Donnerstag, 20. März 2014

Der Wilde Westen und der Liberalismus

Schenkt man einer im Jahre 1948 erschienenen Studie Glauben, dann ist der Liberalismus „The Political Tradition of the West.“ Während „freedom“ jedoch vorwiegend die individuelle Freiheit beschreibt, markiert „liberty“ eher die politische Ordnung und ihre Regeln.

Für Klaus Füßmann jedenfalls ist Landnahme im Westen der USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „ein Akt der bürgerlichen Zivilisationsbegründung von unten und daher aus klassisch liberaler Perspektive freiheitlich und fortschrittlich zugleich. Daran ändern auch die Verwerfungen (etwa den Indianern gegenüber) nichts.“

Unser Bild vom "Wilden Westen" - Der John Ford Point im Monument Valley

Es sei daher nicht falsch, den „Wilden Westen“ deshalb als „romantisierte Zone relativer Staatsfreiheit“ zu bezeichnen, denn selten hat die individuelle Eigeninitiative der Siedler, aber auch der Glaube an ‚spontane Ordnungen‘ auch in politischer Hinsicht, eine solche Rolle gespielt.

Wir müssen uns Füßmann zufolge daran gewöhnen, dass der Wilde Westen gar nicht so wild war, sondern vielmehr „eine Rechtskultur (von unten) entwickelt hat, die liberalen ordnungspolitischen Vorstellungen zur Ehre gereicht.“

Letztlich geht es um die – bis heute unbequemen – Fragen: Ist der Staat wirklich der einzig unverzichtbare Garant von Recht und Rechtsfrieden? Ist Recht auch ohne den Staat denkbar?

Die Antwort ist eindeutig: „Recht ist zumindest theoretisch staatsfrei denkbar. Vermutlich ist sogar der Ursprung des Rechts in der vertraglichen Abmachung zu suchen, nicht in der obrigkeitlichen Rechtssetzung. Mehr noch: Als rein privatrechtliches Projekt, das am freiwilligen Vertrag orientiert ist, kann Recht theoretisch wesentlich eindeutiger dem freien Willen der Beteiligten entsprechen. Man wäre einem Recht unterworfen, das man sich selbst ausgesucht hat, und das nicht durch die Interessen einer eigentlich nicht beteiligten Drittinstanz (was der Staat ist) verfälscht ist.“

Die Ordnungsmacht im Wilden Westen - anfangs eher die Ausnahme (Szene aus John Fords "She wore a yellow ribbon“, 1948)

Auch empirisch lässt sich diese These stützen. Dort, wo Menschen frei über sich und ihren Besitz verfügen können, gibt es immer auch einen „Markt“ für Recht und Sicherheit.

Im Wilden Westen stellte sich die Frage nach „staatslosem Recht“ in ihrer brisantesten Form, denn eine Letztinstanz staatlich garantierten Rechts, die den geordneten Rahmen auch für privates Recht bildet, gab es schlichtweg nicht. Insofern war der Wilde Westen „ein individual-anarchisches Laboratorium, in dem Staatslosigkeit an einer durchaus höher zivilisierten Gesellschaft ausprobiert wurde – und nicht nur an einer primitiven Stammesgesellschaft, wo das Fehlen von Staatlichkeit die Regel ist.“

Ein historisches Beispiel mag diese Gedanken veranschaulichen: Der Goldrausch.

Zwischen der Abtretung Kaliforniens an die USA durch Mexiko im Jahre 1848 bis 1866 gab es allen Quellen zufolge auf dem Territorium des Landes keine zentrale staatliche Ordnungsmacht. Die Phase des totalen Chaos war jedoch ausgesprochen kurz, denn schon im Herbst 1848 tauchten erstmals Verträge zwischen größeren Gruppen von Goldsuchern auf.

In diesen privatrechtlichen Verträgen wurde geregelt, dass man „gemeinsame „Mining Camps“ gründete, gegenseitige Assistenz bei Sicherheitsbedrohungen festschrieb, gemeinsame Aufgaben zuwies und vor allem die Eigentumsrechte am Claim abgrenzte und dokumentierte. Regelrechte Schiedsgerichte wurden dabei gegründet. Diese Kontraktarrangements verbreiteten sich flächendeckend über das Land, mehrere hunderte davon existierten. Sie sicherten die ordnungsgemäße Allokation von Land. Die „Mining Company“ der Anfangszeit war eher selten der Besitz eines „reichen Kapitalisten“, sondern wesentlich häufiger etwas, das einer Kooperative oder Genossenschaft ähnelte.“

Nach Meinung der beiden Ökonomen Terry L. Anderson und Peter J. Hill, Autoren des Buches „The Not So Wild, Wild West. Property Rights on the Frontier“ bietet der Wilde Westen ein wesentlich ruhigeres Bild als das, das der Western-Film im Allgemeinen vermittelt. „Es ist ein Bild von Menschen, deren Leben eher hart, ärmlich und langweilig statt romantisch und heldenhaft war.“

Goldsucher warten auf die Registrierung ihrer Claims (Klondike 1898)

In der Realität gab es einfach das handfeste Bedürfnis der Menschen nach Rechtssicherheit und damit stiegen folglich auch die Bemühungen, dieses selbst durchzusetzen. Auf längere Sicht regierten also gerade nicht Chaos und Gewalt.

Neben den erwähnten Mining Camps gab es die „Land Clubs“, private, freiwillige Selbstschutzorganisationen von Siedlern, die „Cattlemens´ Associations“, die den Schutz von Rinderherden zum Ziel hatten und die – aus Westernfilmen bekannten – „Wagon train“, also Selbstschutzverbände von Siedlern auf ihrem „long long way“ in den Wilden Westen.

Auch ohne einen Staat und seine Institutionen wurde im Wilden Westen ein „hohes Maß an bedürfnisgerechter Rechtssicherheit“ erreicht – mit Mitteln, die effizient und recht unbürokratisch waren.

So scheint also der Wilde Westen, wie wir ihn vom Film kennen, als ein Mythos, der ordentlicher Korrekturen bedarf.

Aber zum Nörgeln gibt es dennoch keinen Anlass, denn dem Western verdanken wir viele glückliche Stunden. „Deshalb ist es eine weise (Selbst-?)Erkenntnis, was man am Schluss von „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ hört: “This is the west, Sir. When the legend becomes fact, print the legend.”

Zitate aus: Klaus Füßmann, Detmar Doering (Hg.): Freedom – Frontier – Ford. Der amerikanische Western in der politischen Bildung, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Berlin, 2012 (COMDOK GmbH)   -   Weitere Literatur: Frederick M. Watkins: The Political Tradition of the West. A Study in the Development of Modern Liberalism. Cambridge 1948.

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