Joseph Rudyard Kipling (1865-1936) |
Als Rudyard Kipling 1907
den Nobelpreis für Literatur erhielt, war er nicht nur der erste britische
Schriftsteller, sondern auch der bis dahin jüngste Autor, dem diese Ehrung
zuteil wurde. Kipling erwarb seinen Ruhm vor allem als hervorragender Erzähler
und Verfasser von Kurzgeschichten. Seine Kinderbücher – u.a. Das Dschungelbuch
– gehören zu den Klassikern des Genres.
Obwohl er zu den populärsten englischen
Schriftstellern zählte, nahmen seine Popularität und auch sein literarischer
Erfolg nach dem Ersten Weltkrieg stark ab. Das hatte einen einfachen Grund, wie
Jorge Luis Borges im Vorwort zum Sammelband
„Das Haus der Wünsche“ schreibt: „Kipling wurde als der kritische Barde des
Britischen Weltreichs katalogisiert. Das hat an sich nichts Unehrenhaftes, aber
es genügte, um seinen Namen zu schmälern, vor allem in England. Seine
Landsleute haben ihm niemals ganz seine ständigen Bezugnahmen auf das Imperium
verziehen.“
In diesem Kontext geht auch Hannah Arendt in
ihrem Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) auf Kipling ein,
den sie als „Schöpfer der imperialistischen Legende“ bezeichnet.
Legendäre Darstellungen der Geschichte haben
Arendt zufolge schon immer den Zweck, „an Tatsachen und Ereignissen
nachträglich Korrekturen vorzunehmen, welche die Geschehenskette, in deren
Verantwortlichkeit der Mensch unabhängig von bewusster Tat oder voraussehbarer
Konsequenz eingespannt ist, menschlich erträglicher machten“.
Denn die Wahrheit dieser alten Legenden liegt in dieser „von Menschen gestiftete Helle, in der allein die Völker es ertragen können, vergangenes Geschehen als ihre Vergangenheit anzuerkennen, in der sie Herren wurden über das, was sie nicht getan hatten, oder fertig wurden mit dem, was sie nicht ungeschehen machen konnten.“
Legenden gehören nicht nur zu den frühesten
Erinnerungen des Menschengeschlechts, sondern sind geradezu der Beginn der
menschlichen Geschichte. Eine besondere Blüte erlebte die Legende im Rahmen der
national gebundenen Gründungslegenden im 19. Jahrhundert. Für Arendt ist
Kipling der Schöpfer der imperialistischen Legende Englands, „ihr Thema ist das
englische Weltreich; und ihr Resultat ist der imperialistische Charakter.“
Im Falle des imperialistischen Charakters
Englands zeichnet sich dieser durch ein Verantwortungsbewusstsein aus, „das aus
der Überzeugung entsprang, dass man mit prinzipiell unterlegenen Völkern zu tun
hatte, die man einerseits zu schützen in gewissem Sinne die Pflicht hatte, für
die aber andererseits niemals die gleichen Gesetze gelten können wie für das
Volk, das man selbst in dieser Herrschaft vertrat.“ – eine Beobachtung, die eine erstaunliche Nähe aufweisen zu den Anmerkungen von Karl Marx über die britische Herrschaft in Indien.
Die Gründungslegende des englischen Weltreiches, wie Kipling sie in der Erzählung „The First Sailor“ präsentiert, beginnt mit den natürlichen Grundbedingungen des britischen Volkes. „Umgeben vom Meer, bedürfen sie des Beistandes der drei Elemente: des Wassers, des Windes und der Sonne; und sie verbünden sich mit diesen Elementen durch die Erfindung des Schiffes. Das Schiff trägt das gefährliche Bündnis mit den Elementen und macht die Engländer zu den Herren der Welt.“
„You’ll win the world without anyone caring how
you did it: you’ll keep the world without anyone knowing how you did
it: and you’ll carry the world on your backs without anyone seeing how
you did it. But neither you nor your sons will get anything out of that little job
except Four Gifts—one for the Sea, one for the Wind, one for the Sun, and one
for the Ship that carries you …
For, winning the world, and keeping the world, and
carrying the world on their backs—on land, or on sea, or in the air—your sons
will always have the Four Gifts. Long-headed and slow-spoken and heavy—damned
heavy—in the hand, will they be; and always and always a little bit to windward
of every enemy—that they may be a safeguard to all who pass on the seas on
their lawful occasions.” (Kipling, The First Sailor)
Die Sonne (Zwei Kriegsschiffe und kleinere Küstenfahrzeuge vor Anker auf der Themse bei Greenwich) |
Die Erzählung – aufgrund ihrer Verspieltheit in
eigentümlicher Nähe zu antiken Gründungslegenden – stellt den Engländer als das
einzige politisch erwachsene Volk dar, „dem darum die Sorge um das Wohlergehen
der Welt zur Last gelegt werden kann, während die übrigen Völker offenbar so
schwach sind, dass sie eines Beschützers bedürfen, oder so barbarisch, dass sie
die großen Kommunikationswege der Erde nur stören und gefährden können.
Politisch jedenfalls sind sie alle so unerfahren, dass sie weder wissen, was
die Welt zusammenhält, noch sich darum scheren.“
Das Problem dieser mythischen Verklärung war,
das ihm wohl der Schein einer echten Legende eigen war und dennoch der Trug allzu
offensichtlich wurde, denn „die Welt wusste und sah genau, „wie sie es machten“,
und die schönste Sage hätte ihr nicht weismachen können, dass die Engländer aus
diesem `little job´ nichts für sich selbst herausholten.“
Zitate aus: : Hannah Arendt: Elemente und
Ursprünge totaler Herrschaft, München 2009 (piper), v.a. S. 443ff - Rudyard Kipling: The First Sailor, in: A Book of Words. For my friends known
and unknown. Selections from speeches and addresses. Delivered between 1906 and 1927 (1928)
Weitere
Literatur: Rudyard
Kipling: Das Haus der Wünsche. Eine Sammlung phantastischer Literatur.
Erzählungen. Vorwort von Jorge L. Borges, in: Die Bibliothek von Babel, Bd.13,
Frankfurt 2007 (Edition Büchergilde)
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