Am 02. Juni 2013 wurde der neue brasilianische Stürmerstar Neymar Da Silva beim spanischen Fußballklub FC Barcelona im Stadion Camp Nou präsentiert. 56.500 fussballbegeisterte Fans bereiteten Neymar einen stürmischen Empfang. Die Stimmung im Stadion ähnelte mehr einem wichtigen Spiel als einer relativ kurzen Präsentation, bei der gewöhnlich ein paar Kabinettstückchen vorgeführt und einige Bälle ins Publikum geschossen werden.
Befehlsempfänger Neymar |
Bei der anschließenden Pressekonferenz wurden
die üblichen höflichen Statements abgegeben, wenngleich eine Äußerung Neymars
aus dem Rahmen fiel. Er sagte: „Ich fühle mich im Katalanischen wohler als im Spanischen.“
Es ist schon mittlerweile zur Tradition beim FC Barcelona geworden, dass seine Spieler – neue wie alte – regelmäßig zu Fragen der Linguistik Stellung nehmen. Diese verblüffende Tatsache ist nur
verständlich vor dem Hintergrund der Diskussion um die Regelung der
Mehrsprachigkeit in Spanien.
Es soll nun jedoch nicht um die politischen Auseinandersetzungen und
ideologischen Kämpfe zwischen der Zentralregierung und der autonomen Region
Katalonien gehen, sondern um einen wichtigen Herrschafts- und Unterwerfungsritus:
Gemeint ist der Befehl. Denn wie anders als „auf Befehl“ ließe sich die Äußerung
Neymars, der sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal vier Stunden in Barcelona
aufhielt, erklären?
Elias Canetti (1905 - 1994) |
Elias
Canetti, Nobelpreisträger für Literatur, aber auch Vermittler zwischen
Denktraditionen und literarischen Gattungen hat sich immer wieder mit dem Thema
der Gefährdung des Individuums durch totalitäre Macht beschäftigt, vor allem aber
in seinem philosophischen Hauptwerk „Masse und Macht“ (1970), der einige wichtige
Gedanken zum Zusammenhang von „Befehl und Verantwortung“ enthält.
Canetti
geht davon aus, dass „Menschen, die unter Befehl handeln, der furchtbarsten
Taten fähig sind. Wenn die Befehlsquelle verschüttet ist und man sie zwingt,
auf ihre Tat zurückzublicken, erkennen sie sich selber nicht. Sie sagen: Das
habe ich nicht getan und sie sind sich keineswegs immer klar darüber, dass sie
lügen. (…) Sie sagen noch: So bin ich nicht, das kann ich nicht getan haben.
Sie suchen nach den Spuren der Tat in sich und können sie nicht finden. Man
staunt, wie unberührt von ihr sie geblieben sind. Das Leben, das sie später
führen, ist wirklich ein anderes und von der Tat in keiner Weise gefärbt. Sie
fühlen sich nicht schuldig, sie bereuen nichts. Die Tat ist nicht in sie
eingegangen.“
Canetti
spricht hier von Menschen, die eigentlich im Stande sind, ihre Worte und Handlungen
abzuschätzen. Diese Menschen würden sich unter normalen Umständen schämen für das,
was sie sagen oder tun – sie sind nicht besser und auch nicht schlechter als
die anderen, unter denen sie leben.
Wenn dann
aber die Zeugen aufmarschieren, die sehr wohl wissen, wovon sie reden, wenn „einer
nach dem anderen den Täter erkennt und ihm jede Einzelheit seines Verhaltens
ins Gedächtnis zurückruft, da wird jeder Zweifel absurd.“
Um dennoch
zu verstehen, was hier geschieht, muss man sich Canetti zufolge der Natur des
Befehls bewusst werden: „Für jeden Befehl, den der Täter ausführt, ist ein
Stachel in ihm zurückgeblieben. Aber dieser ist so fremd, wie der Befehl selber
war, als er erteilt wurde.“
Das gefährlichste Element im Zusammenleben von Menschen ist der Befehl! (Canetti) |
Wie lange
auch dieser Stachel im Menschen haften bleibt, so Canetti weiter, er
assimiliert sich nie und bleibt stets ein Fremdkörper: „Der Stachel ist ein
Eindringling, er bürgert sich niemals ein. Er ist unerwünscht, man will ihn los
sein. Er ist, was man begangen hat.“
So lebt
der Befehl als fremde Instanz im Empfänger weiter und nimmt ihm jedes Gefühl
von Schuld, ja „je fremder einem der Befehl war, umso weniger Schuld fühlt man
seinetwegen.“
Menschen,
die unter Befehl gehandelt haben, fühlen sich meist vollkommen unschuldig. „Wenn
sie im Stande sind, ihre Lage ins Auge zu fassen, mögen sie etwas wie Staunen
darüber empfingen, dass sie einmal so vollkommen unter der Gewalt von Befehlen
standen. Aber selbst diese einsichtige Regung ist wertlos, da sie sich viel zu
spät meldet, wenn alles längst vorüber ist.“
Natürlich
sollt man das anfangs erwähnte Beispiel nicht überstrapazieren, gleichwohl macht sich die totalitäre Macht des Befehls auch im unschuldig anmutenden
Alltag bemerkbar.
Wie man
es auch betrachten mag, der Befehl in seiner kompakten Form ist „das
gefährlichste einzelne Element im Zusammenleben von Menschen geworden.“ Man
muss Canetti zufolge viel Mut haben, sich ihm entgegenzustellen und seine
Herrschaft zu erschüttern. Man müsste Mittel und Wege finden, sich von ihm frei
zu halten, Man dürfe ihm nicht erlauben, mehr als die Haut zu ritzen: „Aus
seinen Stacheln müssen Kletten werden, die mit leichter Bewegung anzustreifen
sind.“
Geschieht
dies nicht, dann wird durch den Befehl die Autonomie des Individuums gefährdet
und letztlich auch zerstört oder verkommt zu einer skurrilen und absurden Show –
wie im Falle Neymars, der den ihm gegebenen Befehl ohne zu zögern und ohne nachzudenken ausführte.
Nachtrag vom 13.09.2013:
Nachtrag vom 13.09.2013:
Für die Europäische Komission ist Katalonien nicht nur die korrupteste Region Spaniens, sondern nimmt unter den 172 Regionen Europas den 130. Rang ein. Wen wundert es?
Zitate
aus: Elias Canetti: Masse und Macht, Düsseldorf 1960 (Claasen), hier: S.
380-382
Reinhart Koselleck wies schon 1971 („Wozu noch Geschichte?“) nach, dass "die Geschichte" ein totalitäres Konstrukt ("Weltgeschichte") im Zuge der Aufklärung war, an die bis heute alle abendländische verschulte Menschen glauben. Stattdessen gab es vor dem 18. Jh. nur "Geschichten" (so wie heute noch bei den Jäger-und-Sammlern, den einzigen intelligenten Menschen auf diesem agrarischen Planeten).
AntwortenLöschenHeute ist "Geschichte" (auch als Unterrichtsfach) praktisch nur noch ein Terrorinstrument, um all jene Leute fertig zu machen, die (angeblich!) keine -- oder aber die "falschen" -- Geschichten haben...
Dies ist „unsere“ Geschichte in 10 Sekunden: Sesshaftigkeit => Kain ermordet Abel (Jäger-und-Sammler) => Juden (Mörder wie Moses, David, etc.) => Christen => Muslime (inkl. Talibans) => Protestanten => Kapitalisten & Banker => Kommunisten-Marxisten => Nationalsozialisten => Hollywood => Atombomben (Teller, Oppenheimer, Kim Jong Un) => Neonazis etc.
Wann hört endlich dieser wahnsinnige beschnitten-traumatisierte Blödsinn überall auf???
Das Komplexeste, was die Natur je hervorgebracht hat, sind jagende Schamanen...
Und diese sind schon längst unterwegs (auch in der Türkei als altanatolischer Mondgott…): youtube.com/watch?v=XlbCP92XMEM
Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr nicht so sehr in der Rückschau auf die Geschichte und die damit verbundene Gefahr der historischen Interpretation und Konstruktion, sondern vielmehr in der utopischen Projektion von Geschichte in die Zukunft hinaus. Hier wird die Konstruktion dann wirklich mörderisch, wenn auf dem Altar der gerade aktuellen Zukunftsvision Menschen geopfert werden. Dazu der große Popper: http://diepaideia.blogspot.com.es/2013/03/karl-raimund-popper-und-das-elend-der.html
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