„Es liegt am Menschen und nicht an einem
dunklen Verhängnis, was aus ihm wird. Weil die Einsicht unsere politische Denkungsart
klärt und dadurch erneuert, ist das Buch geschrieben.
Es macht keine Vorschläge und gibt keine
Programme. Denn es will als solches nur historische Erkenntnis. Daher halte ich
dieses Buch für Geschichtsschreibung großen Stils.“
(erschienen 1951, dt. 1955) |
Diese Worte schrieb Karl Jaspers im
Geleitwort zu Hannah Arendts großem Werk „Elemente und Ursprünge totaler
Herrschaft“, das sie unter dem Eindruck des Holocaust 1951 in New York
veröffentlichte und das vier Jahre später in deutscher Übersetzung erschien.
Wie Arendt selbst im Vorwort schreibt, handelt
das Buch „von den Ursprüngen und Elementen der totalen Herrschaft, wie wir sie
als eine, wie ich glaube, neue `Staatsform´ im Dritten Reich und in dem
bolschewistischen Regime kennengelernt haben. Die Ursprünge liegen in dem Niedergang
und Zerfall des Nationalstaates und dem anarchistischen Aufstieg der modernen
Massengesellschaft“ (16).Auf der Suche nach den historischen Ursprüngen des
Totalitarismus behandelt Hannah Arendt im zweiten Teil des Buches –
„Imperialismus“ – auch die Entstehung des deutschen Rassebegriffes.
Für Arendt steht fest, dass der deutsche
Rassebegriff auf die preußischen Patrioten nach der Niederlage von 1806 und die
politische Romantik zurückgeht.
Er war in seinen Ursprüngen ausgesprochen völkischer Art. Bevor er in eine
Weltanschauung degenerierte, war er politisch gebunden, hatte aber – im
Vergleich zum französischen Rassebegriff des französischen Adels – gerade „den
Zweck, das Volk in allen seinen Schichten zu vereinigen, und nicht, eine Gruppe
aus ihm herauszuspalten.“
Weil es also vor allem darum ging, „das Volk
zum Bewusstsein seiner gemeinsamen Herkunft gegen die Fremdherrschaft zu
mobilisieren“, ist das völkische Element für den deutschen Rassebegriff so
lange entscheidend geblieben und auch niemals ganz aus ihm verschwunden: „Die
Bedingungen und politischen Zwecke, die Abwehr der Fremdherrschaft und die
Einigung des Volkes haben zum mindesten bis zur Reichsgründung in der
Entwicklung des Rassebegriffs mitgewirkt, so dass sich hier in der Tat echter
Nationalismus und typische Rassevorstellungen vielfach miteinander mischen und
ebenjenes völkische Denken erzeugen, das es nur im deutschsprachigen Raum
gibt.“
So habe die deutsche Rasseideologie in der
Tat die Terminologie des völkisch gefärbten Nationalismus für Propagandazwecke
immer mitbenutzt, nicht zuletzt um sich eine nationale Tradition zuzulegen, die
sie in Wirklichkeit nicht hatte.
Im Unterschied zum französischen Adel hatte
der preußische Adel mit der Entwicklung des Rassebegriffs und des völkischen
Denkens in Deutschland gar nichts zu tun. Vielmehr waren die „deutschen
Patrioten, welche nach 1814 den deutschen Nationalismus zu einer Waffe für die
Errichtung eines gesamtdeutschen Nationalstaates entwickelten, liberal.“ In der
Hoffnung, dass der Sieg über die französische Besatzung auch zu einer Befreiung
der deutschen Nation würde, bestanden sie auf der gemeinsamen Herkunft in der
deutschen Sprache, ohne dabei jedoch auf Rasseelemente oder völkische
Vorstellungen zu rekurrieren.
Turnvater Jahn (1778 - 1852) |
Dies geschah erst, als sich die Hoffnungen
auf den Beginn einer deutschen Nation getäuscht sahen. Jetzt begannen die
Versuche, die bisherige, sich lediglich auf Sprache und Kultur gründende
Definition des deutschen Volkes auf `realere´ Vorstellungen von `Blutsbanden´
zu erweitern. Diese letztlich natürlich erheblich abstrakteren Ideen nationaler
Identität wurden von Männern getragen, die sehr verschiedenen politischen
Lagern angehörten, „wie etwa der katholische Schriftsteller Joseph Görres, der
liberale Nationalist Ernst Moritz Arndt und der Turnvater Jahn.
Sie waren sich darin einig, „dass das Volk
selbst für die Geburt der Nation nicht reif war, dass ihm sowohl das
Bewusstsein einer gemeinsamen geschichtlichen Vergangenheit wie der Wille für
eine gemeinsame Zukunft fehlten.“ Daher müsse etwas gefunden werden, was sich
irgendwie mit dem messen könnte, was die ganze europäische Welt als die
glorreiche Macht der geeinten französischen Nation erfahren hatte.
Weil es demgegenüber aber „Deutschland“ nicht
gab und auf deutschsprachigem Territorium einfach kein nationales Gebilde
entstehen wollte, trat „an seine Stelle dann die Vorstellung, daß `alle Glieder
ein gemeinsames Band der Blutsverwandtschaft umschlingt´ oder daß diejenigen,
die es so offensichtlich nicht zu einer organischen Einheit gebracht hatten,
allem äußeren Anschein zum Trotz `ein ursprüngliches Volk´ seien.“
Das zweite spezifisch deutsche Element in den
Rasseideologien des 19. Jahrhunderts sieht Arendt in dem „Persönlichkeits- und
Geniekult, mit dem sich das deutsche Bürger- und Spießbürgertum über seine
ursprünglich politisch verursachten Minderwertigkeitsgefühle hinwegzuhelfen
suchte.“ Hieraus entwickelte sich schließlich das, „was sich diejenigen
darunter vorstellten, die meinten, es sei die ihnen, den Germanen, von der Natur
selbst zugewiesene Aufgabe, die ganze Welt zu beherrschen und zu unterdrücken.“
Es sei natürlich ein Irrtum, so Arendt, die
politische Romantik für den spezifisch völkischen Charakter des deutschen
Nationalismus verantwortlich zu machen. Unter der Prämisse, „dem Gemeinen einen
hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die
Würde des Unbekannten zu geben“ (Novalis), wurde selbstverständlich auch das deutsche
Volk „romantisiert.“
Im Zentrum aber des romantischen Welt- und
Lebensgefühls stand der Genie- und Produktivitätsbegriff, wobei „der Grad von
Genie von der Anzahl der Einfälle abhing, die einer produzieren konnte.“ `Persönlichkeit´
aber ist vor allem ein gesellschaftlicher und dann auch politischer Begriff.
Dies lässt sich an seiner Bedeutung für das deutsche Bürgertum ablesen, denn „was
immer das deutsche Bürgertum in seiner schwierigen und politisch besonders
ungünstigen Situation schließlich an gesellschaftlichem Selbstbewusstsein
aufzuweisen hatte, verdankte es seinen Intellektuellen, unten denen die
Romantiker eine hervorragende Stellung einnahmen.“
Das Problem war nur, dass
die großartigen Eigenschaften, die die bürgerlichen Persönlichkeiten sich
zulegten und „einander dauern in nationalistischer Terminologie bestätigten“
genau diejenigen waren, die sich unter den Aristokraten seit alters her unter
Umständen wirklich in Form echter Familientradition fanden.
Solange die beiden Elemente des deutschen
Rassebegriffs, das völkische, durch Blutsbande vereintes Nationalgefühl einerseits
und der romantische Persönlichkeitskult andererseits, voneinander getrennt
bleiben, „gehörten sie nur zu den vielen unverbindlichen Meinungen des 19.
Jahrhunderts.“ Erst als sie miteinander verbunden wurden, „konnten sie zusammen
so etwas wie die theoretische Grundlage für eine Rasseideologie erzeugen.“
Dies geschah Hannah Arendt jedoch vorerst
nicht in Deutschland, sondern in Frankreich, „und der Erfinder dieses
explosiven Amalgams ist nicht ein bürgerlicher Intellektueller, sondern ein in
seiner Weise hochbegabter und in allen seinen politischen Ambitionen
getäuschter Adliger, der Comte Arthur de Gobinau.“
Zitate
aus: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler
Herrschaft, München 2009 (piper), v.a. S. 365ff
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen