Sonntag, 18. März 2012

Martin Luther und der Wucher

Martin Luther (Lucas Cranach d.Ä.) 
Unmittelbar nach der reformatorischen Entdeckung des gnädigen Gottes und der Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517 beginnt Martin Luther mit der Ausarbeitung eines reformatorischen Programms, mit dem er das kirchlich-religiöse Leben neu gestalten will. Unweigerlich berührt er dabei auch wichtige Themen des weltlichen Alltags, so die Frage des Zinsnehmens. 
 
Im November 1519 veröffentlicht Luther seinen „Kleinen Sermon von dem Wucher“, dem zwei Monate später der „Große Sermon von dem Wucher“ folgt.
 
Luther beobachtet, dass „Geiz und Wucher nicht allein gewaltig in aller Welt eingerissen sind, sondern auch sich unterstanden haben, etliche Schanddeckel zu suchen, darunter sie, für billig geachtet, ihre Bosheit frei möchten treiben“ (36,7). Zu den Praktiken, die Luther kritisch betrachtet, gehören sowohl Zinsgewinne aus Darlehen wie Zinsgewinne aus Kapitalgeschäften, wie dem Zinskauf.
 
In der Frage des Darlehenszinses steht Luther ganz in der kanonistischen Tradition des Zinsverbotes. Bei Thomas von Aquin findet sich das Argument, dass bei einem verzinsten Darlehen derselbe Gegenstand zweimal verkauft werde: zunächst als Geldsumme, die zurück erstattet werden muss, zum anderen die Nutzung dieser Summe, für die ein Zins bezahlt werden musst. Diesen doppelten Verkauf einer Sache bezeichnet Thomas als Wucher.
 
Thomas von Aquin berief sich dabei auf die aristotelische Theorie von der Unfruchtbarkeit des Geldes. Danach galt das Geld als Konsumgut (so wie Wein, Öl, Gewürze), das durch Gebrauch verbraucht wird und deshalb nicht fruchtbar ist. Ein wichtiger Gebrauch des Geldes bestand beispielsweise darin, Verteilungstörungen im gewünschten ökonomischen Gleichgewicht (aequalitas) auszugleichen, so dass es weder Überfluss (superfluum) noch Armut (extrema necessitas) gab. Sein Wert ergab nicht also aus seiner Nutzung und seinem Verbrauch (res primo uso consumptibilis)

Auch Luther definiert „leihen“ im Anschluss an Lk 6,35 „etwas einem anderen dar strecken und umsonst mit bedingen … und nicht mehr zu nehmen“, d.h. ohne Zinsforderungen, ohne „Eigennutz“ und „Eigenvorteil“ (47,29) und ohne das „Interesse, das ist der Nutz, den sie weil möchten schaffen mit der verliehenen Wahre“ (50,5).
 

Der Goldwäger und seine Frau (Quentin Massys, 1514): Die Bibel liegt zwar auf dem Tisch, aber die Blicke sind dem Gold zugewandt - die alten Leitbilder werden brüchig ... 

Luther fordert vielmehr von den Christen, „dass wir sollen geben frei umsonst jedermann, der dessen bedarf oder begehret“ (41,16), und dass man gern „ohne allen Aufsatz und Zins“ (47,6) leihen oder borgen soll. Alles andere sei Wucher, also „wider die Natur handeln, tödlich sündigen“ (49,4).

Anders beurteilt Luther dagegen geschäftliche Zinsgewinne, z.B. aus dem Zinskauf. Im Unterschied zum einfachen Darlehenszins lag hierbei die Vorstellung eines realen Kaufgeschäftes zugrunde. Der Schuldner (Zinsmann) fungierte als Verkäufer des Zinses, den er aus einer bestimmten landwirtschaftlichen Fläche erarbeitet und gegen eine Kaufsumme an den Gläubiger (Zinsherr) verkaufte.
 
Zwar ist dieses Geschäft für Luther kein „Wucher“ im eigentlichen Sinn, er entlarvt aber seinen wucherischen Charakter, weil „in dem selben ein hübscher Schein und Gleißen ist, wie man ohne Sünde andere Leute beschweren und ohne Sorge oder Mühe reich werden möge“ (51,15).
 
Ausschlaggebend für Luthers Urteil ist seine Beobachtung, dass beim Zinskauf kein Risiko für den Zinsherrn bestand, weil er einen Anspruch auf einen festen Gewinn hatte. Zinsen dürfen nach Luther jedoch nur dann verlangt werden, wenn der Schuldner „seine Arbeit frei, gesund und ohne Hindernis brauchen möge“ (57,3).
 
Luther argumentiert hier mit der „Natur des Geldes“, die zwar die Möglichkeit, aber nicht die inhärente Sicherheit des Gewinns kenne. Im Handel aber sind neben Gewinnen auch Verluste möglich. Wer dieses Risiko nicht akzeptieren will und nur auf den eigenen Vorteil schaut, sei ein „Räuber und Mörder und reißt aus dem Armen sein Gut und Nahrung“ (57,20).
 
Der Zinskauf findet Luthers Zustimmung allein unter der Bedingung, dass „Käufer und Verkäufer beiderteil des ihren bedürfen“ (58,9), also der Handel zum Vorteil beider Seiten abgeschlossen wird. In diesem Fall ist ein Zins von 4-6 % erlaubt, wobei die Zinshöhe vor allem von der Bodenqualität abhängen soll. Höhere Zinssätze lehnt Luther kategorisch ab.
 
Die Kritik Luthers entzündet sich also weniger am Geschäft des Zinskaufes selbst, als an dem ihm innewohnenden hemmungslosen Gewinnstreben, also an seinem wuchererischen Charakter: „Ich denke, der Zinskauf sei nicht Wucher, mich dünkt aber, seine Art sei, das es ihm leid ist, das er kein Wucher sein darf, es fehlt nicht am Willen, aber er leider fromm sein“ (8,31).
 
Für Luther ist der Wucher Ausdruck eines wirtschaftlichen Egoismus. Er ist natürlich kein Feind des ökonomischen Handelns, aber er verurteilt kompromisslos jedes Verhalten, das sich auf Ausbeutung des Nächsten und Profitmaximierung, auf Eigennutz, Selbstübersteigerung und Missachtung der Notlage der Mitmenschen gründet – und genau dies wird für ihn in einigen praktizierten Finanzgeschäften seiner Zeit offensichtlich.
 
Letztlich sind Luthers Wuchersermone in einer Epoche tiefgreifender ökonomischer Umwälzungen und Neuerungen ein deutliches Plädoyer für ein stabiles gesamtgesellschaftliches Gefüge, das auch die stete Verbesserung der sozialen Lage breiter Bevölkerungsschichten mit einschließt.
 
Zitate aus: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)


Weitere Literatur: Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993  --  Günther Steuer: Studien über die theoretischen Grundlagen der Zinslehre bei Thomas von Aquin, Dissertation, Tübingen 1936  --  Hans-Günther Assel: Das kanonische Zinsverbot und der „Geist“ des Frühkapitalismus in der Wirtschaftsethik bei Eck und Luther, Dissertation, Erlangen 1948 

2 Kommentare:

  1. Fue un debate apasionante muy propio siglo XVI. Creo que la Escuela de Salamanca, con todo, fue más moderna, en este sentido, que Lutero en cuanto a la comprensión de lo que representaba el capitalismo y el uso del dinero.

    Mis saludos y enhorabuena por su blog.

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    1. Muy acertado comentario, Retablo.

      Es cierto, Lutero no era ni quería ser economista, siempre hablaba como teólogo, cuyo deber era poner énfasis en las decisiones éticas que cada individuo tiene que tomar – naturalmente siempre a favor del prójimo.

      Por eso Lutero defendió lo que conocía, la teoría del valor predominante hasta aquel momento: la teoría medieval del coste de producción (en alemán “ziemliche Nahrung”) como precio justo, lo que incluía una pequeña ganancia del comerciante para mantener una vida decente. Mientras que en la Escuela de Salamanca desarrollaron una teoría subjetiva del valor y del precio que consiste en que, puesto que la utilidad de un bien varía de persona a persona, su precio justo será el que se alcance de mutuo acuerdo en un comercio libre. Expresándolo en términos actuales, los integrantes de la Escuela de Salamanca defendieron el libre mercado, donde el precio justo venía dado por la oferta y la demanda – sin monopolio, engaños o la intervención del gobierno.

      Por cierto, en su tercera obra relacionada con cuestiones económicas, “Von Kauffshandlung und Wucher” (1524, “Sobre el comercio y la usura”), Lutero trata los dos temas mencionados, el pretium iustum y el problema de las grandes compañías mercantiles, es decir los monopolios. Sobre la última cuestión hay un artículo muy recomendable de Peter Rauscher , “La casa de Austria y sus banqueros alemanes”, que analiza el papel de Carlos V. frente al “movimiento antimonopolista” de la época:
      http://homepage.univie.ac.at/peter.rauscher/Rauscher_La%20casa%20de%20Austria%20y%20sus%20banqueros%20alemanes.pdf

      Un cordial saludo

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