Donnerstag, 11. Juli 2013

Rudyard Kipling die imperialistische Legende Englands

Joseph Rudyard Kipling (1865-1936)
Als Rudyard Kipling 1907 den Nobelpreis für Literatur erhielt, war er nicht nur der erste britische Schriftsteller, sondern auch der bis dahin jüngste Autor, dem diese Ehrung zuteil wurde. Kipling erwarb seinen Ruhm vor allem als hervorragender Erzähler und Verfasser von Kurzgeschichten. Seine Kinderbücher – u.a. Das Dschungelbuch – gehören zu den Klassikern des Genres.

Obwohl er zu den populärsten englischen Schriftstellern zählte, nahmen seine Popularität und auch sein literarischer Erfolg nach dem Ersten Weltkrieg stark ab. Das hatte einen einfachen Grund, wie Jorge Luis Borges im Vorwort zum Sammelband „Das Haus der Wünsche“ schreibt: „Kipling wurde als der kritische Barde des Britischen Weltreichs katalogisiert. Das hat an sich nichts Unehrenhaftes, aber es genügte, um seinen Namen zu schmälern, vor allem in England. Seine Landsleute haben ihm niemals ganz seine ständigen Bezugnahmen auf das Imperium verziehen.“

In diesem Kontext geht auch Hannah Arendt in ihrem Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) auf Kipling ein, den sie als „Schöpfer der imperialistischen Legende“ bezeichnet.

Legendäre Darstellungen der Geschichte haben Arendt zufolge schon immer den Zweck, „an Tatsachen und Ereignissen nachträglich Korrekturen vorzunehmen, welche die Geschehenskette, in deren Verantwortlichkeit der Mensch unabhängig von bewusster Tat oder voraussehbarer Konsequenz eingespannt ist, menschlich erträglicher machten“.

Das Wasser (Vor Anker liegende englische Schiffe)

Denn die Wahrheit dieser alten Legenden liegt in dieser „von Menschen gestiftete Helle, in der allein die Völker es ertragen können, vergangenes Geschehen als ihre Vergangenheit anzuerkennen, in der sie Herren wurden über das, was sie nicht getan hatten, oder fertig wurden mit dem, was sie nicht ungeschehen machen konnten.“

Legenden gehören nicht nur zu den frühesten Erinnerungen des Menschengeschlechts, sondern sind geradezu der Beginn der menschlichen Geschichte. Eine besondere Blüte erlebte die Legende im Rahmen der national gebundenen Gründungslegenden im 19. Jahrhundert. Für Arendt ist Kipling der Schöpfer der imperialistischen Legende Englands, „ihr Thema ist das englische Weltreich; und ihr Resultat ist der imperialistische Charakter.“

Im Falle des imperialistischen Charakters Englands zeichnet sich dieser durch ein Verantwortungsbewusstsein aus, „das aus der Überzeugung entsprang, dass man mit prinzipiell unterlegenen Völkern zu tun hatte, die man einerseits zu schützen in gewissem Sinne die Pflicht hatte, für die aber andererseits niemals die gleichen Gesetze gelten können wie für das Volk, das man selbst in dieser Herrschaft vertrat.“ – eine Beobachtung, die eine erstaunliche Nähe aufweisen zu den Anmerkungen von Karl Marx über die britische Herrschaft in Indien.

Der Wind (Englisches Kriegsschiff Great Harry)

Die Gründungslegende des englischen Weltreiches, wie Kipling sie in der Erzählung „The First Sailor“ präsentiert, beginnt mit den natürlichen Grundbedingungen des britischen Volkes. „Umgeben vom Meer, bedürfen sie des Beistandes der drei Elemente: des Wassers, des Windes und der Sonne; und sie verbünden sich mit diesen Elementen durch die Erfindung des Schiffes. Das Schiff trägt das gefährliche Bündnis mit den Elementen und macht die Engländer zu den Herren der Welt.“

„You’ll win the world without anyone caring how you did it: you’ll keep the world without anyone knowing how you did it: and you’ll carry the world on your backs without anyone seeing how you did it. But neither you nor your sons will get anything out of that little job except Four Gifts—one for the Sea, one for the Wind, one for the Sun, and one for the Ship that carries you …

For, winning the world, and keeping the world, and carrying the world on their backs—on land, or on sea, or in the air—your sons will always have the Four Gifts. Long-headed and slow-spoken and heavy—damned heavy—in the hand, will they be; and always and always a little bit to windward of every enemy—that they may be a safeguard to all who pass on the seas on their lawful occasions.” (Kipling, The First Sailor)

Die Sonne (Zwei Kriegsschiffe und kleinere Küstenfahrzeuge vor Anker auf der Themse bei Greenwich)

Die Erzählung – aufgrund ihrer Verspieltheit in eigentümlicher Nähe zu antiken Gründungslegenden – stellt den Engländer als das einzige politisch erwachsene Volk dar, „dem darum die Sorge um das Wohlergehen der Welt zur Last gelegt werden kann, während die übrigen Völker offenbar so schwach sind, dass sie eines Beschützers bedürfen, oder so barbarisch, dass sie die großen Kommunikationswege der Erde nur stören und gefährden können. Politisch jedenfalls sind sie alle so unerfahren, dass sie weder wissen, was die Welt zusammenhält, noch sich darum scheren.“

Das Problem dieser mythischen Verklärung war, das ihm wohl der Schein einer echten Legende eigen war und dennoch der Trug allzu offensichtlich wurde, denn „die Welt wusste und sah genau, „wie sie es machten“, und die schönste Sage hätte ihr nicht weismachen können, dass die Engländer aus diesem `little job´ nichts für sich selbst herausholten.“
  
Zitate aus: : Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 2009 (piper), v.a. S. 443ff  -  Rudyard Kipling: The First Sailor, in: A Book of Words. For my friends known and unknown. Selections from speeches and addresses.  Delivered between 1906 and 1927 (1928)

Weitere Literatur: Rudyard Kipling: Das Haus der Wünsche. Eine Sammlung phantastischer Literatur. Erzählungen. Vorwort von Jorge L. Borges, in: Die Bibliothek von Babel, Bd.13, Frankfurt 2007 (Edition Büchergilde)


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