Donnerstag, 10. Mai 2012

Richard Wagner und die Kunst der bürgerlichen Gesellschaft

Im Jahre 1848 ist Richard Wagner auf der Flucht. In Deutschland wird er steckbrieflich gesucht. Er hatte im Frühjahr 1849 zusammen mit Bakunin an den Vorbereitungen zu einem bewaffneten Aufstand gegen den sächsischen König teilgenommen.

Richard Wagner (1813 - 1883)
Die Dresdener Revolte wird jedoch im Mai 1849 niedergeschlagen, die Rädelsführer verhaftet. Wagner kann sich – mit Hilfe Franz Liszts – in die Schweiz retten. Hier in Zürich entsteht eines von Wagners Hauptwerken: „Die Kunst und die Revolution“.

Revolution und Kunst haben Wagner zufolge ein gemeinsames Ziel: „Dieses Ziel ist der starke und schöne Mensch: die Revolution gebe ihm die Stärke, die Kunst die Schönheit!“

„Kunst und Revolution“ ist eine bittere Analyse der kulturellen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu der von Wagner idealisierten Kultur der griechischen Polis  würde die Kunst seither „nur ab und zu ihre blitzenden Strahlen in die Nacht des grübelnden Wahnsinns der Menschheit senden und wäre nie wieder Ausdruck einer freien Allgemeinheit geworden.“

Die Kunst sei zu einer Ware verkommen, schreibt Wagner, geeignet einzig zum Geld- und Ruhmerwerb und damit notwendigerweise abhängig von den Zwängen von Kommerzialisierung und Privatisierung: „Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten.“

Ebenso ist der Künstler zum Produzenten geworden - für Wagner ein skandalöser Vorgang, da Kunst doch als Ausdruck menschlicher Schöpferkraft eine Würde an sich besitzt. Er vergleicht das künstlerische Handwerk, das dem schaffenden Künstler, dem das Produzieren seiner „Arbeit“ eine Freude macht und ihn befriedigt, mit der Tätigkeit des Handwerkers, der meist ohne Freude und mit dem Zwang, nämlich fremde Bedürfnisse gegen Geldzahlungen zu befriedigen, sein Tun nur als Mühe, als traurige, saure Arbeit sieht.

So könne der Künstler nunmehr auch mehr und mehr durch Maschinen ersetzt werden und wäre somit ein Sklave der Industrie, „deren Fabriken ein jammervolles Bild tiefster Entwürdigung des Menschen, ein beständiges, geist- und leibtötendes Mühen ohne Luft und Liebe; oft fast ohne Zweck“ darstellen.

Die Sklaverei des Kapitalismus entwürdige die Kunst, setze sie herab zum bloßen Mittel: „Unterhaltung für die Massen, Luxusvergnügen für die Reichen.“ Auf den Künstlern laste der Zwang zur oberflächlichen Originalität. Wer etwas gelten wolle, müsse sich krampfhaft von seinen Mitbewerbern unterscheiden. Es herrscht das Geld und die Orientierung am ökonomischen Nutzen – das ist die Religion der Gegenwart.

Die Schuld daran trägt für Wagner vor allem das Christentum, dem er zunehmend jede Kunstkompetenz absprach. Sarkastisch tönt es aus ihm heraus: „Wenn es wirklich das seinem Glauben entsprechende Kunstwerk schaffen wollte, könne es nicht die sinnliche Schönheit der Welt, welche für den Christen ja eine Erscheinung des Teufels ist, darstellen.“

Wagner ist hier durch die Religionskritik Ludwig Feuerbachs beeinflusst, dessen „Wesen des Christentums“ (1841) er zuvor gelesen hatte und dem der seine nächste Schrift „Das Kunstwerk der Zukunft“ (1850) widmete.

Siegfried trinkt Fafners Blut (Illustration A. Rackham)
Mit Feuerbach sieht er in den Göttern Projektionen der freien Schöpferkraft des Menschen und aus diesem Grund muss die Idee des freien Menschen die Stelle der Religion einnehmen. Für Wagner ist die Gestalt Siegfrieds eine solche künstlerisch brauchbare Verkörperung der Freiheit. Hier lässt sich ein Mensch erkennen, der sich von der Gewalt der Götter freimacht. In der Antike hatte Wagner die Gestalt des Prometheus verherrlicht, Siegfried ist für ihn ein neuer Prometheus.

Ein Vierteljahrhundert arbeitet Wagner am Nibelungendrama. Dargestellt wird die große Geschichte vom Untergang der Götter. Den Göttern, die in diesem Spektakel auftreten, muss man den Glauben entziehen. So wird im Ring der Nibelungen dem Menschen, der sich befreit von der drückenden Last eines Götterhimmels, eine glanzvolle Bühne geboten.

Literatur: 
Richard Wagner: Die Kunst und die Revolution, Leipzig 1849 (Verlag Otto Wiegand) -- Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, Frankfurt a.M. 2010 (Fischer Tb)

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