeln geschmiedet und Metaphern beschworen, die in ihrer Einfalt zum Lachen
sind. Umso energischer sind die Bewegungen von Händen und Armen am Rednerpult.“
Würde man dagegen den Ton abschalten und nur die
Körpersprache betrachten, würde man Menschen sehen, die ihr fehlendes Wissen
durch eine Gestik der Selbstüberredung kaschieren. „Niemand, der solides Wissen
vorträgt, hat solche Gestik nötig.“
Bieri stellt sich vor, dass es auch anders sein könnte und
schreibt eine Politikerrede, die – leider – noch niemals in der Form gehalten
wurde:
"Die Fakten sind Ihnen bekannt, und es ist unstrittig,
dass wir handeln müssen. Doch es ist alles andere als offensichtlich, was zu
tun ist. Es gibt so vieles, was wir nicht vorhersehen können. Was niemand
vorhersehen kann.
Es sind in diesem Hause ganz unterschiedliche Vorschläge gemacht
worden. Es gibt viele ernsthafte Argumente, die einander widersprechen. Es wäre
unredlich so zu tun, als wüssten wir, die Regierung, es einfach besser als die
Opposition. Die Wahrheit ist: alle, die wir hier sitzen, müssen wir unter
Bedingungen der Unsicherheit entscheiden. Wer den anderen zugehört hat und
ehrlich ist, wird nachher seine Stimme mit Zweifeln abgeben. Denn er weiß: Es
könnte sein, dass die anderen es richtiger sehen.
Ich trage unsere Politik vor, werbe für sie und hoffe auf
eine Mehrheit, weil mich unter all den Argumenten, die ich gehört habe, die
unseren am ehesten überzeugen. Doch Anmaßung, Selbstgerechtigkeit und billige
Polemik liegen mir fern. Das ist etwas für Dummköpfe.
Ich kann nicht ausschließen, dass sich eines Tages als Fehler
herausstellen wird, was wir vorhaben. Wir handeln nach bestem Wissen und
Gewissen. Doch nicht ohne Zweifel, und mit Respekt vor dem, was uns
entgegengehalten wird. Die Dinge, die eine menschliche Gemeinschaft betreffen,
sind so komplex und unübersichtlich, dass es keine Gewissheiten geben kann.
Das müssen wir uns eingestehen, und diese Einsicht sollte
uns im Umgang miteinander stets leiten. Das verlangt die Würde dieses Hohen
Hauses.“
Leider dominiert in der politischen und öffentlichen
Diskussion eher dummes Geschwätz. „Dummes Geschwätz, das vorgibt, von Tatsachen
zu handeln, in Wirklichkeit aber bloß heiße Luft ist, gibt es überall, es
passiert jedem, und oft ist es völlig harmlos ... es folgt nicht viel aus dem
Gesagten, und es ist bald vergessen. Keine Würde ist in Gefahr. In Gefahr gerät
sie, wenn die Situation zu ernst ist, um Gequatsche zu vertragen.“
Dummes Geschwätz = Bullshit |
Da sagt jemand ganz ernsthaft im Radio: „Wenn Spanien den
EM-Titel holt, könnte das die Krise des Landes beenden.“ - "Hauptsache es
wird richtig polemisch!", sagt die Moderatorin … Es ist egal, vollständig
egal, was stimmt oder nicht. Wichtig sind sound-bytes, Effekthascherei und
Klamauck. Wichtig ist Bullshit.“
Zitate aus: Peter Bieri: Eine Art zu leben. Über
die Vielfalt menschlicher Würde. München 2013 (Hanser), hier: S. 235ff
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