Donnerstag, 7. August 2014

Sommerlektüre: Wilhelm von Humboldt und die Grenzen des Staates - Teil 6


Die Sorgfalt des Staates für die Sicherheit der Bürger

Wilhelm von Humboldt
In seiner 1792 verfassten Abhandlung „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ verteidigt Humboldt das Anliegen, dass jeder Einzelne ein freies und selbstbestimmtes Leben führen kann gegen den umfassenden Ordnungs-anspruch des Staates.

Im Hinblick auf den Zweck des Staates wendet sich Humboldt gegen die Ansicht, der Sinn des Staates bestünde darin, das„Glück zu befördern“, also alle übrigen Zwecke zu verfolgen, die „unter dem Namen des positiven Wohlstandes vereint“ werden können.

Stattdessen verteidigt Humboldt den Grundsatz, dass allein „die Erhaltung der Sicherheit sowohl gegen auswärtige Feinde, als innerliche Zwistigkeiten den Zweck des Staates ausmachen, und seine Wirksamkeit beschäftigen muss.“

Humboldt konkretisiert diesen Grundsatz in den Kapiteln 11 bis 14 seiner Abhandlung und macht dabei deutlich, dass die Sorgfalt des Staates für die Sicherheit der Bürger allein auf der Grundlage von Recht und Gesetz entschieden werden darf.

Zu Beginn des 11. Kapitels definiert Humboldt zunächst die Begriffe „sicher“ und „Sicherheit“:

Sicher nenne ich die Bürger in einem Staat, wenn sie in der Ausübung der ihnen zustehenden Rechte, dieselben mögen nun ihre Person, oder ihr Eigentum betreffen, nicht durch fremde Eingriffe gestört werden.“

Sicherheit ist folglich — wenn der Ausdruck nicht zu kurz, und vielleicht dadurch undeutlich scheint –, Gewissheit der gesetzmäßigen Freiheit“

Nun gibt Humboldt zu, dass diese Sicherheit „nun nicht durch alle diejenigen Handlungen gestört [wird], welche den Menschen an irgend einer Tätigkeit seiner Kräfte, oder irgend einem Genuss seines Vermögens hindern, sondern nur durch solche, welche dies widerrechtlich tun.“ Daher bedürfen auch nur „wirkliche Verletzungen des Rechts … einer anderen Macht, als die ist, welches jedes Individuum besitzt.“

Wichtig ist hier vor allem der Hinweis Humboldts, dass die „die Staatsvereinigung ist bloß ein untergeordnetes Mittel, welchem der wahre Zweck, der Mensch, nicht aufgeopfert werden darf.“

Recht und Gesetz - Die Grundlagen
des modernen Staates
Erstens dürfe der Staat in seiner Sorgfaltspflicht für die Sicherheit der Bürger im Rahmen der „Polizeigesetzgebung“ nur solche Handlungen verbieten, die sowohl die „Rechte andrer kränken, die ohne oder gegen die Einwilligung derselben ihre Freiheit oder ihren Besitz schmälern.“

Aber schon dann müsse der Staat „zurücktreten und sich begnügen, die mit vorsätzlicher oder schuldbarer Kränkung der Rechte vorgefallenen Beschädigungen zu bestrafen. Denn dies allein, die Hemmung der Uneinigkeiten der Bürger untereinander, ist das wahre und eigentliche Interesse des Staats, an dessen Beförderung ihn nie der Wille einzelner Bürger, wären es auch die Beleidigten selbst, hindern darf.“

Daher dürfe der Staat auch nicht gegen Meinungen vorgehen, die gegebenenfalls verletzend sein können. Die Meinungsfreiheit ist und bleibt für Humboldt eine der Grundkonstanten einer liberalen Gesellschaft: „Wer Dinge äußert, oder Handlungen vornimmt, welche das Gewissen und die Sittlichkeit des anderen beleidigen, mag allerdings unmoralisch handeln, allein, so fern er sich keine Zudringlichkeit zu Schulden kommen lässt, kränkt er kein Recht. Es bleibt dem anderen unbenommen, sich von ihm zu entfernen, oder macht die Lage dies unmöglich, so trägt er die unvermeidliche Unbequemlichkeit der Verbindung mit ungleichen Charakteren, und darf nicht vergessen, dass vielleicht auch jener durch den Anblick von Seiten gestört wird, die ihm eigentümlich sind, da, auf wessen Seite sich das Recht befinde?“  

Vielmehr müsse das „wahre Bestreben des Staats muss daher dahin gerichtet sein, die Menschen durch Freiheit dahin zu führen, dass leichter Handlungen entstehen, deren Wirksamkeit in diesen und vielfältigen ähnlichen Fällen an die Stelle des Staats treten könne.“ Grundsätzlich sei zu beobachten, dass die Menschen zu gegenseitiger Hilfeleistung bereitwilliger werden, „je weniger sich ihre Eigenliebe und ihr Freiheitssinn durch ein eigentliches Zwangsrecht des anderen gekränkt fühlt.“ Denn: Wie gut auch die Gesetze im Einzelnen sein mögen, es besteht immer „die Leichtigkeit des möglichen Missbrauchs.“

Zivilgesetzgebung
Zweitens bezieht sich die Zivilgesetzgebung auf solche Handlungen, welche sich „unmittelbar und geradezu auf andre beziehen. Denn wo durch dieselben Rechte gekränkt werden, da muss der Staat natürlich sie hemmen, und die Handelnden zum Ersatz des zugefügten Schadens zwingen. Sie kränken aber … das Recht nur dann, wenn sie dem andren gegen, oder ohne seine Einwilligung etwas von seiner Freiheit, oder seinem Vermögen entziehen.“ Im Gegenzug verzichtet der Beleidigte auf seine Privatrache, weil er das Recht auf Ersatz allein „dem Staat übertragen hat, auf nichts weiter, als auf diesen.“

Der Staat muss also im Falle einer „Kränkung“ des Gesetzes „den Beleidiger zwingen, den angerichteten Schaden zu ersetzen, aber den Beleidigten verhindern, unter diesem Vorwand, oder außerdem eine Privatrache an demselben zu üben.“

Dieser Gedanke führt Humboldt nun zur Pflicht des Staates, bei Streitigkeiten der Bürger eine rechtliche Entscheidung zu treffen, so dass das Recht beider Parteien geschützt wird.

Denn „dasjenige, worauf die Sicherheit der Bürger in der Gesellschaft beruht, ist die Übertragung aller eigenmächtigen Verfolgung des Rechts an den Staat. Aus dieser Übertragung entspringt aber auch für diesen die Pflicht, den Bürgern nunmehr zu leisten, was sie selbst sich nicht mehr verschaffen dürfen, und folglich das Recht, wenn es unter ihnen streitig ist, zu entscheiden, …. Hierbei tritt der Staat allein, und ohne alles eigne Interesse in die Stelle der Bürger.“

Strafrecht
Neben der Rechtsprechung gehört zu diesem Aufgabenfeld des Staates natürlich auch die Bestrafung derjenigen, die die Gesetze übertreten: „Der Staat darf jede Handlung mit einer Strafe belegen, welche die Rechte der Bürger kränkt, und insofern er selbst allein aus diesem Gesichtspunkt Gesetze anordnet, jede, wodurch eines seiner Gesetze übertreten wird.“

Grundsätzlich gilt aber auch hier, das der „der wichtigste Gesichtspunkt des Staats immer die Entwickelung der Kräfte der einzelnen Bürger in ihrer Individualität sein muss, dass er daher nie etwas andres zu einem Gegenstand seiner Wirksamkeit machen darf, als das, was sie allein nicht selbst sich zu verschaffen vermögen, die Beförderung der Sicherheit.“

Allein diese Funktion des Staates ist das „einzige wahre und untrügliche Mittel“, die beiden scheinbar sich widersprechenden Seiten, d.h. den Zweck des Staats im Ganzen einerseits und die Summe aller Zwecke der einzelnen Bürger andererseits, „durch ein festes und dauerndes Band freundlich mit einander zu verknüpfen.“


Zitate aus: Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Volltext im Deutschen Textarchiv, hier: Kapitel XI bis XIV


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