In der kleinen, posthum erschienen Schrift
„Weltgeschichtliche Betrachtungen“ (1905) von Jacob Burckhardt findet sich folgender Hymnus auf die Bedeutung des
antiken Athen für die Geschichte der Menschheit:
„Welch eine unermeßliche geschichtliche
Erkenntnis geht von dieser Stadt aus! Jeder muß bei seinen Studien irgendwie
dort einkehren und das Einzelne auf dieses Zentrum zu beziehen wissen.
Die griechische Philosophie, bei
verschiedenen Stämmen entstanden, hat in Athen zusammengemündet; Homer ist in
Athen in seine gegenwärtige Form gebracht worden; das griechische Drama, die
höchste Objektivierung des Geistigen in einem sinnlich Wahrnehmbaren und
zugleich Beweglichen, ist fast ausschließlich das Werk Athens; der Attizismus
ist der Stil aller späteren Griechen geworden; ja das ungeheure Vorurteil des
ganzen (auch römischen) späteren Altertums zugunsten der griechischen Sprache
als des reichsten und biegsamsten Organes alles Geistes ruht wesentlich auf den
Schultern Athens.
Endlich die griechische Kunst, unabhängiger
vielleicht von Athen als irgend eine andere Äußerung des griechischen Wesens,
dankt ihr doch den Phidias und andere der Größten und hat in Athen ihren
wichtigsten Vermittlungsort gefunden.
Hier möge überhaupt der Bedeutung gedacht
sein, die ein anerkannter geistiger Tauschplatz und zwar ein freier hat.
Sokrates |
Nun tritt in Athen auch der Geist frei und
offen hervor oder schimmert wenigstens überall wie durch eine leichte
Hülle hindurch infolge der Einfachheit des ökonomischen Daseins, des
Sich-Begnügens mit mäßigem Landbau, Handel und Industrie, der großen Mäßigkeit
des Lebens; leicht und strahlend entbinden sich aus diesem Treiben Teilnahme am
Staat, Eloquenz, Kunst, Poesie und Philosophie.
Wir finden hier keine Abgrenzung von Ständen
nach Rang, keine Trennung von Gebildeten und Ungebildeten, keine Quälerei, es
einander an Äußerlichkeiten gleich- oder zuvorzutun, kein Mitmachen
»anstandshalber«, daher auch kein Erlahmen nach der Überanstrengung, kein
Philisterium im Négligé neben aufgedonnerten Gesellschaften und Festen, sondern
eine gleichmäßige Elastizität; die Feste sind etwas Regelmäßiges, kein gequälter
Effort.
So ist jene Geselligkeit möglich, die sich
aus den Dialogen Platos und z.B. aus Xenophons Convivium ergibt.
Dagegen findet sich keine Überladung mit
Musik, welche bei uns das Unzusammengehörige verdeckt; auch findet sich keine
Zimperlichkeit mit gemeinen heimlichen Bosheiten daneben. Die Leute haben
einander etwas zu sagen und machen auch Gebrauch davon.
So bildete sich ein allgemeines Verständnis
aus: Redner und Dramatiker rechnen auf ein Publikum, wie es sonst nie mehr
vorhanden gewesen. Die Leute hatten Zeit und Geist für das Höchste und Feinste,
weil sie nicht im Erwerb- und Ranggeist und falschen Anstand untergingen. Es
war Fähigkeit vorhanden für das Sublime und für die feinsten Anspielungen wie
für den frechsten Witz.
Jede Kunde von Athen meldet selbst das
Äußerlichste in Verbindung mit Geist und in geistiger Form. Es gibt hier keine
langweiligen Seiten.
Akropolis |
Sodann stellt sich hier klarer als sonst
irgendwo die Wechselwirkung zwischen dem Allgemeinen und den Individuen dar.
Indem sich ein starkes lokales Vorurteil bildet, daß man hier alles können
müsse, und daß hier die beste Gesellschaft und die größte, ja einzige Anregung
sei, produziert die Stadt wirklich eine unverhältnismäßige Menge bedeutender
Individuen und läßt sie auch emporkommen. Athen will sich beständig im
Einzelnen gipfeln; es ist Sache eines enormen Ehrgeizes, sich hier
auszuzeichnen.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Zitate aus: Jacob Burckhardt:
Weltgeschichtliche Betrachtungen, Wiesbaden 2009 (Marixverlag)
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