Der
völkische Nationalismus beruht, wie Hannah Arendt in ihrem Werk „Elemente und
Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) überzeugend dargestellt hat, auf der
schlichten Behauptung, dass „das eigene Volk einzigartig und seine Existenz mit
der gleichberechtigten Existenz anderer Völker unvereinbar sei.“
Diese
Behauptung verbindet sich mit der Idee, „dass das eigene Volk von `einer Welt
von Feinden umgeben´, in einer Situation des `einer gegen alle´ sich befindet,
und dass es infolgedessen nur einen Unterschied in der Welt gibt, der zählt,
den Unterschied zwischen einem selbst und allen anderen“ (482).
In
diesem Kontext vertraten vor allem die Ideologen der Panbewegungen im 18.
Jahrhundert die These vom göttlichen Ursprung der Völker. Demnach ist die „nationale
Zugehörigkeit eine von Gott selbst geschaffene ewige Eigenschaft des Menschen.“
Wird eine solche Nationalität noch dazu als eine Auserwähltheit gedeutet, „so
wird das gesamte Volk aus dem Verdikt nachprüfbarer Geschichte erlöst, da nun
nichts, was ihm im Rahmen seiner geschichtlichen Realität widerfahren ist –
Eroberung, Wanderungen, Zerstreuungen –, etwas an seiner geschichtlichen
`Sendung´ ändern kann“ (496)
Ausgehend
von dieser pseudotheologischen Prämisse tritt im völkischen Denken an die
Stelle „der individualistisch verstandenen Menschenwürde“ nun die Vorstellung, „dass
alle, die in dasselbe Volk geboren sind, auf eine naturhafte Weise miteinander
verbunden sind und, ähnlich wie die Mitglieder der gleichen Familie,
aufeinander sich verlassen können.“ Arendt gibt sogar zu, dass die mit solchen
Vorstellungen verbundene Wärme und Sicherheit in der Tat sehr geeignet war, „die
berechtigten Ängste moderner Menschen in dem Dschungel einer atomisierten
Gesellschaft zu beschwichtigen, gerade weil diese Bewegung „durch Uniformierung
und massenhafte Zusammenfassung von Menschen eine Art Ersatz für
gesellschaftliche Heimat und Sicherheitsgefühl zu geben vermag“ (499).
Arendt
lässt keinen Zweifel daran, dass die Frage, „ob Gott den Menschen oder die
Völker schuf“, in der Tat für jede politische Philosophie von grundsätzlicher
Bedeutung ist. Gleichwohl ist für sie klar, dass alle Völker „offenkundig das
Resultat menschlicher Organisation“ sind (497).
Der Ruf nach "Deutschlands Wiedergeburt": Das Hambacher Fest (1832:) |
So entstehen Arendt zufolge Nationen überall da, „wo Völker begannen, sich als
geschichtliche und kulturelle Einheiten zu verstehen, die auf einem bestimmten,
ihnen zugewiesenen Siedlungsgebiet beheimatet und verwurzelt sind, weil auf ihm
die Geschichte ihre für alle sichtbaren Spuren hinterlassen hatte, so dass die
Erde selbst, so wie sie in Feld und Acker und Landschaft von menschlicher
Bestellung erzeugt wurde, auf die gemeinsame Arbeit der Vorfahren und das
gemeinsame, an diesen Boden gebundene Schicksal der Nachfahren verwies“ (487).
Entscheidend
ist für Arendt, dass der Nationalstaat seit den Tagen der Französischen
Revolution den Anspruch vertrat, „das Volk im Ganzen zu repräsentieren“, so
dass auf diese Weise zwei Faktoren, „nämlich nationale Zugehörigkeit und
Staatsapparat, miteinander verschmolzen und im nationalen Denken miteinander
identifiziert wurden.“ So bestand die höchste Funktion des Staates darin, den
gesetzlichen Schutz „aller Einwohner des Territoriums ist, ohne Rücksicht auf
deren nationale Zugehörigkeit“ (487f)
Für
Arendt besteht die Tragödie des Nationalstaates darin, „dass das
Nationalbewusstsein der Völker gerade mit dieser höchsten Funktion des Staates
in Konflikt geriet, insofern als es im Namen des Volkswillens verlangte, dass
nur diejenigen als vollgültige Bürger in den Staatsverband aufgenommen werden
sollten, die durch Abstammung und Geburt dem als wesentlich homogen
angenommenen Körper der Nation zugehörten.“
Dadurch
wurde der Staat “aus einem gesetzgebundenen und Gesetzlichkeit schützenden
Apparat zu einem Instrument der Nation. Die Nation setzte sich an die Stelle
des Gesetzes“ (488).
Moderner völkischer Nationalismus in Katalonien |
Auf dem
Spiel steht nicht mehr und nicht weniger das politische Verständnis von Gleichheit
der Menschen: Für Arendt sind „Menschen ungleich, was ihren
menschlich-natürlichen Ursprung angeht, so wie die Völker sich wesentlich
voneinander durch verschiedene Organisationen und geschichtliche Schicksale
unterscheiden. Ihre Gleichheit ist nur eine Gleichberechtigung, und diese kann
sich nur dort verwirklichen, wo Menschen sich so miteinander verständigen und
einrichten, dass sie sich solche Gleichberechtigung garantieren“ (497).
Genau
diese Gleichberechtigung bzw. ihre rechtliche Garantie durch die staatlichen
Institutionen geht in der `Eroberung des Staates durch die Nation´ unwiderruflich
verloren, weil „das einzig verbliebene Band zwischen den Bürgern eines
Nationalstaates … nun das Nationale, die gemeinsame Abstammung“ war:
„In
einem Jahrhundert, in dem jede Schicht der Bevölkerung von ihren partikularen
Klassen- und Gruppeninteressen beherrscht war und Politik sich in der tat in
dem Widerstreit solcher Interessen erschöpfte, erschien daher das gemeinsam
nationale Interessen nirgends garantiert zu sein außer in der gemeinsamen
Abstammung, dem der Nationalismus als eine bestimmte, allen Klassen und
Gruppierungen gemeinsame Gesinnung entsprach“ (489).
Als
die Nation schließlich den Staat erobert hatte, wurde offensichtlich, dass nationale
Interessen allen Erwägungen juridischer Art überzuordnen waren, dass mit
anderen Worten `Recht ist, was dem eigenen Volke nützt´. „Die Sprache des Mobs
drückte hier wie auch sonst nur das in brutaler Offenheit aus, wovon die
öffentliche Meinung ohnehin überzeugt war und dem die öffentliche Politik, wenn
auch mit Zurückhaltung, ohnehin Rechnung trug“ (575)
Das
Ergebnis dieses historischen Prozesses ist bekannt: „Sobald das immer prekäre
Gleichgewicht zwischen Nation und Staat, zwischen Volkswillen und Gesetz,
zwischen nationalem Interesse und legalen Institutionen verlorenging zugunsten
einer immer chauvinistischer werdenden Nation und von Interessen, die oft nicht
einmal mehr im wahren Interesse der Nation lagen, erfolgte die innere
Zersetzung des Nationalstaates mit großer Geschwindigkeit, wobei man sich klar
sein muss, dass Geschwindigkeit historisch nach Jahrzehnten und nicht nach
Jahren oder Monaten zu berechnen ist. Und diese Zersetzung begann in genau dem
historischen Augenblick, als zum ersten Mal das Recht zur nationalen
Selbstbestimmung in ganz Europa anerkannt worden war. Dies hieß eben auch, dass
der Vorrang des nationalen Volkswillens von allen legalen Institutionen und
`abstrakten´ Maßstäben in ganz Europa akzeptiert worden war“ (575).
Selbstinszenierung des Völkischen Nationalismus: Lichtdom auf dem Reichsparteitag der NSdAP, "Parteitag der Ehre" (eröffnet am 8.9.1936 in Nürnberg) |
Nachtrag vom 13.09.2013:
Für die Europäische Komission ist Katalonien nicht nur die korrupteste Region Spaniens, sondern nimmt unter den 172 Regionen Europas den 130. Rang ein. Wen wundert es?
Zitate
aus: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 2009
(piper), v.a. S. 482ff
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