Mittwoch, 28. Dezember 2022

Mao Zedong und die Polygamie


Irgendetwas an den Brüdern Mao war dem Familienleben nicht zuträglich. Weder Mao noch seine Brüder können kaum als vorbildliche Ehemänner oder Väter gelten, auch wenn sie nicht die einzigen waren, die sich ausgesprochen herzlos verhielten.

Die Polygamie war in China weit verbreitet, und selbst die vermeintlich glühendsten Verfechter der Frauenemanzipation unter den männlichen Mitgliedern der Kommunistischen Partei sahen in den Frauen eher Sexualobjekte als Genossinnen. 

„Und wer dachte schon an die Kinder? Unter den Ärmsten und den ländlichen Lumpenproletariern, deren Interessen die Kommunistische Partei vertrat, galten Kinder und vor allem Töchter oft als Last. Anders als bei den armen Bauern war die Gefühllosigkeit der kommunistischen Führer gegenüber ihren Sprösslingen allerdings nicht ausschließlich eine Frage der Ökonomie. Sie hatten einfach keine Zeit für Kinder. Sie mussten sich auf ihre `Hauptaufgabe´ konzentrieren – die Revolution, den Bürgerkrieg, die Befreiung der unterdrückten Massen. Angesichts ihres großen Projekts waren die Tränen der Kinder und selbst die ihrer eigenen nicht weiter bedeutsam.“

Mao Zedong (1893 - 1976)

Die von Alexander Pantsov und Steven I. Levine in ihrer großen Mao-Biographie erzählte Episode aus dem Leben von Mao Zedong eignet sich hervorragend, das rücksichts- und verantwortungslose Verhalten der chinesischen Parteiführer und marxistisch-leninistischen Theoretiker gegenüber ihren Familien zu veranschau-lichen.

Im Herbst 1927 flüchtete sich Mao nach einem verunglückten Aufstand in der Provinz Hunan in die Bergregion von Jinggang (wörtlich: „Brunnen und Bergrücken“). Die dortige Macht lag in den Händen zwei Bandenchefs namens Yuan Wencai und Wang Zuo. Sechshundert mit alten Pistolen, Gewehren und Schwertern bewaffnete Halsabschneider beherrschten etwa 150 000 Menschen. Sie verlangten Tribut von der örtlichen Bevölkerung und bestraften grausam alle, die Widerstand leisteten. Sie enthaupteten Widerspenstige und stellten deren Köpfe auf Pfählen zur Schau.

Um zu überleben, musste Mao erst einmal freundschaftliche Beziehungen zu den Banditen aufnehmen, die das Gebiet ausplünderten. Das gelang ihm, und er wurde, wie er selbst es ausdrückte, „König der Berge“.

Mao und He Zizhen

Yuan wiederum war gerissen genug und überlegte, wie er Mao an sich binden könnte. Er stellte ihm He Zizhen, die attraktive Tochter eines alten Freundes, vor und empfahl sie ihm als zuverlässige Dolmetscherin für den lokalen Dialekt. Das Mädchen war gerade achtzehn Jahre alt. „Sie war mit sechzehn Jahren in die Kommunistische Partei eingetreten, sie war belesen und politisch gebildet, aber vor allem attraktiv, tatkräftig, lebhaft und anmutig. Sie hatte ein süßes ovales Gesicht, große strahlende Augen und eine wunderschöne Haut. Nicht ohne Grund hatte ihr Kindheitsname Guiyuan gelautet (`Runder Mond im Goldregengarten´).“

Sie machte einen positiven Eindruck auf Mao, den sie wiederum auch mochte, obwohl er sechzehn Jahre älter war als sie. Sie wusste, dass er verheiratet war und drei Söhne hatte; er hatte es ihr selbst erzählt. Aber nichts vermochte sie abzuhalten und Mao wusste, wie man den Frauen gefällt … 

„Zu dieser Zeit war er besonders unwiderstehlich – sehr schlank, mit langem Haar, einer hohen Stirn und traurigen dunklen Augen. Zizhen war hingerissen von ihm. Er strahlte gleichermaßen physische wie intellektuelle Kraft aus, war einfühlsam, schrieb Gedichte und kannte sich gut in der Literatur und im Volkstum aus. Die junge He Zizhen war noch nie jemandem wie ihm begegnet. War es gegenseitige Liebe? Oder nur sexuelle Anziehung? Menschen, die beide kannten, sind unterschiedlicher Ansicht.“

Im Frühjahr 1928 bat Mao Zizhen, ihm bei der Arbeit an einem Manuskript zu helfen. Von da an lebten sie zusammen. „Ende Mai fand in Anwesenheit des Heiratsvermittlers Yuan Wencai und seiner Kumpane eine Art `Hochzeit´ statt. Sie aßen Süßigkeiten und Nüsse. Sie tranken Tee. Sie lachten, scherzten und waren vergnügt.“ 

Natürlich dachte niemand an Maos eigentliche Ehefrau, Kaihui, die damals noch lebte. Durch Zufall erfuhr Kaihui vom Betrug ihres Mannes. Lange Monate hatte sie nichts von ihm gehört, und nun das! Der Schlag war so heftig, dass Kaihui beschloss, sich umzubringen, und wahrscheinlich hätte sie es getan, wären da nicht die Kinder gewesen. Sie ertrug diese Schmach zwei Jahre lang, bis ans Ende ihres Lebens.

Kaihui und zwei ihrer Kinder

Im Oktober 1930 wurde Kaihui verhaftet. Ihr ältester Sohn, Anying, der gerade erst acht geworden war, wurde ebenfalls inhaftiert. Weil sie sich nicht von Mao lossagen wollte – sie hätte es als Verrat empfunden ! –, wurde sie vor ein Militärgericht gestellt. Die Verhandlung dauerte nicht einmal zehn Minuten. Der Richter stellte ein paar Fragen, dann tauchte er seinen Schreibpinsel in rote Tinte, machte ein Zeichen auf das Verhörprotokoll und warf es auf den Boden. Das war bei chinesischen Gerichten das Verfahren, das die Todesstrafe verkündete. 

Am Morgen des 14. November 1930 holte man Kaihui aus der Zelle, um sie zur Hinrichtung zu führen. Sie wurde von einem Erschießungskommando auf einem Friedhof in Shiziling hingerichtet. Als sie, von zahlreichen Kugeln getroffen, zu Boden fiel, streifte einer aus dem Erschießungskommando ihr rasch die Schuhe ab und warf sie weg. Das tat man immer in China, damit die Verstorbenen nicht zurückkehrten und denen, die sie getötet hatten, nachgingen. Am Abend übergab man die Leiche ihren Verwandten, die sie nicht weit vom Haus ihrer Eltern begruben.

Als Mao einen Monat später aus der Zeitung vom Tod seiner Frau erfuhr, schickte er seiner Schwiegermutter dreißig Silberyuan für einen Grabstein. Inzwischen lebte Mao jedoch schon seit 2 Jahren mit He Zizhen zusammen, nicht zuletzt, weil, wie er selbst sagte, „die Macht des menschlichen Bedürfnisses nach Liebe“ für ihn „größer als jedes andere Bedürfnis“. So waren denn die dreißig Silberstücke, die er für den Grabstein nach Bancang schickte, nur noch ein schaler und verlogener Akt seiner moralischen Schäbigkeit!

Zitale aus: Alexander V. Pantsov und Steven I. Levine: Mao. Die Biographie, Frankfurt a.M. 2014 (Fischer)