Machiavelli unterscheidet zunächst im
"Principe" die unterschiedlichen Herrschaftsformen: ererbte
Herrschaften, neue Herrschaften, die man mit eigenen Waffen und durch
Tüchtigkeit erobert beziehungsweise durch fremde Waffen oder durch Glück, durch
Verbrechen erworbene Herrschaften und quasi ihr Gegenmodell: eine
Bürgerherrschaft, vom Volk übertragen – ein im Kontext dieser ganzen kruden
Realpolitik des Buches erfreulich positives Modell, das auf einen Bürgervertrag
mit wechselseitiger Verantwortlichkeit und Verpflichtung hinausläuft, das in
wüsten und kriegerischen Zeiten wie diesen aber, für sich allein keine Chance
hat.
Die Stadt-Republik Florenz um 1500 |
Die immense Bedeutung der inneren und äußeren
Verteidigungskraft nimmt der Autor dann auch entsprechend zum Anlass, um die
robusteren Herrschaftsformen damit unausgesprochen zu rechtfertigen. Dann wären
da noch die vermischten Herrschaften, bei denen der neue Gebieter seine
Herrschaft auf bereits vorhandenen Strukturen, etwa auch unter Berücksichtigung
und Einbeziehung der alten Eliten aufbauen muss, da es ihm aus diversen Gründen
nicht möglich ist, mit diesen tabula rasa zu machen und auf einen völligen Neustart
zu setzen.
Tendenziell sind es wohl eher die neuen
Herrschaften, auf die der Autor seine Betrachtungen richtet, da man es mit
dieser Art Herrschaft und Herrschern ja auch weit häufiger in den gegenwärtigen
unruhigen Zeiten zu tun hatte und nur durch einen solchen, so schien es, die
ersehnte Erlösung oder Befreiung Italiens zu erhoffen war, zu der Machiavelli
am Ende aufruft.
Für Machiavelli ist die Angelegenheit letztlich
einfach: Zum Staats- und Machterhalt ist nahezu alles erlaubt, und die traditionelle
Moral verliert angesichts der Frage, ob eine Politik erfolgreich ist, also der
Eigengesetzlichkeit des Staates und seinem Erhalt dient, ihre traditionelle
Bedeutung. Der perfekte Herrscher, der nach innen und außen Stärke beweist,
muss sich außerdem wirkungsvoll zu inszenieren verstehen. Er muss die Kunst
beherrschen, den richtigen Schein zu erzeugen – also in etwa eine Kombination
darstellen von unangefochtener Stärke und nachträglich dokumentierter
Wohltätigkeit, das auch das Wohlwollen seiner Untertanen verbrieft und die
vorangegangenen Schrecken und Machtdemonstrationen vergessen macht; alles zu
seiner Zeit.
Tyrannisch darf er natürlich nicht auftreten,
denn dann wird er naturgemäß vom Volke gehasst und entfacht einen rebellischen
Geist. Mit seiner virtù hat er vorher die Wehrhaftigkeit seines Staates und die
eigene Ertüchtigung unter Beweis gestellt, die seine Autorität sicherstellte,
aber auch ein Garant der Sicherheit war.
Der Begriff "Staatsräson" stammt nicht
von Machiavelli, taucht aber bei mehreren italienischen Zeitgenossen
beziehungsweise ein bis zwei Generationen nach ihm in politiktheoretischen
Arbeiten auf. Es wurde zum Schlüsselbegriff, auch in den politiktheoretischen
Diskursen der Aufklärung, und anschließend auf eine nahezu juristische Weise
fest etabliert, etwa im Sinne einer vernunftgeleiteten Interessenkalkulation
zur Aufrechterhaltung einer Regierung und ihrer Funktionen – nachgerade ein
gezähmter Machiavellismus, wie er ja auch in den aktuellen Debatten erscheint,
jenseits der Dämonisierungen des angeblichen Skandalbuches und seines Autors.
Machiavelli |
1557 kam der fünf Jahre nach dem Tode des
Autors erschienene "Principe" auf den päpstlichen Index, und die
Jesuiten waren diejenigen, die in ihrem verbalen Kampf gegen den Florentiner
und seine Skandalschrift das Wort zur Charakterisierung des Textes geprägt
haben: "Der Zweck heiligt die Mittel." Seither besitzt der Name des
Autors und der auf ihn zurückgehende Machiavellismus eine eindeutig negative
Konnotation. Er ist gleichbedeutend mit skrupelloser Machtpolitik, einem
Verständnis von Staatslenkung, die über Leichen geht, Macht als Selbstzweck im
Sinne Selbsterhalts.
Einige Aufklärer sahen die Dinge dann schon
etwas differenzierter, und sie diskutierten den Autor vor dem Hintergrund
moderner Debatten der Staatstheorie – im Zeitalter der Vernunft waren dies vor
allen Dingen Naturrechtsdebatten. Dass Machiavelli die moralische (und indirekt
institutionelle) Vorherrschaft der Kirche negierte und für die Politik glasklar
ausschloss, wurde im Zeitalter der Vernunft äußerst positiv angenommen und für
seine Epoche als visionär angesehen.
Niccolò Machiavelli hatte ein illusionsloses
Menschenbild und ein ebenso illusionsloses Bild vom Lauf der Geschichte. Seine
zyklische Vorstellung vom Aufstieg und Fall der Reiche, Kulturen und Völker
liegt jenseits der traditionellen christlichen Heilslehre, wonach der Historie
ein göttlicher Sinn innewohnt und der Gang der Geschichte eine lineare Dynamik
besitzt, als eschatologisches Fortschreiten vom Ursprungsparadies vom
Endparadies.
Da er dergleichen wahrscheinlich nicht glaubte,
kam die Kirche für ihn als Stütze des Staates ebenso wenig in Betracht wie die
christliche Werteordnung als Fundament staatlichen Handelns, denn seiner
Meinung nach war diese hier nicht nur inadäquat, weil die Erfordernisse andere
waren, sondern auch ganz und gar ineffizient.
Nach seiner Geschichtsauffassung ging es
vielmehr nur darum, den unaufhaltsamen Niedergang noch so lange wie möglich
hinauszuzögern und mit einigen vitalen Wegmarken zu versehen, damit Strukturen
erhalten blieben beziehungsweise gesetzt wurden, im Sinne des Staats- und Ordnungserhalts.
Dieser Staatserhalt ist ein Wert an sich, von nichts unterlegt und durch nichts
moralisch zu rechtfertigen. Er ist die Voraussetzung für jede erfolgreiche
Politik.
Im wohl prominentesten Kapitel des Buches vom
Fürsten, das davon handelt, inwieweit ein Fürst sein Wort halten muss (und
natürlich muss er das nicht), skizziert Machiavelli den erfolgreichen Herrscher
in einem Spannungsfeld von humaner und animalischer Natur – pointierter gesagt:
Er ist halb Mensch und halb Bestie und muss sich in seinen Handlungen innerhalb
dieses Spannungsfeldes bewegen.
Da nun ein Fürst genötigt sei, so Machiavelli,
die Rolle eines wilden Tieres zu spielen, müsse er sich den Fuchs und den Löwen
gleichermaßen zum Muster nehmen. Nur den Löwen spielen zu wollen, würde
bedeuten, dass er seine Sache sehr schlecht verstünde, denn der Löwe entgehe
den Netzen nicht, desweiteren aber könne der Fuchs dem Wolf nicht entwischen,
und so müsse der Fürst ein Fuchs sein, um die Schlingen zu wittern und ein
Löwe, um die Wölfe zu schrecken.
Daher dürfe ein kluger Fürst auch seine
Versprechen nicht halten, wenn diese ihm schädlich sei oder die Umstände, unter
denen er sie gab, sich geändert haben – eine Grundregel, die nicht gelten
würde, so Machiavelli, wenn die Menschen gut wären, was sie aber nicht seien.
Und da alle ausnahmslos böse und schlecht seien, könne man davon ausgehen, dass
sie im angegebenen Falle ihr Wort auch nicht halten würden. Ein guter Vorwand
dafür lasse sich immer finden, und schon in der neueren Geschichte ließen sich
Tausende Beispiele anführen von gebrochenen Friedensverträgen, Zusicherungen
und anderen Abschlüssen – fürstlichen Wortbrüchen, bei denen aber immer
diejenigen am besten wegkamen, die am geschicktesten die Rolle des Fuchses zu
spielen verstanden.
Cesare Borgia - Fortuna und virtú |
"Nur muß man es gleich dem Fuchs
verstehen, seine Rolle durch geschickte Wendungen meisterhaft zu verstecken.
Denn die Menschen sind so einfältig und so gewöhnt, den herrschenden
Verhältnissen nachzugeben, daß der, welcher betrügen will, immer Leute findet,
welche sich betrügen lassen." Schlussendlich war die erfolgreiche und
nötigenfalls durchaus unmoralische Staatsführung ein wechselseitiger Vertrag
zweier Parteien mit den entsprechenden Anlagen, also schlechten, korrupten, und
folglich unter absolut adäquaten Vertragskonditionen.
Diese wechselseitigen Täuschungsmanöver
geschahen in einem einvernehmlichen Sinn, und wenn man der Sache eine solide
Basis geben wollte, als neuer Fürst, als Eroberer, dann war es zum Beispiel
auch angeraten, alle Grausamkeiten gleich am Anfang zu verüben – mit einiger
Phantasie lässt sich da anführen: Köpfe abschlagen, hohe Steuern erheben,
Vermögen einziehen, Staatsfeinde eliminieren –, um das Volk dann, nachdem es
die harte Hand des Staates gespürt hatte, um ihm jedes Aufmucken nachhaltig
auszutreiben, mit wohldosierten Wohltaten im Anschluss daran gewogen zu
stimmen.
Um die Sache perfekt zu machen, verschaffte
sich der Fürst am Ende dann noch einen äußeren Anstrich von
Güte, Redlichkeit, Treue und Frömmigkeit. Beide Parteien wissen im Inneren, so
der illusionslose Autor, dass es sich dabei nur um Schein handelt, aber dieser
Anschein wird wacker verteidigt, wenn nur die starke Hand spürbar bleibt, und
damit auch der Ordnungserhalt.
Denn um nichts anderes geht es beim
erfolgreichen Herrscher dieses anarchischen Zeitalters. "Man beurteilt die
Handlungen aller Menschen", so schließt Machiavelli sein Kapitel über den
legitimen Wortbruch, "besonders aber die Handlungen der Fürsten, welche
keinen Richter über sich haben, bloß nach dem Erfolg. – Es muß also des Fürsten
einziger Zweck sein, sein Leben und seine Herrschaft zu erhalten. Man wird alle
Mittel, deren er sich hierzu bedient, rechtfertigen, und jeder wird ihn loben,
denn der Pöbel hält sich nur an den äußeren Schein und beurteilt die Dinge nur
nach ihrem Erfolg. Nun ist aber fast nichts in der Welt als Pöbel, und die
bessere Minorität entscheidet bloß da, wo die Majorität nicht zu entscheiden
weiß."
Zitate aus: Sabine Appel: Gierig nach Macht - der Machiavellismus, SWR2 Wissen, Sendungen vom 5. und 12. November 2017
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