Schenkt man einer im Jahre 1948 erschienenen Studie Glauben,
dann ist der Liberalismus „The Political Tradition of the West.“ Während
„freedom“ jedoch vorwiegend die individuelle Freiheit beschreibt, markiert „liberty“ eher
die politische Ordnung und ihre Regeln.
Für Klaus Füßmann jedenfalls ist Landnahme im Westen der USA
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „ein Akt der bürgerlichen Zivilisationsbegründung
von unten und daher aus klassisch liberaler Perspektive freiheitlich und
fortschrittlich zugleich. Daran ändern auch die Verwerfungen (etwa den
Indianern gegenüber) nichts.“
Es sei daher nicht falsch, den „Wilden Westen“ deshalb als „romantisierte
Zone relativer Staatsfreiheit“ zu bezeichnen, denn selten hat die individuelle
Eigeninitiative der Siedler, aber auch der Glaube an ‚spontane Ordnungen‘ auch
in politischer Hinsicht, eine solche Rolle gespielt.
Wir müssen uns Füßmann zufolge daran gewöhnen, dass der
Wilde Westen gar nicht so wild war, sondern vielmehr „eine Rechtskultur (von
unten) entwickelt hat, die liberalen ordnungspolitischen Vorstellungen zur Ehre
gereicht.“
Letztlich geht es um die – bis heute unbequemen – Fragen:
Ist der Staat wirklich der einzig unverzichtbare Garant von Recht und
Rechtsfrieden? Ist Recht auch ohne den Staat denkbar?
Die Antwort ist eindeutig: „Recht ist zumindest theoretisch staatsfrei
denkbar. Vermutlich ist sogar der Ursprung des Rechts in der vertraglichen
Abmachung zu suchen, nicht in der obrigkeitlichen Rechtssetzung. Mehr noch: Als
rein privatrechtliches Projekt, das am freiwilligen Vertrag orientiert ist,
kann Recht theoretisch wesentlich eindeutiger dem freien Willen der Beteiligten
entsprechen. Man wäre einem Recht unterworfen, das man sich selbst ausgesucht hat,
und das nicht durch die Interessen einer eigentlich nicht beteiligten Drittinstanz
(was der Staat ist) verfälscht ist.“
Die Ordnungsmacht im Wilden Westen - anfangs eher die Ausnahme (Szene aus John Fords "She wore a yellow ribbon“, 1948) |
Auch empirisch lässt sich diese These stützen. Dort, wo
Menschen frei über sich und ihren Besitz verfügen können, gibt es immer auch
einen „Markt“ für Recht und Sicherheit.
Im Wilden Westen stellte sich die Frage nach „staatslosem
Recht“ in ihrer brisantesten Form, denn eine Letztinstanz staatlich
garantierten Rechts, die den geordneten Rahmen auch für privates Recht bildet, gab
es schlichtweg nicht. Insofern war der Wilde Westen „ein
individual-anarchisches Laboratorium, in dem Staatslosigkeit an einer durchaus
höher zivilisierten Gesellschaft ausprobiert wurde – und nicht nur an einer primitiven
Stammesgesellschaft, wo das Fehlen von Staatlichkeit die Regel ist.“
Ein historisches Beispiel mag diese Gedanken
veranschaulichen: Der Goldrausch.
Zwischen der Abtretung Kaliforniens an die USA durch Mexiko
im Jahre 1848 bis 1866 gab es allen Quellen zufolge auf dem Territorium des
Landes keine zentrale staatliche Ordnungsmacht. Die Phase des totalen Chaos war
jedoch ausgesprochen kurz, denn schon im Herbst 1848 tauchten erstmals Verträge
zwischen größeren Gruppen von Goldsuchern auf.
In diesen privatrechtlichen Verträgen wurde geregelt, dass
man „gemeinsame „Mining Camps“ gründete, gegenseitige Assistenz bei Sicherheitsbedrohungen
festschrieb, gemeinsame Aufgaben zuwies und vor allem die Eigentumsrechte am
Claim abgrenzte und dokumentierte. Regelrechte Schiedsgerichte wurden dabei
gegründet. Diese Kontraktarrangements verbreiteten sich flächendeckend über das
Land, mehrere hunderte davon existierten. Sie sicherten die ordnungsgemäße
Allokation von Land. Die „Mining Company“ der Anfangszeit war eher selten der
Besitz eines „reichen Kapitalisten“, sondern wesentlich häufiger etwas, das
einer Kooperative oder Genossenschaft ähnelte.“
Nach Meinung der beiden Ökonomen Terry L. Anderson und Peter
J. Hill, Autoren des Buches „The Not So Wild, Wild West. Property Rights on the
Frontier“ bietet der Wilde Westen ein wesentlich ruhigeres Bild als das, das
der Western-Film im Allgemeinen vermittelt. „Es ist ein Bild von Menschen, deren
Leben eher hart, ärmlich und langweilig statt romantisch und heldenhaft war.“
In der Realität gab es einfach das handfeste Bedürfnis der
Menschen nach Rechtssicherheit und damit stiegen folglich auch die Bemühungen, dieses
selbst durchzusetzen. Auf längere Sicht regierten also gerade nicht Chaos und
Gewalt.
Neben den erwähnten Mining Camps gab es die „Land Clubs“, private,
freiwillige Selbstschutzorganisationen von Siedlern, die „Cattlemens´
Associations“, die den Schutz von Rinderherden zum Ziel hatten und die – aus
Westernfilmen bekannten – „Wagon train“, also Selbstschutzverbände von Siedlern
auf ihrem „long long way“ in den Wilden Westen.
Auch ohne einen Staat und seine Institutionen wurde im
Wilden Westen ein „hohes Maß an bedürfnisgerechter Rechtssicherheit“ erreicht –
mit Mitteln, die effizient und recht unbürokratisch waren.
So scheint also der Wilde
Westen, wie wir ihn vom Film kennen, als ein Mythos, der ordentlicher
Korrekturen bedarf.
Aber zum Nörgeln gibt es dennoch keinen Anlass, denn dem
Western verdanken wir viele glückliche Stunden. „Deshalb ist es eine weise
(Selbst-?)Erkenntnis, was man am Schluss von „Der Mann, der Liberty Valance
erschoss“ hört: “This is the west, Sir. When the legend becomes fact, print the
legend.”
Zitate
aus: Klaus Füßmann, Detmar Doering (Hg.): Freedom – Frontier – Ford. Der
amerikanische Western in der politischen Bildung, Friedrich-Naumann-Stiftung
für die Freiheit, Berlin, 2012 (COMDOK GmbH) - Weitere Literatur: Frederick M.
Watkins: The Political Tradition of the West. A Study in the Development of Modern
Liberalism. Cambridge 1948.
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