Donnerstag, 21. Dezember 2017

Niccolò Machiavelli und die Macht - Teil 4

(Fortsetzung vom 14.12.2017)


Bei der Frage, ob es denn besser sei für einen Fürsten, grausam oder mildtätig beziehungsweise gnädig zu sein, erfährt man, dass auch diese Wertzuschreibungen nach der Auffassung des Autors relativ waren. Cesare Borgia, so Machiavelli, galt gemeinhin als grausam. Er habe aber doch die Provinz Romagna zusammengehalten, und zwar in Einigkeit, Frieden und treuer Unterwürfigkeit, während die Florentiner es schändlicherweise geschehen ließen, dass Pistoja zerstört wurde, nur um nicht als grausam zu gelten.

Cesare Borgia
Unzeitige Milde, so Machiavelli, rufe zuweilen große Unordnungen hervor, die Mord, Raub und Plünderungen erzeugten, was eventuell ein ganzes Gemeinwesen treffe, während die Exekutionen der Fürsten gegebenenfalls nur Einzelne träfen. Also ganz sicher, ja, ein Fürst dürfe auch den Vorwurf der Grausamkeit keineswegs scheuen, um seine Untertanen in Gehorsamkeit und Einigkeit zu erhalten.

Machiavelli schrieb seine Abhandlung über den Fürsten, wie er selbst äußerte, "mit verkrüppelten Händen", also unmittelbar nach seinen Folterungen, denen er in der Gefangenschaft nach dem Anti-Medici-Putsch ausgesetzt war. Auch das möge man einbeziehen, wenn man den radikalen Duktus des Buches bedenkt, ausgehend von seinem Autor. Einzubeziehen ist aber auch die offenkundige Heuchelei seines Zeitalters, deren Herrscher im Grunde genau diese Art Politik machten, die der Autor nur wiedergibt, während sie diese aber mit pseudo-moralischen Konstrukten verbrämten, die allesamt aus der Theologie kamen.

Die Zeit bedurfte dringend einer politischen Neuorientierung, da auch die Geschichtskonzeptionen sich einem allmählichen Säkularisierungsprozess unterzogen. Dieser zielte auf eine vorbehaltlose und diesseitsgerichtete Erforschung der Gesetzmäßigkeiten, die sowohl den Gang der Geschichte als auch die Gesetze der Politik und des Staatswesens prägten – mit dem Ziel, sie am Ende beherrschbar zu machen.

Auch im Wandel vom mittelalterlichen Ständestaat zum neuzeitlichen Flächenstaat war es weder möglich, die antiken Staatstheorien, die in der Renaissance eine Wiedergeburt erlebten, eins zu eins zu übernehmen, noch den mittelalterlichen Wertekanon mit seiner klar gegliederten Weltordnung unverändert stehen und gelten zu lassen. Die neue Dynamik, die namentlich von einem veränderten Menschenbild herrührte, passte in die Systeme nicht mehr hinein – was der Autor hier schonungslos offenlegte.

Dabei ging es ihm aber ganz sichtbar auch um ein Offenlegen der Scheinheiligkeit – weltlicher und geistlicher Macht gleichermaßen. Machiavelli macht tabula rasa mit der christlichen Demut und dem christlichen Tugendkatalog im Sinne von Glaube Liebe und Hoffnung, der obsolet ist, um auf erfolgreiche moderne Staatskunst angewendet zu werden. Wenn dies in den zeitgenössischen Fürstenspiegeln seitens der Humanisten noch immer getan wurde – die Beschwörung eines christlich-platonischen Idealbildes, in dem sich sämtliche Wunscheigenschaften des "guten Fürsten" spiegelten –, dann war dies nach der Auffassung Machiavellis eigentlich Heuchelei.

Erasmus von Rotterdam
Die berühmten Humanisten der Zeit, die sich für solcherlei fürstliche Erziehungs-bemühungen hergaben, etwa Erasmus oder auch der spätere englische Lordkanzler Sir Thomas More, waren im Allgemeinen frustriert, weil die von ihnen belobhudelten und im besten Sinne ermutigten Fürsten am Ende doch ihre durchaus unchristliche und idealfreie Politik machten: Eroberungs- und Expansionspolitik, Kriegsführung, Pracht-entfaltung, Günstlingswirtschaft – und sich gegen ihre sämtlichen Vorschläge reichlich immun zeigten.

Was sollte das also alles mit der Propagierung der fürstlichen Mildtätigkeit, Großmut, Mäßigkeit, Weisheit, Besonnenheit, Friedfertigkeit, wenn man doch wusste, dass die meisten Fürsten eher das Gegenteil taten und waren und, sofern sie sich tatsächlich milde und friedfertig gaben, strenggenommen nicht taugten für ihre Rolle als Staatsführer?!

Die christliche Defensivmoral war so ungeeignet, wie sie nur sein konnte, um in derart entfesselten Zeiten ein überantwortetes Gemeinwesen vor Angriffen zu schützen und nach außen zu sichern. Und was das Menschenbild anbelangt, so war der Staatstheoretiker Machiavelli weit mehr auf der Linie des späteren Thomas Hobbes, der den englischen Liberalismus geprägt hat, als des Sozialromantikers Jean-Jacques Rousseau, Urvater der europäischen Linken.

Entsprechend waren auch die rabiaten Mittel des Herrschers gerechtfertigt, wenn man sich in die innere Logik des Textes begab, denn die Menschen verdienten es schließlich nicht anders; sie waren auch nicht besser als ihre Machthaber, und sie wussten dies auch.

Wahrhaftigkeit und Hintersinn - je nach necesitá

"Man darf nämlich gar wohl sagen", meint Machiavelli, "alle Menschen sind undankbar, unbeständig, heuchlerisch, furchtsam und eigennützig. Solange man ihnen Wohltaten erzeigt, ohne sie zu brauchen, bieten sie Vermögen, Leben, Kinder und alles zum Dank an. [ ] Brauchst du sie aber, dann empören sie sich und nichts ist dem, der unbedachtsam und ohne sonstige Vorkehrungen auf ihr Wort baut, gewisser als sein Verderben. 

Man verdient wohl die Freundschaft derer, welche man durch Wohltaten und Edelmut gewinnt, aber man besitzt sie nicht, und kann daher nie im Notfall auf sie rechnen. Ohnehin wagen es die Menschen weniger, jene zu beleidigen, welche sie fürchten, als jene, welche sie lieben. Liebe wird bloß durch das Band des Anstands erhalten, welches die Menschen, da sie schlecht sind, jedesmal zerreißen, wenn sie ihren Vorteil anderwärts finden; Furcht aber gründet sich auf die Vorstellung eines zu erwartenden Übels, und diese hört niemals auf."



Zitate aus: Sabine Appel: Gierig nach Macht - der Machiavellismus, SWR2 Wissen, Sendungen vom 5. und 12. November 2017

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