Donnerstag, 7. Januar 2016

Birger Priddat und die Wirtschaftsdemokratie

Ausgangspunkt und Thema der kleinen Schrift von Birger Priddat - „Die unmögliche Demokratie: Machtspiele ohne Regeln“ - ist eine allgemeine Verunsicherung in der Politik: „Inmitten der ausgerufenen Wissensgesellschaft haben wir in einem Kernbereich der Gesellschaft, in der Politik, ein massives Wissensproblem. Nichtwissen regiert. Die Bürger wollen allerdings vom Staat Lösungen, die ihre Zukunft sichern. Können wir aber noch einer Politik trauen, die nicht mehr versteht, was sie entscheidet, und sich somit vor den Bürgern gar nicht mehr verantworten kann?“

Hinzu kommt, dass das Gesellschaftsmodell der  Demokratie (aber auch das des Sozialismus) an ihre Grenze gestoßen ist, was ihre vornehmliche Aufgabe ist: Gemeint ist die Zähmung oder Regelung des Kapitalismus: „Die neoliberale Idee, einen Markt zu bekommen, der politisch minimalistisch reguliert wird, um seine Wohlfahrtspotentiale voll zur Entfaltung zu bringen, bricht sich an der anderen Idee: der der Demokratie, die die Hoffnung der Bändigung des Marktes war, weil er allein das nicht schafft.“

Alternativvorschläge, wie sie beispielsweise Gruppierungen wie Occupy machen, enthalten Priddat zufolge keine vernünftigen Strategien: „In ihrem Nichtwissen erfinden sie Forderungen nach starker Regulierung des Bankensektors et cetera. Sie glauben noch an die ältere Form demokratischer Politik: Die der Staatsintervention, zumal sie diese, in neuerer Form, die sie nicht verstehen, vorexerziert bekommen, etwa bei den Staatsgarantien für die Banken und bei den Ländersubventionen (Griechenland et cetera).“


Das Koordinatensystem Politik und Wirtschaft wartet einer Neubestimmung ...

Diese veralteten Politikmodelle gehen davon aus, dass die Regierung oder der Staat alles gut paternalistisch regeln soll. „Dass sich aber die Institutionen längst geändert haben, ist mental noch nicht registriert worden: Dass die Regierungen keine absolute politische Souveränität mehr haben, sondern nur mehr noch eine relationale, und selber längst Mitspieler im Finanzmarktprozess sind – allein schon durch ihre politischen Entscheidungen, die Ausgaben wesentlich durch Staatsschulden zu finanzieren statt über (ausgeglichene) Haushalte.“

Priddat stellt daher die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, dass die Bürger, anstatt den Staat zu bitten, nicht lieber selber die Wirtschaft drängen sollten? Das hieße, sich das veraltete Koordinatensystem von Politik - Wirtschaft durch ein neues Gesellschaft-Wirtschaft zu ersetzen. Auf Bürgerseite darauf zu antworten, hieße dann, die Märkte selber unter Druck zu setzen, „indem man zum Beispiel bei ihren Anlagestrategien nicht mehr mitspielt. Natürlich ist das, in einem globalen Finanzmarkt, nur ein nationales Teilspiel, aber allein so kann eine neue Regulation entstehen.“

Weil auch die Finanzmärkte in ihrer Evaluation der Politik die Bürger mit evaluieren müssen, und sich anpassen an deren Verhalten, und so einen Druck von der Regierungspolitik nehmen, würde dies bedeuten, „sich als Bürger so souverän zu verhalten, wie es eine Demokratie im Grundsatz vorsieht – nunmehr aber nicht der Politik gegenüber, sondern der Wirtschaft.“

Es ist doch offensichtlich, dass Konsum „ein Wahlakt“ ist, „nicht nur der Güter, die man kaufen will, sondern zugleich der Unternehmen, die die Güter verkaufen. Wir wählen, indem wir konsumieren, ständig über die Wirtschaft. Nur verstehen wir das nicht politisch, sondern ökonomisch.“


Konsum ist immer auch ein "Wahlakt"

Dabei liege doch Priddet nach hier ein politisches Potential, direkten Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen: „Die Bürgergesellschaft, die wir so unendlich politisch diskutieren, beginnt unter den neuen Umständen bereits dann, wenn wir mit der Wirtschaft Politik machen. Und nicht über den Umweg der Politik, sondern bürgergesellschaftlich unmittelbar: als Kunden und Investoren. Das wäre die heute angemessene Form der direkten Demokratie als Wirtschaftsdemokratie, nun aber nicht als alternative Form der Repräsentation und Delegation der Politik, sondern – wahrscheinlich netzbasiert – unmittelbar.“

Auf diese Weise ist die alte Formel „Bürger wählen Politik, diese reguliert die Wirtschaft“ nicht mehr vollständig zu halten. „Bürger, so hieße die neue Formel, wählen die Wirtschaft, die sie haben wollen, durch Marktverhalten (das schöne deutsche Wort Verhalten hat ja zwei Konnotationen: Handeln und Nichthandeln, das heißt sich verhalten zu verhalten).“

So wäre es in Zukunft die Politik, die sich mit der Wirtschaft arrangieren muss, „allein um staatsschuldenfähig zu bleiben. Die Politik kann sich erst daraus befreien, wenn die Haushalte konsolidiert sind.“

Was sich also ändert ist, die Form der Politik: „Die Bürger wählen nicht mehr nur ihre Politik, sondern ihre Wirtschaft. Dadurch ändert sich auch möglicherweise das Verhältnis von Wirtschaft/Politik.“

„Wenn die Bürger die Wirtschaft wählen, das heißt das abwählen, was ihnen dort als zu einseitig die Politik beeinflussend erscheint, entsteht ein neues Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, das die Wirtschaft nicht ignorieren kann.“ Priddat ist überzeugt davon, dass wenn die Umsätze sinken, weil Bürger bestimmte Teile der Wirtschaft nicht mehr nachfragen, sich dort auch sehr bald die Strategien ändern. Schließlich sei „die Wirtschaft ist der lernfähigste Teil der Gesellschaft, wenn es um ihre unmittelbaren Interessen geht.“

Dies wäre eine neue, sehr wirksame Form von politischer Ökonomie. „Daran zu erinnern, dass in der Wirtschaft der Kunde als König nominiert war, wäre ein Kalauer, aber nur, weil der Modus König in einer Demokratie lächerlich ist.“ Aber was wäre, „wenn der Kunde in einer Demokratie schlicht als Bürger handelt?“
König Kunde? - Kunde Bürger!

Priddat schlägt daher vor, statt erfolglos gegen die Banken zu protestieren, lieber die Bürger zu animieren, bei Banken, die man als inakzeptabel identifiziert, alle Konten aufzulösen, alle Vermögen abzuheben oder bei anderen Firmen den Konsum abzubrechen. Das müsse man nicht moralisch sehen, sondern als Interessenpolitik: „Wenn die Regierungen die Bürger übergehen, wenden sich die Bürger an die Adresse, die die Regierungen beeinflusst: an die Wirtschaft direkt. Diese Form der direkten (Wirtschafts-)Demokratie ist die schwierigere, aber erfolgreichere.“

Ein positiver Nebeneffekt wäre sicherlich, aus den bloßen Protesten, Manifesten und Appellationen herauszukommen, „dieser eher vergeblichen Spielart der Aufrüttelung der Politik, die damit eigentlich nichts anfangen kann.“

Zitate aus: Birger Priddat: Die unmögliche Demokratie: Machtspiele ohne Regeln, Frankfurt a.M. 2013 (Campus)


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