Donnerstag, 14. Juni 2012

John Locke und die Menschenrechte

Tony Bevan: Der Prophet (1982)
In dem Bild „Der Prophet“ von Tony Bevan (geb. 1951) fallen zwei Gegenstände besonders auf: Die Handschellen und die Schere, die in der rechten Kopfhälfte steckt. Die symbolische Bedeutung des Bildes ist schnell erfasst: Dargestellt ist ein Mensch im Zustand der Unfreiheit. Die Schellen stehen für die Einschränkung des Handelns, die Schere steht für die Einschränkung des Denkens. Dieser Mensch kann nicht tun, was er will, und auch nicht sagen, was er will.

Handlungsfreiheit und Gedankenfreiheit sind zentrale Forderungen der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948, die die Menschenrechte in politische und bürgerliche Rechte sowie in wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gliedern. In jüngster Zeit werden zusätzlich insbesondere von Denkern der dritten Welt – die solidarischen Rechte eingefordert.

Ihre philosophische Grundlegung fanden die bürgerlichen Menschenrechte im Werk des englischen Philosophen John Locke, der sie als natürliche Grundfreiheiten bezeichnete, die nicht aus der Zugehörigkeit zu irgendeinem Kollektiv abgeleitet werden können, sondern die allein durch die Anerkennung der Individuen als Rechtssubjekte begründet werden.

John Locke (1632 - 1704) 

Der Anspruch der Individuen auf bestimmte natürliche Grundrechte wird bei Locke durch den Begriff des „Eigentums“ begründet. Locke verwendet im Englischen den Begriff „Property“, mit dem er drei andere Begriffe zusammenfasst: „Life“, „freedom“ und „estate“, also Leben, Freiheit und Besitz (Locke, Zweite Abhandlung, §87).

Aus diesem „Eigentum“ des Menschen leitet Locke nun die unverletzbaren Grundrechte des Menschen ab, das Recht auf die Integrität des Körpers („Leben“), die Rechte auf Meinungs-, Handlungs- und Bewegungsfreiheiten („Freiheit“) sowie das Recht zum rechtmäßigen Erwerb von materiellen Gütern („Besitz“).

Das Grundrecht auf Leben bezieht sich nicht nur auf die reine Selbsterhaltung, sondern schließt auch die Freude am Leben ein, es beschreibt somit das Recht „eines Menschen, die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen und zu erhalten“ (ebd., §2).

Das Recht auf Freiheit wird bei Locke weit gefasst: Es beschreibt das natürliche Recht eines jeden Menschen, frei zu handeln „ohne dabei jemanden um Erlaubnis zu bitten oder vom Willen eines anderen abhängig zu sein.“ (ebd., §87).

Zwei Abhandlungen über die Regierung (1689)
Das Recht auf Besitz ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mensch sich durch die Bearbeitung der Natur das Recht erwirbt, auch die Früchte seiner Arbeit zu genießen. Allerdings schränkt Locke ein, dass jeder nur so viel zu seinem Eigentum machen darf, „als ein jeder zu irgendwelchem Vorteil für sein Leben nutzen kann, bevor es verdirbt … Was darüber hinausgeht, ist mehr als ihm zusteht, und gehört den anderen. Nichts wurde von Gott geschaffen, um zerstört zu werden“ (ebd., §31).

Die Grundrechte beinhalten insgesamt also das Recht der Menschen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf Befriedigung ihrer Bedürfnisse und auf Verfolgung ihrer selbstgewählten Ziele im Leben einschließlich des Wunsches, glücklich zu sein.

Dem Staat und seinen Institutionen kommt nach Locke nun die Aufgabe zu, die Grundfreiheiten wirksam zu schützen. Locke gibt dem Staat jedoch nicht die uneingeschränkte Macht, sondern fordert die Gewaltenteilung in Legislative und Exekutive. Die Judikative wurde dann etwas später von Charles de Montesquieu (1689-1755) hinzugefügt. Falls der Staat der Pflicht nicht nachkommt, die Freiheit und das Eigentum der Bürger zu schützen, verliert er für Locke seine Legitimation. Daraus ergibt sich zugleich ein Recht der Bürger auf Widerstand gegen die Regierenden.

Bei Locke sind die natürlichen Rechte des Individuums dem Staat übergeordnet und jeder Einzelne kann sie gegenüber dem Staat geltend machen. Noberto Bobbio (1909-2004) formuliert in seinem Buch „Das Zeitalter der Menschenrechte“ diesen Gedanken folgendermaßen: „Für die Individuen kommen von nun an die Rechte an erster Stelle und erst dann die Pflichten, für den Staat hingegen zuerst die Pflichten und dann die Rechte.“ (53)

Die Ideen von John Locke hatten einen maßgeblichen Einfluss auf die von Thomas Jefferson formulierte amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, in der die unveräußerlichen Rechte auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück festgehalten wurden. So baut die Einleitung der Unabhängigkeitserklärung direkt auf den Gedanken Lockes auf:

„Wir halten die nachfolgenden Wahrheiten für klar an sich und keines Beweises bedürfend, nämlich: daß alle Menschen gleich geboren; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt sind; dass zu diesem Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehöre; dass, um diese Rechte zu sichern, Regierungen eingesetzt sein müssen, deren volle Gewalten von der Zustimmung der Regierten herkommen; dass zu jeder Zeit, wenn irgend eine Regierungsform zerstörend auf diese Endzwecke einwirkt, das Volk das Recht hat, jene zu ändern oder abzuschaffen, eine neue Regierung einzusetzen.“

Aber auch die französische Verfassung von 1791, in deren Zentrum die auf „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ ruhenden Menschenrechte stehen, atmen den Geist Lockes – wie im übrigen die Entwicklung der modernen bürgerlich-liberalen Verfassungsstaaten ohne den Beitrag von Locke nicht möglich gewesen wäre.


Zitate aus: John Locke: Zweite Abhandlung über die Regierung, Frankfurt am Main 2007 (Suhrkamp Studienbibliothek) -- Weitere Literatur: Noberto Bobbio: Das Zeitalter der Menschenrechte. Ist Toleranz durchsetzbar?, Berlin 2007 (Wagenbach)

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