Donnerstag, 13. Juli 2017

Hesiod und die weltliche Herrschaft

Hesiod (aus dem Monnus-Mosaik, 3./4. Jh)
Hesiod hat die Frage von Macht und die Gewalt als die zwei Seiten jeder weltlichen Herrschaft beispielhaft in seiner Schrift "Werke und Tage" behandelt und sie zugleich unmittelbar an die Lebenserfahrung seiner Hörer geknüpft.

Das Thema seiner Dichtung ist vordergründig das vorbildliche Wirt-schaften auf dem Hof und das einträgliche Zusammenleben in dörflicher Nachbarschaft. Man muss sich jedoch bewusstmachen, dass dieser Text im lokalen Kontext der frühen griechischen Polis vorgetragen und die Anspielungen auf soziale Probleme der Zeit von den Hörern unmittelbar verstanden wurden.

Sie bestanden in erster Linie darin, dass sich die Sozialstruktur und die Verteilung des Grundbesitzes in starkem Wandel befanden. Die Verarmung einfacher Bauern und die Anhäufung von Besitz bei den Reichen waren ein Phänomen der Zeit. Hieraus entstanden Ungerechtigkeiten und wirtschaftliche Nöte wie etwa die Schuldknechtschaft. Zum anderen beruhte das Rechtssystem der frühen Polis darauf, dass einzelne Adlige die Rechtsprechung monopolisierten und Bestechungen offenbar an der Tagesordnung waren, die notwendige Rechtssicherheit also sichtbar verloren ging.

Hesiod selbst thematisiert in seinem Werk einen Streit, den er mit seinem Bruder um eine Erbschaft auszutragen hatte. In einem längeren Abschnitt spricht er seinen Kontrahenten unmittelbar an, um ihn von der Allmacht des Zeus und seinem Eintreten für das Recht zu überzeugen.

Jede Form von Frevel (hybris) gegenüber dem Recht und schlimmste Vergehen, wie Gewaltakte sie darstellen, wurden von Dike,der Göttin des Rechts, vor allem aber von Zeus auf das Härteste bestraft. Jedes Unglück der Welt sei letztlich göttliche Strafe und auf Missachtung der Rechtsordnung zurückzuführen. Solche Verstöße würden Zeus sofort bekannt, da er über eine Art allgegenwärtige Polizei verfüge.

Dike und Nemesis verfolgen das Verbrechen (Pierre Paul Prud'hon, 1808)

„Weilen doch auf der vielnährenden Erde dreimal zehntausend unsterbliche Wächter des Zeus über sterbliche Menschen und wachen über Rechtssprüche und Schandtaten, ganz in Nebel gehüllt und allwärts wandernd auf Erden“. Es handelte sich gleichwohl nicht um hinterhältige Spitzel, sondern um „gute Geister auf Erden und Wächter der sterblichen Menschen“, die den Menschen Wohlergehen brächten und erst zur Bedrohung würden, wenn man gegen das Rechtsgut, das sie repräsentieren, verstoße.

Hinter den Ausführungen Hesiods steht die Überzeugung, dass die Rechtsordnung der archaischen Gemeinwesen und die Regelungen physischer Gewalt ihre Verbindlichkeit nicht aus dem Gewohnheitsrecht beziehen, sondern göttlichen Willen widerspiegeln. Daher gäbe es auch eine Kollektivhaftung der Städte, eine Vorstellung, die aus dem Alten Testament, zum Beispiel Babylon, gut bekannt ist. Die gängige Rechtspraxis, in der „krumme [Richter-]Sprüche“ von „Geschenke fressenden Königen“, also die als ungerecht empfundenen und oftmals auf Bestechung beruhenden Gerichtsurteile, verstoße gegen diese Ordnung.

Wir haben mit den Überlegungen Hesiods demnach einen grundlegenden sozialen und politischen Konflikt der archaischen Zeit vor Augen. Vor der schriftlichen Fixierung des Rechts, die zwei bis drei Generationen nach Hesiod den Richterspruch nachvollziehbar und kalkulierbarer machen sollte, waren der gemeinschaftliche Konsens über Recht und die Kontrolle physischer Gewalt verloren gegangen. Mit der Rechtssicherheit war auch die Unverletzlichkeit des Einzelnen dahin, die Hesiod wiederherstellen wollte.

Er versuchte, seine Zeitgenossen mit dem Verweis auf eine höhere, den menschlichen Interessen und dem soziopolitischen Wandel entzogene göttliche Instanz zur Gerechtigkeit zu führen und Gewalt einzudämmen. Alles menschliche Leid, so der Dichter, sei letztlich Strafe für die Missachtung göttlichen Willens.

Diese Argumentation mutet angesichts der bestehenden sozialen Missstände etwas hilflos an, dokumentiert aber sinnfällig, dass solche Verständigungs-prozesse überlebenswichtig waren oder zumindest so empfunden wurden. In dem Augenblick, in dem die Integrität des Einzelnen in der Gemeinschaft nicht gewährleistet ist, wird dies als elementarer Angriff auf die soziale wie wirtschaftliche Existenz wahrgenommen. Es geht dem Menschen dann wie der Nachtigall in dem Tiergleichnis Hesiods, die, „durchbohrt von gebogenen Krallen“ des Habichts, schutzlos sterben muss.

Das Ziel der weltlichen Herrschaft: Rechtssicherheit und Gerechtigkeit

Die Handlungsoptionen des Menschen für eine Wiedererlangung von Sicherheit, Recht und Gewaltlosigkeit leitet Hesiod aus einem Geschichtsbild ab, das durch den Wechsel von Weltzeitaltern geprägt ist, die von der Zeit des Weltenursprungs bis in seine Gegenwart reichen.

In seiner Weltzeitalterlehre sieht Hesiod die zeitgenössische Menschheit selbst verschuldet in einem Zeitalter ohne Recht und Sicherheit leben. Auf das goldene Zeitalter, in dem die Menschen einst sorgenfrei lebten und völlig gewaltfrei „starben wie von Schlaf übermannt“, folgte das silberne, in dem die Menschen nicht „von frevlerischer Gewalt untereinander lassen können“. Im nächsten, dem eisernen Zeitalter, gab es gewaltige Menschen mit unbändiger Kraft, die ihnen aber ebenfalls nicht den „schwarzen Tod“ ersparte.

Sie wurden abgelöst durch die Heroen, denen es bestimmt war, die großen Kämpfe in Troia auszufechten und bei Gründung der griechischen Städte beteiligt zu sein. Den Helden folgten Hesiods Zeitgenossen, denen nichts heilig ist, bei denen das Faustrecht des Stärkeren regiert und die „Aufsicht der Götter“ missachtet wird.

Die Menschen haben die Möglichkeit, sich zu bessern und dem Elend von Neid, Verrat und Gewalt zu entsagen. An die Stelle unkontrollierter Macht und daraus resultierender Rechtsbeugung setzte der Dichter ein bäuerliches Leben, das von Solidarität, Nachbarschaftshilfe und gegenseitiger Unterstützung getragen wurde.

Zitate aus: Martin Zimmermann: Gewalt. Die dunkle Seite der Antike, München 2013

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