... den Parteien gewidmet, die monatelang nicht in der Lage
sind,
eine handlungsfähige Regierung zu bilden ...
(Spanien im Frühling 2016)
Am 28. Januar 1919 hielt Max Weber vor dem Freistudentischen Bund seine berühmte Rede über das Thema „Politik als Beruf“. Etwa ein halbes
Jahr später erschien sein Vortrag, stark überarbeitet als separate Broschüre.
„Man kann sagen, daß drei Qualitäten vornehmlich
entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl -
Augenmaß.
Albert Rivera (Cuidadanos) |
Leidenschaft im Sinn von Sachlichkeit: leidenschaftliche Hingabe an eine `Sache´, an
den Gott oder Dämon, der ihr Gebieter ist. Nicht im Sinne jenes inneren
Gebarens, welches mein verstorbener Freund Georg Simmel als `sterile
Aufgeregtheit´ zu bezeichnen pflegte, wie sie einem bestimmten Typus vor allem
russischer Intellektueller (nicht etwa: allen von ihnen!) eignete und welches
jetzt in diesem Karneval, den man mit den stolzen Namen einer `Revolution´schmückt,
eine so große Rolle auch bei unsern Intellektuellen spielt: eine ins Leere
verlaufende `Romantik des intellektuell Interessanten´ ohne alles sachliche
Verantwortungsgefühl.
Denn mit der bloßen, als noch so echt empfundenen,
Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn
sie nicht, als Dienst in einer `Sache´, auch die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache zum
entscheidenden Leitstern des Handelns macht.
Mariano Rajoy (Partido Popular) |
Und dazu bedarf es – und das ist die entscheidende
psychologische Qualität des Politikers – des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer
Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Dingen und Menschen. `Distanzlosigkeit´,
rein als solche, ist eine der Todsünden jedes Politikers und eine jener
Qualitäten, deren Züchtung bei dem Nachwuchs unserer Intellektuellen sie zu
politischer Unfähigkeit verurteilen wird. Denn das Problem ist eben: wie heiße
Leidenschaft und kühles Augenmaß miteinander in derselben Seele
zusammengezwungen werden können?
Politik wird mit dem Kopfe gemacht, nicht mit anderen
Teilen des Körpers oder der Seele. Und doch kann die Hingabe an sie, wenn sie
nicht ein frivoles intellektuelles Spiel, sondern menschlich echtes Handeln
sein soll, nur aus Leidenschaft geboren und gespeist werden. Jene starke
Bändigung der Seele aber, die den leidenschaftlichen Politiker auszeichnet und
ihn von den bloßen `steril aufgeregten´ politischen Dilettanten unterscheidet,
ist nur durch die Gewöhnung an Distanz – in jedem Sinn des Wortes –
möglich. Die `Stärke´ einer politischen `Persönlichkeit´ bedeutet in
allererster Linie den Besitz dieser Qualitäten.
Pedro Sanchez (Partido Socialista Obrero Español) |
Einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind hat daher der
Politiker täglich und stündlich in sich zu überwinden: die ganz gemeine Eitelkeit,
die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der
Distanz, sich selbst gegenüber.
Eitelkeit ist eine sehr verbreitete
Eigenschaft, und vielleicht ist niemand ganz frei davon. Und in akademischen
und Gelehrtenkreisen ist sie eine Art von Berufskrankheit. Aber gerade beim Gelehrten
ist sie, so antipathisch sie sich äußern mag, relativ harmlos in dem Sinn: daß
sie in aller Regel den wissenschaftlichen Betrieb nicht stört.
Ganz anders beim Politiker. Er arbeitet mit dem Streben nach Macht als
unvermeidlichem Mittel. `Machtinstinkt´ – wie man sich auszudrücken
pflegt – gehört daher in der Tat zu seinen normalen Qualitäten. – Die
Sünde gegen den heiligen Geist seines Berufs aber beginnt da, wo dieses
Machtstreben unsachlich und ein Gegenstand rein persönlicher
Selbstberauschung wird, anstatt ausschließlich in den Dienst der `Sache´ zu
treten.
Denn es gibt letztlich nur zwei Arten von Todsünden auf dem
Gebiet der Politik: Unsachlichkeit und – oft, aber nicht immer, damit
identisch – Verantwortungslosigkeit. Die Eitelkeit: das Bedürfnis, selbst
möglichst sichtbar in den Vordergrund zu treten, führt den Politiker am
stärksten in Versuchung, eine von beiden, oder beide zu begehen.
Pablo Iglesias (Podemos) |
Um so mehr, als der Demagoge auf `Wirkung´ zu rechnen gezwungen
ist, – er ist eben deshalb stets in Gefahr, sowohl zum Schauspieler zu
werden wie die Verantwortung für die Folgen seines Tuns leicht zu nehmen und
nur nach dem `Eindruck´ zu fragen, den er macht. Seine Unsachlichkeit legt ihm
nahe, den glänzenden Schein der Macht statt der wirklichen Macht zu erstreben,
seine Verantwortungslosigkeit aber: die Macht lediglich um ihrer selbst willen,
ohne inhaltlichen Zweck, zu genießen.
Denn obwohl, oder vielmehr: gerade weil Macht das
unvermeidliche Mittel, und Machtstreben daher eine der treibenden Kräfte aller
Politik ist, gibt es keine verderblichere Verzerrung der politischen Kraft, als
das parvenumäßige Bramarbasieren mit Macht und die eitle Selbstbespiegelung in
dem Gefühl der Macht, überhaupt jede Anbetung der Macht rein als solcher.
Der bloße `Machtpolitiker´, wie ihn ein auch bei uns eifrig
betriebener Kult zu verklären sucht, mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat
ins Leere und Sinnlose. Darin haben die Kritiker der `Machtpolitik´ vollkommen
recht. An dem plötzlichen inneren Zusammenbruche typischer Träger dieser
Gesinnung haben wir erleben können, welche innere Schwäche und Ohnmacht sich
hinter dieser protzigen, aber gänzlich leeren Geste verbirgt. Sie ist Produkt
einer höchst dürftigen und oberflächlichen Blasiertheit gegenüber dem Sinn menschlichen
Handelns, welche keinerlei Verwandtschaft hat mit dem Wissen um die Tragik, in
die alles Tun, zumal aber das politische Tun, in Wahrheit verflochten ist.“
Es gibt in der Geschichte des menschlichen Geistes Gedanken,
die wohl zeitlos gültig sind ...
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