Ausgangspunkt und Thema der kleinen Schrift von
Birger Priddat - „Die unmögliche Demokratie: Machtspiele ohne Regeln“ - ist eine allgemeine Verunsicherung in der Politik: „Inmitten
der ausgerufenen Wissensgesellschaft haben wir in einem Kernbereich der
Gesellschaft, in der Politik, ein massives Wissensproblem. Nichtwissen regiert.
Die Bürger wollen allerdings vom Staat Lösungen, die ihre Zukunft sichern.
Können wir aber noch einer Politik trauen, die nicht mehr versteht, was sie
entscheidet, und sich somit vor den Bürgern gar nicht mehr verantworten kann?“
Hinzu kommt, dass das Gesellschaftsmodell der
Demokratie (aber auch das des Sozialismus)
an ihre Grenze gestoßen ist, was ihre vornehmliche Aufgabe ist: Gemeint ist die
Zähmung oder Regelung des Kapitalismus: „Die neoliberale Idee, einen Markt zu
bekommen, der politisch minimalistisch reguliert wird, um seine
Wohlfahrtspotentiale voll zur Entfaltung zu bringen, bricht sich an der anderen
Idee: der der Demokratie, die die Hoffnung der Bändigung des Marktes war, weil
er allein das nicht schafft.“
Alternativvorschläge, wie sie beispielsweise
Gruppierungen wie Occupy machen, enthalten Priddat zufolge keine vernünftigen
Strategien: „In ihrem Nichtwissen erfinden sie Forderungen nach starker
Regulierung des Bankensektors et cetera. Sie glauben noch an die ältere Form
demokratischer Politik: Die der Staatsintervention, zumal sie diese, in neuerer
Form, die sie nicht verstehen, vorexerziert bekommen, etwa bei den
Staatsgarantien für die Banken und bei den Ländersubventionen (Griechenland et
cetera).“
Diese veralteten Politikmodelle gehen davon
aus, dass die Regierung oder der Staat alles gut paternalistisch regeln soll. „Dass
sich aber die Institutionen längst geändert haben, ist mental noch nicht
registriert worden: Dass die Regierungen keine absolute politische Souveränität
mehr haben, sondern nur mehr noch eine relationale, und selber längst Mitspieler
im Finanzmarktprozess sind – allein schon durch ihre politischen
Entscheidungen, die Ausgaben wesentlich durch Staatsschulden zu finanzieren
statt über (ausgeglichene) Haushalte.“
Priddat stellt daher die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, dass die Bürger, anstatt den Staat zu bitten, nicht lieber selber die Wirtschaft drängen sollten? Das hieße, sich das veraltete Koordinatensystem von Politik - Wirtschaft durch ein neues Gesellschaft-Wirtschaft zu ersetzen. Auf Bürgerseite darauf zu antworten, hieße dann, die Märkte selber unter Druck zu setzen, „indem man zum Beispiel bei ihren Anlagestrategien nicht mehr mitspielt. Natürlich ist das, in einem globalen Finanzmarkt, nur ein nationales Teilspiel, aber allein so kann eine neue Regulation entstehen.“
Priddat stellt daher die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, dass die Bürger, anstatt den Staat zu bitten, nicht lieber selber die Wirtschaft drängen sollten? Das hieße, sich das veraltete Koordinatensystem von Politik - Wirtschaft durch ein neues Gesellschaft-Wirtschaft zu ersetzen. Auf Bürgerseite darauf zu antworten, hieße dann, die Märkte selber unter Druck zu setzen, „indem man zum Beispiel bei ihren Anlagestrategien nicht mehr mitspielt. Natürlich ist das, in einem globalen Finanzmarkt, nur ein nationales Teilspiel, aber allein so kann eine neue Regulation entstehen.“
Weil auch die Finanzmärkte in ihrer
Evaluation der Politik die Bürger mit evaluieren müssen, und sich anpassen an
deren Verhalten, und so einen Druck von der Regierungspolitik nehmen, würde
dies bedeuten, „sich als Bürger so souverän zu verhalten, wie es eine
Demokratie im Grundsatz vorsieht – nunmehr aber nicht der Politik gegenüber,
sondern der Wirtschaft.“
Es ist doch offensichtlich, dass Konsum „ein
Wahlakt“ ist, „nicht nur der Güter, die man kaufen will, sondern zugleich der
Unternehmen, die die Güter verkaufen. Wir wählen, indem wir konsumieren,
ständig über die Wirtschaft. Nur verstehen wir das nicht politisch, sondern
ökonomisch.“
Dabei liege doch Priddet nach hier ein
politisches Potential, direkten Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen: „Die Bürgergesellschaft,
die wir so unendlich politisch diskutieren, beginnt unter den neuen Umständen
bereits dann, wenn wir mit der Wirtschaft Politik machen. Und nicht über den
Umweg der Politik, sondern bürgergesellschaftlich unmittelbar: als Kunden und Investoren.
Das wäre die heute angemessene Form der direkten Demokratie als
Wirtschaftsdemokratie, nun aber nicht als alternative Form der Repräsentation
und Delegation der Politik, sondern – wahrscheinlich netzbasiert – unmittelbar.“
Auf diese Weise ist die alte Formel „Bürger
wählen Politik, diese reguliert die Wirtschaft“ nicht mehr vollständig zu
halten. „Bürger, so hieße die neue Formel, wählen die Wirtschaft, die sie haben
wollen, durch Marktverhalten (das schöne deutsche Wort Verhalten hat ja zwei
Konnotationen: Handeln und Nichthandeln, das heißt sich verhalten zu
verhalten).“
So wäre es in Zukunft die Politik, die sich
mit der Wirtschaft arrangieren muss, „allein um staatsschuldenfähig zu bleiben.
Die Politik kann sich erst daraus befreien, wenn die Haushalte konsolidiert
sind.“
Was sich also ändert ist, die Form der
Politik: „Die Bürger wählen nicht mehr nur ihre Politik, sondern ihre
Wirtschaft. Dadurch ändert sich auch möglicherweise das Verhältnis von
Wirtschaft/Politik.“
„Wenn die Bürger die Wirtschaft wählen, das
heißt das abwählen, was ihnen dort als zu einseitig die Politik beeinflussend
erscheint, entsteht ein neues Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gesellschaft,
das die Wirtschaft nicht ignorieren kann.“ Priddat ist überzeugt davon, dass wenn
die Umsätze sinken, weil Bürger bestimmte Teile der Wirtschaft nicht mehr
nachfragen, sich dort auch sehr bald die Strategien ändern. Schließlich sei „die
Wirtschaft ist der lernfähigste Teil der Gesellschaft, wenn es um ihre
unmittelbaren Interessen geht.“
Dies wäre eine neue, sehr wirksame Form von
politischer Ökonomie. „Daran zu erinnern, dass in der Wirtschaft der Kunde als
König nominiert war, wäre ein Kalauer, aber nur, weil der Modus König in einer
Demokratie lächerlich ist.“ Aber was wäre, „wenn der Kunde in einer Demokratie
schlicht als Bürger handelt?“
Priddat schlägt daher vor, statt erfolglos
gegen die Banken zu protestieren, lieber die Bürger zu animieren, bei Banken,
die man als inakzeptabel identifiziert, alle Konten aufzulösen, alle Vermögen
abzuheben oder bei anderen Firmen den Konsum abzubrechen. Das müsse man nicht
moralisch sehen, sondern als Interessenpolitik: „Wenn die Regierungen die
Bürger übergehen, wenden sich die Bürger an die Adresse, die die Regierungen
beeinflusst: an die Wirtschaft direkt. Diese Form der direkten
(Wirtschafts-)Demokratie ist die schwierigere, aber erfolgreichere.“
Ein positiver Nebeneffekt wäre sicherlich,
aus den bloßen Protesten, Manifesten und Appellationen herauszukommen, „dieser
eher vergeblichen Spielart der Aufrüttelung der Politik, die damit eigentlich
nichts anfangen kann.“
Zitate aus: Birger Priddat: Die
unmögliche Demokratie: Machtspiele ohne Regeln, Frankfurt a.M. 2013 (Campus)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen