Donnerstag, 19. September 2013

Richard Herzinger, Hannes Stein und die liberale Demokratie

In ihrem 1995 veröffentlichten Buch „Endzeit-Propheten oder Die Offensive der Antiwestler“ weisen Richard Herzinger und Hannes Stein auf die verschiedenen Gefahren hin, die der westlichen Gesellschaft von den verschiedensten totalitären und fundamentalistischen Bewegungen weltweit drohen. Auch wenn seit dem erscheinen des Buches mittlerweile 18 Jahre vergangen sind, haben die Überlegungen der beiden Autoren zur liberalen Demokratie nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Ausgangspunkt des modernen Liberalismus ist ein pessimistisches Menschenbild, d.h. er „glaubt nicht an das gute Volk und den guten Menschen.“ Aus der Fehlerhaftigkeit menschlichen Denkens wiederum resultiert ein Misstrauen gegenüber „allen Utopien von der idealen Demokratie, die das mühsame Geschäft der Austarierung von Interessen durch direkte Ansprache und rücksichtslos ehrliche Aussprache ersetzen wollen.“

Wenn die Gesellschaft in erster Linie der Zusammenschluss von unabhängigen und freien Individuen ist, dann „müssen alle Versuche eine symbiotische Gemeinschaft auf Einverständnis und gegenseitige Zuneigung zu gründen in Mord und Totschlag enden. Und dies nicht etwa aus Hass, sondern wegen der verzehrenden Sehnsucht nach Nähe.“

Weil der Liebe wie alle Leidenschaften eine Tendenz zum Absoluten – zum absolut Wahren – innewohnt, taugt sie gerade nicht zum Organisationsprinzip einer freien Gesellschaft.


Die Lösung von Interessenskonflikten kann nur durch neutrale Institutionen gelingen (Zeichnung: Ralf Brunner) 

So schalte die liberale Demokratie neutrale Institutionen zwischen die einzelnen Menschen mit ihren sehr unterschiedlichen und sehr widersprüchlichen Interessen. Diese Institutionen wiederum beruhen auf abstrakten, für alle Menschen gleichermaßen gültigen und akzeptablen Werten (wie beispielsweise der Fairness).

Natürlich darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass diese neutralen Institutionen „de facto neutrale oder objektive Entscheidungen treffen. Denn die Menschen innerhalb der Institutionen sind nicht `neutral´ und da alle institutionellen Entscheidungen letztlich von Menschen getroffen werden, können auch ihre Entscheidungen es niemals sein.“

Neutral dagegen müssen aber allein die Werte sein, „an denen ihre Entscheidungen gemessen und in Bezug auf die sie kritisiert werden.“ Allein die Existenz solcher Normen gewährleistet, „dass die institutionellen Entscheidungen zu keinem Zeitpunkt den Anspruch auf Endgültigkeit und Unveränderbarkeit erheben“, also stets als von Menschen gemachte und auch durch den Menschen veränderbare Normen verstanden werden müssen.

Gerade weil die Institutionen des liberalen Staates ihre Autorität nicht daraus ableiten, dass die eine metaphysische Instanz repräsentieren – etwa eine göttliche Autorität oder auch das vermeintliche Prinzip der Weltgeschichte – repräsentieren sie allein den jeweiligen Stand der Diskussion, „aus der niemand ausgeschlossen werden darf.“

Im liberalen Verständnis bedeutet daher „Demokratie“ zunächst nichts anderes, „als dass jedes Mitglied der Gesellschaft an dieser Diskussion mit gleichberechtigter Stimme teilhaben kann. Damit die Debatte transparent bleibt, muss es das Recht auf freie Artikulation in Wort, Schrift und Bild geben. Der Stand der Diskussion wird durch demokratische Abstimmung gemessen“ – also durch Wahlen.
 
Wahlen als Artikulation des `Volkswillen´ 

Die Summe der zu den Wahlen zugelassenen Individuen ist schließlich das „Volk“ - und „außerhalb dieser Willensbildung kann es keine Artikulation des `Volkswillen´ geben.“

In diesem Zusammenhang haben die politischen Parteien eine entscheidende Funktion, ohne die eine liberale Demokratie nicht auskommen kann, weil vor allem die Parteien die am besten geeignete Form sind, „in der alle politischen Interessen gebündelt und in einen fassbaren, definierten Meinungsstreit überführt werden können.“

So dienen gerade die Parteien dazu, „die Sphäre der politischen Diskussion vor der zerstörerischen Wirkung zu bewahren, die von dem bedingungslosen Streben nach dem Guten ausgeht.“ So könne man die liberale Demokratie auch als „ein Unternehmen zum Schutz der zivilen Gesellschaft vor dem direkten Zugriff des Volkes“ – oder damit die Menschen sich nicht „die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren“, wie Büchner seinen Danton sagen lässt.

Parteien im fassbaren öffentlichen Meinungsstreit
So schaffe die liberale Demokratie einen Raum, in dem die Einzelnen einander ungefährdet begegnen können, so wie alle liberalen Institutionen auf Trennungen beruhen: „Sie zielen auf Begrenzung von Macht und Zuständigkeiten.“ Nur auf diese Weise ist es möglich, , die Gesellschaft in einer prekären und stets gefährdeten Balance zu halten, in der die individuelle Freiheit bewahrt bleibt.

Genau dies können die Anhänger einer „direkten“ oder „organischen“ Demokratie nicht ertragen, wenn sie fordern, die Gesellschaft müsse wieder auf „festen“ Boden gegründet werden. Das sei aber – wie alle utopischen Versuche – eine schlichte Illusion.

Zitate aus: Richard Herzinger und Hannes Stein: Endzeit-Propheten oder Die Offensive der Antiwestler, Reinbeck 1995 (Rowohlt), hier: S. 207ff


3 Kommentare:

  1. Auch dies wieder ein wirklich interessanter Artikel.

    Hannes Stein kenne ich persönlich, denn ich war vor über zehn Jahren eine Zeit lang freier Mitarbeiter für "Die Welt" und es war damals Hannes Stein, der mich als Feuilleton-Redakteur betreut hat.

    Richard Herzinger kenne ich nicht persönlich, aber er ist zur Zeit anscheinend politischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag" und hat auch schon für "Die Welt" gearbeitet.

    "Die Welt" und die "Welt am Sonntag" enthalten oft gute Artikel und Kommentare, obwohl sie von der Axel-Springer-AG betrieben werden. Das muss man ehrlicherweise zugeben, auch wenn ich das "Revolver-Blatt" "Bild" der Axel-Springer-AG nicht besonders mag.

    Heimo Schwilk, der leitender Redakteur bei der "Welt am Sonntag" ist, ist zugleich einer der besten Ernst-Jünger-Kenner Deutschlands.

    Seine Biographie "Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben" (2007) ist hinsichtlich der biographischen Details zu Ernst Jüngers Leben das Beste, was es zu diesem Thema bisher gibt.

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  2. Lieber Herr Gauger,

    in welchen Medien die Leute schreiben, ist mir ehrlich gesagt schon immer ziemlich egal gewesen. Ich vermute, bei Ihnen wird dies nicht anders sein. Vielmehr zählen die Inhalte und weniger die Verpackung achten. Form und Stil dagegen sind natürlich etwas anderes. Herzinger schrieb (schreibt?) auch in der Zeit und anderen renommierten Blättern, z.B. http://diepaideia.blogspot.com/2013/07/richard-herzinger-und-die-illusion.html

    Herzliche Grüße
    Paideia

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  3. Dazu möchte ich als Nachtrag, weil ich gerade diesen Beitrag las, auf den Blog (oder heißt es das Blog?) Richard Herzingers verweisen, auch dieser sehr lesenswert:

    http://freie.welt.de/

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