Donnerstag, 3. September 2020

Carl Schmitt und das Politische (Teil 2)


(Fortsetzung vom 27.08.2020)


Carl Schmitt
Carl Schmitt (1888 – 1985) gilt gemeinhin als „Kritiker des Parlamentarismus“, als „Theore-tiker des Ausnahmezustands“, schlicht als „Kronjurist des Dritten Reiches“, so Michael Reitz in seinem Beitrag für die Sendereihe SWR-Wissen.

In seiner Schrift "Der Begriff des Politischen" (1927) begründet Schmitt das "Überlebens-rezept des modernen Staates". Mit „Feind“ ist bei Carl Schmitt nicht nur eine fremde Macht gemeint, die die Existenz des Staates und seines Territoriums bedroht. Es geht dabei auch um den inneren Feind, den Umstürzler und Putschisten. 

Dieser Gedanke wurde ab 1948, bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, wieder aktuell.Die Frage war, ob eine freiheitlich-demokratische Grundordnung so weit gehen darf, dass sie Parteien erlaubt, die gegen diese Grundordnung arbeiten. Im Grundgesetz, Artikel 21 Absatz 2, heißt es dann auch:

„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“

In dieser Passage ist der Einfluss Carl Schmitts zu erkennen – obwohl er definitiv nicht an den Beratungen des Parlamentarischen Rates beteiligt war. Aber die Verfassungsväter und -mütter waren juristisch sehr wohl in den Weimarer Diskussionen geschult worden und hatten natürlich auch Carl Schmitt und andere Autoren rezipiert.

Carl Schmitts Kritik an der Weimarer Reichsverfassung hat großen Einfluss auf den Parlamentarischen Rat gehabt. Schmitt hatte mehrmals darauf hingewiesen, dass das permanente Abwählen des Reichskanzlers der Weimarer Republik die Funktionsfähigkeit des Staates auf Dauer zerstören würde. Resultat seiner Warnungen ist der Artikel 67 des bundesrepublikanischen Grundgesetzes. Er enthält den Passus des Konstruktiven Misstrauensvotums, nach dem eine Regierung nicht ohne Alternative einfach abgewählt werden kann.

Während der Weimarer Republik machen Carl Schmitts Schriften in den 1920er Jahren Furore. Der Grund dafür ist zum großen Teil sein Plädoyer für einen so genannten Dezisionismus. Damit wird eine juristisch-politische Idee bezeichnet, die nicht die Diskussion, sondern die Entscheidung, das Dekret oder die Verordnung in den Mittelpunkt stellt. Damit findet Carl Schmitt nicht nur bei der autoritären Rechten, sondern auch im linken Spektrum Gehör.

Diese Anziehungskraft besteht bis heute, denn neben den Galionsfiguren der Neuen Rechten – u.a. Alain de Benoist oder Pierre Krebs - sind es auch linke Theoretiker wie Chantal Mouffe und Ernesto Laclau, die Carl Schmitt für sich in Anspruch nehmen. Auf der Seite der Linken überzeugt vor allem die Schmitt´sche Freund-Feind-Unterscheidung, weil auf diese Weise mehr politische Energie mobilisiert werden kann, weil es wieder klare Fronten gibt, statt das Regierungshandeln auf konsensgesteuerte politische Abmachungen zu gründen.

Schmitt geht es darum, in den unsicher werdenden politischen Verhältnissen der Weimarer Republik die Rolle des Staates zu stärken. Seine damalige Treue zur Verfassung geht so weit, dass er 1932 Pläne ausarbeitet, mit denen eine zeitlich begrenzte legale Diktatur des Reichspräsidenten errichtet werden soll. Carl Schmitt argumentiert in der unruhigen Endphase der Weimarer Republik mit dem englischen politischen Philosophen Thomas Hobbes. Der hatte im 17. Jahrhundert in seiner Schrift „Leviathan“ den Grundsatz „Auctoritas, non veritas facit legem“ formuliert: „Autorität, nicht Wahrheit macht die Gesetze, beziehungsweise verschafft ihnen Geltung.“ Konkret bedeutet das für Carl Schmitt, für einen starken Staat einzutreten.

Auctoritas, non veritas facit legem

In den letzten Jahren der Weimarer Republik kann die Geltung staatlicher Gewalt nur noch durch Notverordnungen und vom Reichspräsidenten ernannte Regierungschefs garantiert werden kann. Adolf Hitler wird der letzte in dieser Reihe sein. Diese Zeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass der Staat immer hilfloser gegen demokratiefeindliche Kräfte wird. In seinem Buch „Zur geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus“ aus dem Jahr 1923 schreibt Schmitt:

„Die Lage des Parlamentarismus ist heute so kritisch, weil die Entwicklung der modernen Massendemokratie die argumentierende öffentliche Diskussion zu einer leeren Formalität gemacht hat. Manche Normen des heutigen Parlamentsrechtes (...) wirken infolgedessen wie eine überflüssige Dekoration, unnütz und sogar peinlich, als hätte jemand die Heizkörper einer modernen Zentralheizung mit roten Flammen angemalt, um die Illusion eines lodernden Feuers hervorzurufen.“

Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und kommt auf vollkommen legale Weise an die Macht. Schnell zeichnet sich ab, dass die Nationalsozialisten eine diktatorische Alleinherrschaft anstreben. Carl Schmitt hatte bis zum Schluss auf der juristischen Ebene die Weimarer Republik verteidigt und sogar ein Verbot der NSDAP betrieben. Doch nun tritt er nicht nur in Hitlers Partei ein, sondern arbeitet sogar unter anderem mit Hermann Göring zusammen. Der Schlüssel für das Verständnis der Wende in seiner politischen Ausrichtung ist der Begriff der „legalen Revolution“, denn  Carl Schmitt hat den Nationalsozialismus als eine legale Revolution betrachtet, obwohl ihm die Vorbehalte und Einschränkungen bekannt waren. Aber Carl Schmitt gefällt, dass die Nationalsozialisten das erklärte Ziel haben, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen. Darüber hinaus sieht er in einer Anbiederung an die Nazis die Möglichkeit eines Karrieresprungs.

Seit dem 24. März 1933 regiert Hitler durch das sogenannte Ermächtigungs-gesetz mit diktatorischen Vollmachten. Viele Oppositionelle sitzen in Konzentrationslagern oder Gefängnissen, die Gewerkschaften sind zerschlagen. Carl Schmitt steht hinter dieser Diktatur: Er war der Auffassung, dass diese Revolution durch die Kanzlerschaft Hitlers eine legale Grundlage hatte. Carl Schmitt glaubte sich als politischer Beamter auf den Boden der Revolution zu stellen.

In einem Radiogespräch aus dem Jahr 1972 antwortet Carl Schmitt auf die Frage, warum er Hitler und dem Nationalsozialismus gefolgt sei, folgender-maßen:

„Diese Frage ist nicht so schnell zu beantworten, und die steckt hinter der Frage der Legalität der Machtergreifung, und das hängt alles mit diesem unheimlichen Problem des politischen Mehrwertes der rein formal-legalen Macht und des Machtbesitzes zusammen. Das ist der Funktionsmodus, ob Sie das Bürokratie nennen... Was ich hätte tun müssen als Jurist, hab ich auf meine Weise getan – nach dem Ermächtigungsgesetz, aber nicht vorher!
 
Ernst Jünger und Carl Schmitt im Oktober 1941

Carl Schmitt wird zu einer wichtigen Figur im NS-Rechtswesen. Ab dem Wintersemester 1933 ist er als Juraprofessor an der Universität Berlin maßgeblich an der Vertreibung jüdischer Juristen aus dem akademischen Betrieb beteiligt. Darüber hinaus wird er preußischer Staatsrat, Herausgeber der gleichgeschalteten „Deutschen Juristen-Zeitung“ und Mitglied im Führerrat der Akademie für deutsches Recht – um nur einige seiner Funktionen im NS-Staat zu nennen. Er ist kein Mitläufer, sondern ein aktiver Posten der Nazi-Ideologie. Besonders deutlich wird das, als er 1936 eine Tagung mit dem Titel „Das Judentum in der deutschen Rechtswissenschaft“ organisiert. In einem seiner Vorträge sagt er:

„Mit einem nur gefühlsmäßigen Antisemitismus ist es nicht getan; es bedarf einer erkenntnismäßig begründeten Sicherheit. (...) Wir müssen den deutschen Geist von allen Fälschungen befreien.“

In dieser Zeit entsteht bei Carl Schmitt die Theorie des „Ethnopluralismus“, die heute bei den rechtspopulistischen Bewegungen eine große Rolle spielt. In seinem Buch „Der Nomos der Erde“ (1950) hat er den Begriff Nomos, griechisch Gesetz, etymologisch hergeleitet von dem Begriff nemen, das heißt einschränken. Hier lässt sich eine Linie ziehen zur den Theorien des Ethno-Pluralismus der modernen Neuen Rechten, dessen Vertreter von sich selbst behaupten, dass sie keine Rassisten sind. Ihre These lautet: Alle Völker sind gleichwertig, allerdings mögen sie unter sich bleiben und das Unheil komme nach Ansicht der Neuen Rechten von der „Vermischung“ der Völker.

Im Dezember 1936 fällt Carl Schmitt bei den Nazis in Ungnade. In der Zeitschrift „Das schwarze Korps“, dem Zentralorgan der SS, erscheinen mehrere Artikel, die Carl Schmitt als Karrieristen und Opportunisten bezeichnen. Obwohl der alle seine Ämter im NS-Staat verliert, bleibt er in seinen Publikationen der Nazi-Ideologie und dem Antisemitismus weiterhin treu. Vor allem aber gelingt es ihm, den privaten Verehrerkreis um seine Person nicht nur zu erhalten, sondern auch zu vergrößern.

Nach dem Krieg und dem Zusammenbruch des NS-Staates wird Carl Schmitt von den US-amerikanischen Militärbehörden interniert und verhört. Man will ihn vor das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal stellen. Dazu kommt es jedoch nicht. Denn Carl Schmitt macht das, was die meisten Nazis vor den alliierten Ermittlungsbehörden machen: Er stellt sich unter Rückgriff auf die Angriffe der SS auf seine Person aus dem Jahr 1936 als Opfer des NS-Regimes dar.

Carl Schmitt weigert sich nach 1945 beharrlich, sich seiner Verantwortung für die Nazi-Diktatur zu stellen. Er wird nicht wie viele seiner Nazi-Kollegen in den juristischen Lehrbetrieb der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Es dürfte jedoch kaum einen Denker der Nachkriegszeit geben, der außerhalb des akademischen Betriebs ein so großes Echo erzeugte.

Die Carl-Schmitt-Biographie
von Reinhard Mehring (2009)
In seinem sauerländischen Heimatort Pletten-berg lud er Juristen, aber auch Geisteswissenschaftler und Künstler zu Lehrveranstaltungen ein und gab bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1985 mehrtägige Symposien im privaten Kreis. Teilnehmer dieser international besetzten Treffen waren dabei oft nicht nur konservative oder ultrarechte Intellektuelle, sondern auch liberale bis linksliberale. Nach Aussagen vieler, die ihn kannten, war Carl Schmitt ganz eine charismatische Gestalt. Sein Biograph Reinhard Mehring weißt darauf hin, dass er bei der Recherche seiner Biographie häufig Menschen getroffen hat, die gesagt haben: „Ich habe es gemieden, ihm jemals zu begegnen, weil ich gewusst hätte, dass ich ihm verfalle.“

Zitate aus: Michael Reitz: Carl Schmitt. Ein umstrittener Denker, SWR-Wissen, Sendung vom 29. März 2019

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