Donnerstag, 18. Juni 2015

Peter Bieri und die intellektuelle Redlichkeit

Die Würde ist das höchste Gut des Menschen. Peter Bieris Buch „Eine Art zu leben. Von der Vielfalt menschlicher Würde“ handelt von diesem zentralen Thema unseres Lebens. Mit einem einzigen Begriff ist die menschliche Würde nicht zu fassen. Die Würde hängt gleichermaßen von unserem Umgang mit anderen und mit uns selbst ab. Würde, so stellt Bieri heraus, ist keine abstrakte Eigenschaft, sondern eine bestimmte Art zu leben.

Ausgangspunkt Bieris ist die Beobachtung, dass unser Leben als denkende, erlebende und handelnde Wesen zerbrechlich und stets gefährdet ist – von außen wie von innen. Die Lebensform der Würde ist daher der Versuch, „diese Gefährdung in Schach zu halten. Es gilt, unser stets gefährdetes Leben selbstbewusst zu bestehen. Es kommt darauf an, sich von erlittenen Dingen nicht nur fortreißen zu lassen, sondern ihnen mit einer bestimmten Haltung zu begegnen, die lautet: Ich nehme die Herausforderung an. Die Lebensform der Würde ist deshalb nicht irgendeine Lebensform, sondern die existentielle Antwort auf die existentielle Erfahrung der Gefährdung“ (14f).

Eine Form der Würde ist Würde als Wahrhaftigkeit: „In dem Maße, in dem unsere Würde durch den Willen zur Wahrhaftigkeit bestimmt wird, hat sie mit einer Einstellung zu tun, die man intellektuelle Redlichkeit nennen kann“.

Intellektuell redliche Menschen handeln nach der Maxime, dass man nicht vorgeben soll, Dinge zu wissen, die man nicht weiß und vielleicht auch nicht wissen kann.

Natürlich dürfe man Annahmen und Überlegungen jederzeit aussprechen und zur Diskussion stellen, auch wenn sie auf wackeligem Boden stünden. Das verbietet nicht die intellektuelle Redlichkeit.

„Was sie verbietet, ist, dass man sie als Wissen ausgibt – als etwas, worauf man bauen kann. Das geschieht besonders oft und durchsichtig in Äußerungen von Politikern.“ Dabei ist doch offenkundig, dass niemand wirklich weiß, wie die Dinge liegen und was zu tun.

Je energischer die Bewegungen von Händen und Armen
am Rednerpult, desto größer die Einfalt.

Dennoch ist jeden Tag zu beobachten, dass Regierungschefs, Minister, Parteiensprecher und Oppositionsführer sich hinstellen und behaupten, als einzige die Übersicht zu haben. Dabei werden in Parteien und Ministerien „Formeln geschmiedet und Metaphern beschworen, die in ihrer Einfalt zum Lachen sind. Umso energischer sind die Bewegungen von Händen und Armen am Rednerpult.“

Würde man dagegen den Ton abschalten und nur die Körpersprache betrachten, würde man Menschen sehen, die ihr fehlendes Wissen durch eine Gestik der Selbstüberredung kaschieren. „Niemand, der solides Wissen vorträgt, hat solche Gestik nötig.“

Bieri stellt sich vor, dass es auch anders sein könnte und schreibt eine Politikerrede, die – leider – noch niemals in der Form gehalten wurde:

"Die Fakten sind Ihnen bekannt, und es ist unstrittig, dass wir handeln müssen. Doch es ist alles andere als offensichtlich, was zu tun ist. Es gibt so vieles, was wir nicht vorhersehen können. Was niemand vorhersehen kann.

Es sind in diesem Hause ganz unterschiedliche Vorschläge gemacht worden. Es gibt viele ernsthafte Argumente, die einander widersprechen. Es wäre unredlich so zu tun, als wüssten wir, die Regierung, es einfach besser als die Opposition. Die Wahrheit ist: alle, die wir hier sitzen, müssen wir unter Bedingungen der Unsicherheit entscheiden. Wer den anderen zugehört hat und ehrlich ist, wird nachher seine Stimme mit Zweifeln abgeben. Denn er weiß: Es könnte sein, dass die anderen es richtiger sehen.

Ich trage unsere Politik vor, werbe für sie und hoffe auf eine Mehrheit, weil mich unter all den Argumenten, die ich gehört habe, die unseren am ehesten überzeugen. Doch Anmaßung, Selbstgerechtigkeit und billige Polemik liegen mir fern. Das ist etwas für Dummköpfe.

Ich kann nicht ausschließen, dass sich eines Tages als Fehler herausstellen wird, was wir vorhaben. Wir handeln nach bestem Wissen und Gewissen. Doch nicht ohne Zweifel, und mit Respekt vor dem, was uns entgegengehalten wird. Die Dinge, die eine menschliche Gemeinschaft betreffen, sind so komplex und unübersichtlich, dass es keine Gewissheiten geben kann.

Das müssen wir uns eingestehen, und diese Einsicht sollte uns im Umgang miteinander stets leiten. Das verlangt die Würde dieses Hohen Hauses.“

Leider dominiert in der politischen und öffentlichen Diskussion eher dummes Geschwätz. „Dummes Geschwätz, das vorgibt, von Tatsachen zu handeln, in Wirklichkeit aber bloß heiße Luft ist, gibt es überall, es passiert jedem, und oft ist es völlig harmlos ... es folgt nicht viel aus dem Gesagten, und es ist bald vergessen.  Keine Würde ist in Gefahr. In Gefahr gerät sie, wenn die Situation zu ernst ist, um Gequatsche zu vertragen.“

Dummes Geschwätz = Bullshit

Da sagt jemand ganz ernsthaft im Radio: „Wenn Spanien den EM-Titel holt, könnte das die Krise des Landes beenden.“ - "Hauptsache es wird richtig polemisch!", sagt die Moderatorin … Es ist egal, vollständig egal, was stimmt oder nicht. Wichtig sind sound-bytes, Effekthascherei und Klamauck. Wichtig ist Bullshit.“

Zitate aus: Peter Bieri: Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde. München 2013 (Hanser), hier: S. 235ff


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